Freitag, 13. August 2010

WAS IST (K)EIN BILD? (1): EMBLEMATA

DAS IST KEIN BILD!


Serva Modum

Wahre das Maß!

Das Herz weiß das Maß nicht zu wahren und den Gefühlen Zügel anzulegen, wenn es vom Glückshauch getroffen wird.

Vor einer gestaffelten Landschaft, ländlich links, städtisch rechts, steht hier, die Standbein-Spielbein-Haltung ausbalancierend, eine barbrüstige Frau, den Unterleib mit Stoffbahnen verhüllt, um die Schultern ein Tuch geschwungen, in der rechten Hand das Zaumzeug haltend, in der linken das Winkelmaß, das sie neugierig betrachtet. Eine interessante Frisur hat sie auch.  Alles ist ausgewogen, Haltung und Wendung, Wolkenzug und Stadt, Land, Fluss, Zaum und Zeug, Winkel und Maß. Doch gezähmt scheint sie nicht.

Das ist kein Bild. Das ist ein Emblem. Ein Emblem ist ein Sinn-Bild. Nicht jedes Bild macht Sinn. Und bleibt doch ein Bild. Die meisten Bilder sind keine Sinn-Bilder, obwohl sie sinnlich sind und Sinn machen. Ein Emblem ist eine bildliche Darstellung, die notwenig einen Text mit sich führt. Oder anders herum: Ein Text, den ein Holzschnitt oder Kupferstich begleitet.  Dabei ist das Bild keine Illustration des Textes und der Text keine Deutung des Bildes. Text und Bild beziehen sich vielmehr als Rätsel aufeinander. Zunächst einmal scheinen Embleme ohne große geistige Anstrengung verstanden zu werden. Sie geben Allgemeinplätze wieder, Ratschläge, wie man sie bei Feiern im Verwandtenkreis unerbeten von der Tante bekommt, auch mal welche, für die einen der Onkel vor die Tür zieht.  Bildliche Darstellung und Text können im Emblem problemlos als Zeichen begriffen werden, die für etwas anderes als sich selbst stehen: den zu enträtselnden Sinn. Dabei liegt die Rätsel-Kraft des Emblems darin, dass zwischen den bildhaften und den sprachlichen Zeichen sich Spannung aufbauen kann, die den Sinn vibrieren lässt. Wie hier: Du sollst dich mäßigen, Unmäßige, doch das Glück, weiß das Emblem, weiß von keinem Maß, die Brust bleibt entblößt und dem Gefühl passen die Zügel nicht (immer). 

Ein Emblem ist kein Bild, weil ein Bild kein Rätsel ist. Weil es nicht für etwas anderes steht, das zu enthüllen wäre, sondern es selbst ist. Wenn es ein Bild ist.  Es wird im 17. Jahrhundert in den Niederlanden Embleme geben, die zu Bildern werden, weil sie in ihrer überschwänglichen Lust an der Darstellung ein so großes Übergewicht auf die Gestaltung der Oberfläche legen, dass der dahinter verborgene Rätselsinn verblasst.  Ein Bild, wenn es ein Bild ist, ist keine Allegorie (obwohl eine Allegorie eine bildliche Darstellungsform ist). In der Allegorie gibt es stets eine Bruchstelle zwischen Dargestelltem und Darstellung: das Zeichen ist nicht, was es bedeutet. Doch die Logik des Bildes ist eine andere. Die Darstellung einer Vase ist keine Vase. Doch das Bild, wenn es ein Bild ist, stellt nicht nur die Vase dar (oder das, wofür die Vase ein Sinnbild sein kann). Das Bild ist die Wirkung dieser Darstellung einer Vase auf der gerahmten Fläche. Das ist sein Sinn und seine Sinnlichkeit.

„Die Vielzahl figurativer Elemente kann es niemals mit der Realität eines einheitsstiftenden Grundes aufnehmen. Dies oder das, etwas Diskontinuierliches, tritt vor sein Kontinuum. Gerade weil beide Aspekte alles andere als gleichartig oder gleichwertig sind, generieren sie zusammen, was wir das ikonische momentum nennen wollen: einen den Bildern eigentümlichen inneren Überhang, der sich von der Oberfläche der Welt unterscheidet. Das momentum bewirkt das Zeigen – die ikonische Deixis, es bewirkt das Wirken. Das momentum entfaltet sich unter Bedingungen der jeweiligen Materialität. Es ist aber kein lediglich physischer Zustand. Es entspringt aus einem signifikanten Darüber hinaus. Damit es überhaupt entstehen kann, bedarf es, ..., jeweiliger Kontraste, die gerade deshalb, weil sie den Ort ihres Vorkommens negieren, ein Feld der Aufmerksamkeit, der Deutbarkeit, und das heißt des Sinnes eröffnen. Die Asymmetrie der ikonischen Differenz legt den Gedanken nahe, Bilder nicht als fixe Zeichensysteme zu verstehen, sondern als den Ort einer Konfiguration von Energien.“ (Gottfried Böhm: Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens.)

Die „ikonische Differenz“ ist nicht die zwischen den Einzelzeichen des Bildes und deren Bedeutung, sondern zwischen dem Einzelnen der Darstellung und der Fläche, die der Bildrahmen setzt. Aus der zwischen ihnen beim Betrachten entstehenden  Wirkungsenergie entsteht der Sinn des Bildes. 

27 Kommentare:

  1. Das verspricht eine spannende Diskussion zu werden...
    Mein Einwand auf deine Unterscheidung zwischen Emblem und "echtem" Bild lautet: Der Unterschied in der Interpretationsarbeit, die beide verlangen, ist lediglich ein Unterschied des Grades: Aber beide Typen Bild leben von Elementen, die für etwas anderes stehen. Der auf einem Foto abgebildete Mensch ist nicht selber Mensch, wir erkennen ihn als Menschen. Das Emblem hat die Fähigkeit dieser Elemente, für etwas anderes zu stehen, lediglich auf die Spitze getrieben.
    Ein Bild ansehen heisst IMMER, behaupte ich, es interpretieren. Wir erlernen es und eignen uns Sehgewohnheiten an, die es uns erlauben, ein Bild - selbst ein Foto - zu "verstehen".

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  2. "Ein Bild ansehen heißt immer ...es interpretieren." - Dem widerspreche ich nicht. Genau so ist es. Nur konstituiert sich der "Sinn" eines Bildes eben nicht durch die Deutung der in ihm verwendeten Zeichen (oder nicht nur, nicht wesentlich daraus). Sondern durch die Sehweise, die es erzeugt - und das ist etwas anderes als die Lesart. Ein Bild wird durch die Fläche, die sein Rahmen setzt, bestimmt: er dominiert die in ihm verwendeten Zeichen und aus der zu sehenden Spannung zwischen diesen und der Fläche entsteht die Bildwirkung, nicht aus der Übersetzung der Bildzeichen in Worte. (Anders hätte eine bestimmte Art von abstrakter Malerei, z.B. Rothko oder die ganze N.Y.School gar nicht entstehen können - da gibt es keine "Zeichen" mehr, aber wohl eine Wirkung zwischen Farbelementen und Fläche.)

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  3. Ich fasse den Zeichenbegriff (und verstehe auch Interpretation) sehr viel breiter: Farben sind für mich kulturelle Zeichen, sie haben Bedeutung, die Tatsache z.B. dass Rothko diese speziellen Farben und keine anderen verwendet, hat "Bedeutung" etc. Ein Text wird auch durch einen "Rahmen" bestimmt. Auch Texte werden gelesen ohne dass sie bewusst "übersetzt" werden (Werbung setzt genau auf diese unbewusste Interpretationsarbeit). Und: "übersetzen" heisst nicht unbedingt "in Worte übersetzen": ein Bild kann auch in ein anderes Bild übersetzt werden.

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  4. „Nur dem Denken ist es eigen, ähnlich zu sein.

    Es ähnelt, indem es das ist,

    was es hört, sieht oder erkennt;

    es wird zu dem, was ihm die Welt darbietet.“,

    schreibt René Magritte

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  5. @ Markus Die Farbe geht aber in ihrem Zeichencharakter nicht auf. Du willst die Materialität des Bildes weg interpretieren. Sein Da-Sein. Die Behauptung der Gegenwart, die das Bild i s t. Das Bild hat keinen Rahmen in Anführungszeichen, es h a t einen - eine reale, fassliche Begrenzung. Darin liegt der ganze Unterschied. (Im Übrigen auch die Gefahr, die der Allmächtige darin erkennt und warum er es - noch vor dem Namen (!) verbietet.) Diesen Sommer in London habe ich vor vielen Bildern gestanden, von denen ich Abbildungen zu Hause habe. Die Sehnsucht diese Bilder "im Original" zu sehen, hat mich angetrieben. Zu Hause habe ich das Bild als Zeichen. Dort i s t es - als Gegenstand und Gegenwart. Wenn du einen Rothko interpretierst, indem du die Farbe als Zeichen deutest: Wie weit kommst du dann? Du erlebst doch vor dem Bild (auch) etwas anderes: nämlich dass die Farbe kommuniziert, energetisch reagiert mit ihrem Einsatz auf der Fläche. Jetzt kannst du sagen: die Fläche ist ein kulturelles Zeichen wie die Farbe. Stimmt ja auch. Genau - es ist eine Entscheidung in der abendländischen Welt das Bild als Ausdrucksform einzusetzen. Andere Kulturen kennen das Bild nicht oder verwenden es anders. Wir haben Bilder - und mir geht es darum diese Ausdrucksform gegen andere "bildliche" abzugrenzen. Ihre Besonderheit hervorzuheben. Sie liegt für mich auch darin, dass die Geschichte des Bildes in unserer Kultur den Zeichencharakter (dessen Vorhandensein ich ja nicht leugne - Werbung setzt auf ihn, ja!) zurück drängt zugunsten seiner "Selbstbehauptung". Ein Deuten des Bildes als Kombination von Zeichen nimmt dies, finde ich zurück. Mylius hat W. Hogarth´"Analysis of Beauty" ins Deutsche übersetzt "Zerstückelung der Schönheit". Das ist treffend. Genau das geschieht beim "Auseinanander nehmen" in Einzelzeichen. Eine Analogie fällt mir ein aus der Physik: der Streit, ob Licht Teilchen oder Welle sei. Ich sehe die Welle, du das Teilchen. Vielleicht braucht man beide Zugangsweisen.

    Für den anderen Zusammenhang, auf den wir uns beziehen wollten, müsste noch geklärt werden, wie es sich mit dem geschnitzten oder gemeißelten Bildnis verhält. Auch hier glaube ich jedoch, dass es die materielle Gegenständlichkeit ist, die über den Zeichencharakter hinausweist.

    - Und dann kommt noch hinzu: Der "Kampf" um die Deutungshoheit der Semiotik oder der Hermeneutik. :) So ein "weites Feld" - und ich könnte - und tu´s auch bisweilen, die "Seiten wechseln".

    Glaub´nicht, dass wir das Fass so schnell zu kriegen.

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  6. Dem Emblem eignet per definitionem die Grundstrucktur der Triade aus "Inscriptio - Pictura - Subscriptio" . Haben Sie Albrecht Schöenes Riesenfolienten der Emblemata einmal durchgeblättert : Ein wehre Fun(d)grube .
    Wie man bei gleicher Stuktur alte emblemate für eigene "Inscriptiones" verwenden kann zeigt der Grafiker und Dichter Harald Gsaller : http://tinyurl.com/Gsaller-embleme

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  7. @czz Den "Riesenfolianten" (in der damals für die Studentin grade erschwinglichen Ausgabe von J.B. Metzger) habe ich hier.Tatsächlich eine wahre Fun(d)grube. Immer wieder. Ich hatte das Glück, bei Albrecht Schöne eine Gast-Vorlesung dazu zu hören.

    Danke für den Link zu Gsaller. Das ist toll. Habe ich gleich unter meinen Lesezeichen abgelegt.

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  8. diese diskussion verunsicherte mich regelrecht.
    der farbe zeichencharakter zuzusprechen.
    dazu kulturell grundiert.
    war blau nicht die farbe der hoffnung ?
    vielleicht.
    aber welches blau ?
    kobaltblau, himmelblau, usw. ?
    sollte ich wäre ich maler nur ein blau verwenden
    - von ja schier unendlich vielen blaufarbtönen - um dadurch möglichst zielsicher auf "hoffnung" zu verweisen ?
    oder sollte dann das hellste blau die hellste hoffnung zeichenartig repräsentieren und das tiefste blau die tiefste hoffnung ?
    oder das hellste blau die hoffnung auf das hellste desiderierte und und das tiefste blau die hoffnung auf das tiefste desiderierte ?
    so einfach gefragt und schon gerate ich eigentlich ausserhalb eines kulturellen hin zu meiner ganz eigenen bedeutungsgenerierung, die sich allerdings ohne sprachliche erklärung wohl keinem anderen konkret erschliesst.

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  9. @Lobster Es gibt ein Blau, das löst in mir die Sehnsucht nach schwimmen aus. (Fast) körperlich. Ein anderes Blau lässt mich Wolken sehen, die gar nicht da sind. Und manches Blau ist stofflich, wie ein eleganter Mantel. Doch denke ich inzwischen, dass Markus erklären könnte, wie ein weiter Zeichenbegriff auch diese Erfahrungen umfasst und bei deren Analyse hilft. (Falls man sie analysieren will.)

    Für dich wäre vielleicht interessant, ob der Zeichenbegriff der Semiotik auch für die Analyse der Wirkung von Musik fruchtbar gemacht werden kann. Dazu kann ich nichts sagen, weil ich nicht genug davon verstehe (von beidem: Musik und Semiotik).

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  10. gotthold "lobster" eldermann16. August 2010 um 16:06

    hab grad kurz und schmerzlos gegoogelt und sehe doch glatt, dass anscheinend grün die farbe der hoffnung ist.
    hm.
    müsste frau/mann also in ebigem meinem komment.
    das blau durch ein grün ersetzen.
    also kobaltgrün und himmelgrün - nö - also - oje -
    dunkelgrün und hellgrün so auf die schnelle.
    sorry.

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  11. also melusine - für mich ist das reichlich abgehoben soweit ich diese diskussion überhaupt verstand.
    wenn schon jemand sagt ein wort wäre allgemein kulturell konnotiert sträuben sich bei mir irgendwie die haare.
    so etwas zu sagen ist wohl anerkannt ( da verweist man aber auch wohl lieber auf konnotationscluster als auf eine eindimensionale
    konnotations"ebene" aber naja )
    vielleicht will man verbindlichkeiten sehen, übereinkünfte im gebrauch auch von tonalität(en), so ganz grob anskizziert oder schaut man die sprache an innerhalb von wortmaterial(itäten) - hm - und innerhalb verbaler verständigung muss ja sprache auch irgendwie funktionieren, sonst wäre sie ja irgendwie wertlos - aber dies geschieht ja wohl immer in einem stets unscharfen raum, der deshalb unscharf ist, weil zwei wortbenutzende vielleicht bei gebrauch ein und des selben wortes für eine sache zwar unterschiedliche bilder dazu im kopf haben, welche aber im kern noch eine funktionale kongruenz oder so besitzen.
    sorry - so weit wollte ich jetzt nicht gehen wollen, bin gerade äusserst unanalytisch drauf.
    in der musik wird das aber sicherlich noch etwas komplizierter anzubetrachten.
    nö mein kurzer gedankengang ging nur in die richtung farbe als zeichen.

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  12. @Lobster Dein Wunsch ist mir Befehl. Hab´s gelöscht. Obwohl es vielleicht hätte interessant werden können, ein wenig - sag ich mal - strukturiert:
    z.B. wie und ob Politisches in Musik "hörbar" wird. Das Reaktionäre ist sicher noch am leichtesten zu erkennen: Als das, was sich die Volksmusik (die ja sehr schön und tief sein kann) zur volkstümlichen macht. Las gerade was über Prokofjews Filmmusik für Eisenstein - das ist schon schwieriger. Aber ich verstehe einfach nicht genug davon.

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  13. Bevor ich mich darauf einlasse: Verstehe ich's richtig als eine erweiterte Fortführung der Auseinandersetzung mit dem "biblischen Bildnisverbot", die Sie gemeinsam mit Markus A. Hediger pflegten?

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  14. Ja. Ich versuchte die Frage zu zerlegen: Erst einmal klären, was ein Bild ist (und ein Bildnis). (Was also der HERR eigentlich in diesem Gebot verbietet). Und dann klären, wie mit dem Verbot (das mich so erzürnt und das Markus A. Hediger verteidigt) umzugehen ist.

    Aber schon die Klärung der "Bilder"-Frage ist offenbar sehr schwierig. (Oder ich bin bockig?)

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  15. "Du sollst dir kein Bildnis machen."
    Da könnte ich ein Angebot zur Klärung machen. Dem Gebot kann eine schlichte Begründung unterlegt werden: Versuche erst gar nicht, was nicht möglich ist.
    Denn was ist ein Bild schon?

    Mathematisch betrachtet ist es eine Menge von Elementen (Bildmenge/Bildbereich), auf welche die Elemente der Urbildmenge mittels einer Funktion abgebildet werden.
    Beispiel:
    Die Funktion f bildet die Elemente der Urbildmenge A={1,2,3} auf die Bildmenge B={2,4,6} ab.
    Die Funktion lautet f(x) := 2*x, wobei x für ein beliebiges Element aus der Menge A steht.
    2*1=2; 2*2=4; 2*3=6.
    Soweit klar, nicht?

    Doch jetzt erweitern wir die Bildmenge B auf {1,2,3,4,5,6}; die Urbildmenge A bleibt gleich.
    Ist die Funktion f(x) := 2*x noch anwendbar? Zweifellos. Denn die Bildelemente {2,4,6} sind ja in der Menge B nachwievor enthalten. Aber ist f(x) := 2*x die e i n z i g e Funktion, mit der die Urbildmenge A in die Bildmenge B abgebildet werden kann? Ganz offensichtlich nicht, denn sowohl die Funktion f(x) := x, als auch die Funktion f(x) := x^0 bilden die Elemente der Urbildmenge A in die Bildmenge B ab.
    f(x) := x ergibt 1=1; 2=2; 3=3;
    f(x) := x^0 ergibt 1^0=1; 2^0=1; 3^0=1;
    Und dann ist da noch die ursprüngliche Funktion f(x) := 2*x
    Es existieren also wenigstens drei unterschiedliche Funktionen, welche die Urbildmenge A auf die Bildmenge B abbilden.
    Soweit, so gut - ja?

    Aufgabenstellung:
    Ich gebe Ihnen jetzt beispielhaft die BILDMENGE {1,4,9,16,25,36,49,64,81} vor und stelle Ihnen die Frage nach der URBILDMENGE. Die Abbildungsfunktion gebe ich Ihnen aber nicht bekannt.

    Sie erkennen natürlich sofort, dass Sie diese Frage ohne Kenntnis der Abbildungsfunktion nicht beantworten können. Es gibt nämlich recht viele Abbildungsfunktionen und dementsprechend viele Urbilder:
    {1,2,3,4,5,6,7,8,9};
    {1,4,9,16,25,36,49,64,81};
    die Menge der positiven natürlichen Zahlen (N).
    {1,2,3}
    {3,4,9}
    {-5, 8}
    {0}
    etc.
    Schon DIESE Aufgabenstellung ist unlösbar.

    Jetzt stellen Sie sich aber vor, dass ich mir, bar jeglicher konkreten Angaben, sogar die Bildmenge erst anhand von Vermutungen zusammensuchen muss (das BILDNIS nämlich), aufgrund derer ich mich eine unbekannte Abbildungsfunktion zu erraten bemühe (durch Bibelstudium beispielsweise), um so zu einem zutreffenden Urbild zu kommen (das wäre dann die Gottesschau). Solche Aufgabenstellung ist aussichtslos, nicht? Das Bildnisverbot kann also auch ganz profan als Schutz vor der Vergeudung von kostbarer Lebenszeit aufgefasst werden.

    (alternativ kann ich noch eine physikalische Annäherung an die Aussichtslosigkeit einer zutreffenden Bildnisverfertigung andienen)

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  16. Wenn ich jetzt noch den Rahmen dazu nehme, innerhalb dessen Michael Perkampus in seinem Beitrag "Bildlich gesprochen", Markus A. Hediger und Sie, liebe Melusine, sich bewegen, dürfte nach meiner restriktiven Ausführung von vorhin über den HERRN nicht einmal mehr gesprochen werden. Wenigstens nicht mit bildgestaltender Absicht.

    Wie sähe es dann aber mit dem Denken und Glauben aus?

    Tatsächlich stellte sich eine kuriose Situation ein. Es wäre mir verboten, mir ein Bild zu machen. Physisch, sprachlich und gedanklich. Gleichzeitig wird mir beispielsweise aber bischöflicherseits (katholisch) erklärt, dass der HERR ein strafender sei (Anlass: Loveparade). Damit wäre logischerweise gegen das strenge und umfassende Bildnisverbot verstoßen. Doch nicht nur das. Ich werde von seinen Hirten in Versuchung geführt, mir eine Vorstellung vom strafenden Allmächtigen anzueignen. Wenn ich jetzt behaupten würde, das sei "böse", und an die Bitte denke "...und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen...", käme ich nicht umhin, schmunzelnd die linke Augenbraue hochzuziehen.

    Das ist keine humoristische Einlage.
    Ich meine das ernst ; )
    (double-bind theory)

    Insgesamt eine außerordentlich spannende Diskussion, die da in Gang gekommen ist...

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  17. Und während ich gedanklich so umher wandere in meiner Schlaflosigkeit, stolpere ich über Fragen, deren Ausmaß ich gerade nicht recht abzuschätzen vermag. Was wäre, wenn ich in Anknüpfung an meine mathematischen Überlegungen zum Bildnisverbot feststelle: Wir suchen kein Bild oder Urbild, sondern die Abbildungsfunktion? Was bildet mich auf meinen Mitmenschen ab und umgekehrt?

    Dann ist nicht mehr interessant, WAS oder WER Gott ist im Urbild.
    Die Frage müsste dann lauten: Wie funktioniert er?
    Nein, wie funktioniert Göttlichkeit?
    Entpersonalisiert.

    Mir brummt der Schädel.
    Es ist spät. Ich versuche Schlaf zu finden.
    Gute Nacht.

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  18. Lieber Hans,
    ich kann gerade nur sehr knapp auf diese ausführlichen Überlegungen antworten.
    Als ich Ihren ersten Beitrag las, dachte ich: Letztlich ist das tautologisch. Denn Sie fragen: Was ist ein Bild schon? Und antworten: eine Menge von Elementen (mathematisch betrachtet). Und dann beweisen Sie, dass durch die unendliche Menge an möglichen Funktionen die Abbildmengen nicht zurückgeführt werden kann auf eine Urbildmenge. Das stimmte aber nur, wenn die Voraussetzung stimmte: dass das Bild eine Menge von Elementen sei. Das schon bestreite ich. - Darum ging es - in anderer Weise - ja schon bei meiner Auseinandersetzung mit Markus A. Hediger (obgleich ich ihn, glaube ich, da missverstanden habe): dass das Bild nicht zu v e r s t e h e n ist als Kombination von Einzelelementen. Der Bildsinn konstituiert sich vielmehr aus der energetischen Beziehung der Elemente. Doch über einen Umweg kommt Markus A. Hediger dann zu einem ähnlichen Schluss: Es dürfe über den HERRN nicht gesprochen werden (mindestens nicht abschließend.).

    Jedoch sind Sie beide mir damit wieder "entwischt". Denn mir geht es ja gerade nicht um das R e d e n über den HERRN (auch nicht das Sprechen in Bildern), sondern um das sich materialisierende Bild. Und da hat mich Ihr "Sprach-Bild" von der Abbildfunktion zu einer neuen Überlegung geführt:

    In der Schöpfungsgeschichte schafft der HERR Welt (Dinge), nur einmal schafft er ein (Ab-)Bild (seiner selbst): Uns. Dies Abbild nun wird selber bildend. Schafft. Bilder. Und Dinge. Bild-Dinge. Und das ist die "Ursünde": Das geschaffene Bild wird selber Schöpfer. Schafft eine eigene Welt. Es erkennt sich nicht mehr im Ursprung, sondern im selbst geschaffenen Bild, welches die Kraft dazu eben daraus bezieht, dass es nicht bloß "Bild" bleibt, sondern Ding (Wirklichkeit) wird. Das kann ER (beziehungsweise die Priesterschaft, die ihn installiert, den allmächtigen EINEN) nicht dulden. Daher das Verbot. ---Das nach meiner Überzeugung aufgehoben wird in der Menschwerdung Christi (doch das führt jetzt zu weit). ---
    Ich wollte nur kurz schreiben. Die Pause ist herum. Wie sehr mich das beschäftigt. Brumm-Schädel :)

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  19. Da möchte ich einen Irrtum aufklären: Ein Bild (im mathematischen Sinn) ist nur e i n Element einer Menge von Elementen. Wenn die Abbildungsfunktion lautet f(x) := x², dann ist nur "81" das Bild von "9" unabhängig davon, wie viele andere Elemente die Bildmenge noch umfasst. Insofern geht Ihre Bestreitung der Voraussetzung ins Leere (verzeihen Sie bitte diese trockene Ausdrucksweise : )
    Um dieses Beispiel noch schnell zu Ende zu führen: Mit der gegebenen Funktion ist "81" nicht nur das Bild von "9", sondern auch das Bild von "-9". Die Frage nach d e m Urbild von "81" ist nicht lösbar, denn es gibt in diesem konkreten Fall zwei unterschiedliche Urbilder. Ganz ohne Kenntnis der Abbildungsfunktion ist die Anzahl der möglichen Urbilder für das Bild "81" unendlich, wie Sie zutreffend schreiben.
    Das Missverständnis wurzelt möglicherweise darin, dass nicht jedes in der Bildmenge enthaltene Element auch tatsächlich "Bild" sein muss.

    (Über Ihre neue Überlegung will ich noch ein bisschen nachdenken)

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  20. Das hatte ich missverstanden. "Mathematisch betrachtet ist es eine Menge von Elementen.", schrieben Sie oben. Also dachte ich die Zahlen stünden jeweils für ein "Bildelement", nicht für ein Bild.

    Dann liegt das Problem der "mathematischen Metapher" woanders: nämlich darin, dass die Beziehung zwischen Bild (Zahl) und Abbildfunktion vollkommen willkürlich ist. Das hingegen bestreite ich (Sie sehen, wie streitbar ich bin :) auch. Es gibt zweifellos unendlich viele Möglichkeiten der Abbildung, jedoch beziehen sie sich auf das Bild, ergeben sich aus den Bedingungen, die es setzt (Unendlichkeit und Willkür sind ja nicht identisch). Für jene, die wie Goethe das Symbol der Allegorie vorziehen, besteht sogar eine zwingende Beziehung zwischen Abbildfunktion und Urbild. Die behaupten eine Ur-Sprache, deren Zeichen nicht willkürlich sind. (Ich selbst bin da unentschieden.)

    Haben Sie gesehen - ich glaube Markus A. Hediger bezieht Ihre mathematische Metapher in die Überlegungen, die er auf "Veranda" veröffentlicht, mit ein.
    Herzliche Grüße
    Melusine

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  21. Ja, ich hab Markus A. Hedigers "Der Stuhl (2.0)" gelesen und stelle bei der Gelegenheit gleichzeitig fest, dass ich seinen Beitrag "Bildlich gesprochen" in einem meiner Kommentare gestern spät nachts unrichtigerweise Michael Perkampus zugeschrieben hatte. Pardon.

    Mir ist jetzt auch klar, dass ich Sie sprachlich bedingt (Menge von Elementen) in die Irre geführt hatte. Auch das ist mir etwas unangenehm. (Kann ich's denn wirklich nicht besser?) Unter der Voraussetzung, dass ich Ihnen damit nicht auf die Nerven falle, würde ich Ihrer neuerlichen Bestreitung entgegenhalten, dass die Beziehung zwischen Bild und Urbild besteht, nicht zwischen Abbildungsfunktion und Bild. Die Abbildungsfunktion i s t die Beziehung. Aber lassen wir die Mathematik doch hinter uns.

    Lieber möchte ich Ihren Gedanken aufgreifen vom HERRN, der ein (Ab)Bild seiner selbst schuf. Die Frage stellt sich mir, in welcher (funktionalen) Beziehung wir als Abbilder zu IHM stehen. Wenn ich in bildlichen Kategorien denke, komme ich über meinen sinnlichen Horizont nicht hinaus. Wenn ich hingegen als von IHM gewählte "Abbildungsfunktion" die Liebe annehmen würde, käme ich in andere Denkbereiche. Dann könnte ich auch fragen, welche SEINER Fähigkeiten sich in uns, den Abbildern, im Schöpfungsakt manifestierten. Wäre die Liebesfähigkeit eine solche? Sehen wir uns um in der Natur. Welche der von IHM erschaffenen Geschöpfe sind mit ähnlicher Liebesfähigkeit ausgestattet? Und dann bedenken wir noch, was Liebe zu bewirken imstande ist. Versuchen wir einmal probehalber, die Aussage "in Liebe miteinander verbunden sein" vor diesem Hintergrund aufzufassen.

    Ich bekomme es noch nicht recht hin, doch steigt da eine Ahnung in mir auf, weshalb Sie mit der Menschwerdung Christi das Bilderverbot aufgehoben sehen wollen.

    Alles Liebe Ihnen
    Hans

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  22. Ich hab geträumt das Gott alle gläubigen aufisst, das wäre ein Ding wenn es wirklich so wäre, da würdet ihr aber ganz schön gucken, mit euren bildnissen und was man nicht alles darf, man darf nämlich alles, man darf nur keine schlechten Texte schreiben

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  23. Lieber Hans,

    ich hatte Sie schon verstanden, mich selbst jedoch missverständlich ausgedrückt. Es ging mir darum, wie die "Abbildfunktion" gewählt wird. Ich denke, unter den unendlich vielen Möglichkeiten wählt der Schaffende eine, die seiner Vision vom (Ab-)Bild dient und weniger eine, die eine Entsprechung zum Ur-Bild herstellt (weil er dieses ohnehin auch nur imaginieren kann). (Damit setze ich mich aber in Widerspruch z.B. zu Goethe.) Ich hoffe, ich nerve Sie jetzt nicht durch mein Insistieren.

    Für mich rührt das "Bilderverbot" an einen urmenschlichen Konflikt: dass unsere Schöpferkraft und unsere verlogene Hybris in eins fallen, dass das Großartigste, was wir schaffen können, zugleich jeweils am schärfsten unsere "Natur" und die Grundlagen unseres Seins in Frage stellt, dass indem wir schaffen, wir notwendig zerstören. Diesen unaufhebbaren Konflikt: unsere Vertreibung aus dem Paradies, wenn Sie so wollen (aus der Einheit mit der "Natur"), will das Bilderverbot durch den Gehorsam und die Verpflichtung auf eine Beschränkung aufheben. Doch - meine ich - können wir hier nie vollständig gehorsam sein. Von anderer Seite stieß Wittgenstein darauf: Wovon wir nicht sprechen können, müssen wir doch reden. :)
    Für den Gläubigen (und nur für den) kann die Menschwerdung Christi mit diesem Konflikt versöhnen: indem in der umfassenden Liebe Gottes geborgen ist, woran wir versagen, die so nicht lieben können.

    Auch Ihnen alles Liebe, Hans

    Melusine

    PS. Doch ist die Versöhnung in uns nie "vollkommen". Und alles, alles "zweifelhaft".

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  24. Heute am Morgen, als ich das oben noch mal nachlas, fiel mir auf, wie ausschließend das klingt: dem Gläubigen (und nur dem). So meinte ich es nicht. Sondern so: Man (ich) ist ja nicht immer "fest" im Glauben. Und von außen betrachtet, ist es bloß ein Wahnsystem.

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  25. danke, melusine, fürs löschen.

    kurz noch zu "kulturelle zeichen"

    es gibt ja nun in dieser welt ( auf diesem planeten ) unglaublich viele verschiedene sprachen ( auch schon ohne
    dabei noch derer dialekte zu berücksichtigen ) unglaublich viele divergierende musikalische "verfahrensweisen"
    und unglaublich viele divergierende religiöse kontexte, spricht man vom göttlichen an sich, dann wohl subtexte,
    wobei christliche texte ( eigentlich monotheistische texte ) sicherlich als subtexte anzusehen wären.
    fällt nun irgendwo mal so lax der ausdruck kultur, so sehe ich ersteinmal dieses konglomerat aus sprachen,
    musikalischem und religiösem.
    ich verstehe deshalb schon mal schwer, wie es ein studienfach "kulturwissenschaften" geben kann, da meiner meinung
    nach so ein studium nicht abgeschlossen werden kann, nicht einmal dann, wenn man ein wirklich "ewiger student" wäre, der bis zu seinem tode universitär eingeschrieben bliebe und gewissenhaft bis dahin studierte.
    nahm ich mal so an.
    es kann ja auch sein, dass wenn jemand das wort kultur oder kulturell einfach so völlig unspezifiziert in gedankliche
    überlegungen einbastelt, ganz einfach ein kulturtrottel ( oder ideologisch ) ist, der sich hermetisch auf abendländische oder vielleicht westliche, dazu christlich grundierte kultur unausgesprochener weise beruft.

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  26. ... das finde ich das schwierige an solchen abstrakt gehaltenen diskussionen.

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  27. @Lobster Es geht hier - nicht unausgesprochen, sondern ausdrücklich - um das jüdisch-christliche Bilderverbot (Dekalog). Um nichts anderes. "Das Bild", womit dieser Kommentarstrang anfing, ist eine abendländische Erfindung. Andere Kulturen haben andere Darstellungsformen entwickelt. Genau diese Differenz (z.B. zur arabischen Kultur) herauszuarbeiten, finde ich wichtig. Weil mir nur so die Grenzen meiner Sichtweise bewusst werden. Viel gefährlicher finde ich eine undifferenzierte Multikulti-Übernahme von allem und jedem, die im Grunde immer nur eine Enteignung aus Missverständnis ist.

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