Sonntag, 4. Juli 2010

Tagebuch (11)

DER SKORPION

Seit drei Jahren praktiziere ich täglich Yoga. Die Wirkungen sind erstaunlich. Am Anfang habe ich auch rasche Fortschritte gemacht, konnte beinahe täglich beobachten, wie ich vorankomme. Ich achte seither viel mehr auf meinen Körper, spüre deutlicher, was ihm fehlt oder gut tut und erlebe, wie körperliche, geistige und seelische Zustände einander bedingen. 

Ein Freund hat sich über Jahrzehnte darüber amüsiert, wie unsportlich ich gewesen bin. Meine Yoga-Praxis beeindruckt ihn, weil es das erste Mal ist, dass ich eine "körperliche Ertüchtigungsform" (Yoga ist ja mehr!) dauerhaft und regelmäßig praktiziere. Sonst habe ich immer schnell aufgesteckt: Laufen, Schwimmen, Radfahren - mache ich sporadisch, aber ich schaffe es nicht, mich täglich zum Training zu zwingen. Trotz seiner Anerkennung hat mein guter Freund aber auch einen Stachel in meine Yogapraxis getrieben, einen (unguten?) Ehrgeiz entfacht. Denn er fragte sofort: Kannst du auch den Skorpion? Seither will ich den können. Die Fortschritte sind jedoch minimal.

Beim Yoga ist es so: Es gibt innere und äußere Widerstände. Man kann sie nicht bewältigen, indem man mit ihnen ringt. Man muss sie "ausgleiten" lassen. Wenn etwas einem besonders schwerfällt, ist  das ein Hinweis auf einen solchen Widerstand. Für mich war das zum Beispiel am Anfang die Vorwärtsbeuge, weil es mir schwerfällt "loszulassen", mich einfach an eine Situation "hinzugeben". Ein anderes Mal erinnerte ich durch eine Yoga-Übung, die das Kehl-Chakra ansprach, eine traumatische Situation meiner ganz frühen Kindheit, die völlig aus meinem Bewusstsein verschwunden war. Ich begriff zum ersten Mal, warum es bei mir Panik auslöst, den Kehlkopf zu berühren.

Was verbirgt sich hinter dem Skorpion? Diese Asana stärkt Rücken, dehnt Bauch, Hüften und Oberschenkel, das ganze Kreuz. Die Blutzufuhr zu den Gefäßen wird erhöht. Sie stärkt, harmonisiert und erdet. Man entwickelt ein Gefühl von Harmonie und Gleichgewicht. Und da es lange dauert, bis man die Asana beherrscht, lehrt sie  Durchhaltevermögen und Selbstbewusstsein.

----Durchhaltevermögen: Ich habe den Verdacht, das ist es, woran ich arbeiten soll...



Der "Hund mit gesenktem Kopf" ist eine Vorübung zum Skorpion 
zur Stärkung der Armmuskeln und Dehnung des Rückens.

 

6 Kommentare:

  1. Heute habe ich 10 sec. im Skorpion gestanden. Das klingt nicht viel, ist aber für mich ein großer Fortschritt. Damit man sich vorstellen kann, worum es geht: http://www.yoga-vidya.de/de/asana/skorpion.html

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  2. Gelangen Sie etwa ohne Hilfestellung in den Skorpion?

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  3. Na klar! Aber ich kann ihn nur 15 sec. halten. Den Kopfstand dagegen 3 min und länger. (Ha, Angeberin! - Ist aber wahr. Und ich bin soooo stolz drauf!)

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  4. Es mag vielleicht aus unberufenen Fingern stammen, dennoch schreibe ich es auf: Ich habe mich umgesehen und mir das Werden des Skorpions genau angesehen, deshalb zolle ich Ihnen den größten Respekt für das Versuchen und Gelingen!

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