Samstag, 4. September 2010

DIE MACHT DER PERSPEKTIVE

„Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Wirklich?

Wie mir dieser Poesiealbumsspruch aus dem „Kleinen Prinzen“ auf die Nerven geht. Das Herz sieht gar nichts. Es pumpt. Blut durch die Adern. Eine wichtige Aufgabe. Wenn einen jemand in bestimmter Weise ansieht, könnte es sein, dass das Herz schneller schlägt. Oder dass es bei einem Anblick aussetzt, auch das ist möglich. Das Gesehene kann das Herz und seine Funktion angreifen. Aber das Herz sieht nichts. Weder gut noch schlecht. (Ich weiß wohl, dass dies metaphorisch gemeint ist. Auch das gefällt mir nicht. Es unterstellt, dass unsere Gefühle „gut“ sind. Mir gefällt die ganze Moral, die diesem Spruch eingeschrieben ist, nicht.) Das Herz also sieht nicht, aber vielleicht das Hirn. Statt des Auges. Womit sehen wir? Wo und wie bildet sich das Bild? Von den Antworten auf diese Fragen hängt viel ab, wie Hans Belting zu zeigen vermag: ganze Seh- und Bildkulturen, Weltanschauungen und Erkenntnistheorien.

Perspektive: Die Durch-Schau

Es ist eben, denkt der westlich geprägte Mensch, alles „eine Frage der Perspektive“. Des Durch-Schauens also. Die Perpektive, das Durch-Schauen macht die Bilder-Welt durchsichtig hin auf die Welt, die sie abbildet. Das perspektivische Schauen ist uns westlich geprägten Menschen so üblich, dass wir es häufig für „natürlich“ halten. Zwar erklärte die perspektivische Theorie der Renaissance ihren Blick mit der Funktionsweise des Auges. Doch zugleich wählte sie diesen Blick als Symbol der Selbstdeutung, indem sie der visuellen Wahrnehmung das Privileg der Welterkenntnis einräumte. Belting schreibt: „Die Kritik beschuldigt die Perpektive, an unserer ´Augensucht´ schuld zu sein und außerdem mit falschen Prämissen gearbeitet zu haben. Doch wir kommen von diesem Erbe der frühen Neuzeit trotz aller Anstrengungen nicht los, sondern bleiben an Sehkonventionen gebunden, die in der ganzen Welt als westliches Patent gelten. Das Zeitalter der Globalisierung steigert noch die Macht der Perspektive, in der sich einmal die koloniale Medienherrschaft ausgedrückt hat.“

Alle Prämissen der Perspektive sind falsch: Es gibt den Blickpunkt nicht, denn wir sind nicht ein-, sondern zweiäugig (Erst die Photokamera wird dieses „perspektivische Subjekt“ technisch durch das Objektiv exakt darstellen). Der Fluchtpunkt auf der anderen Seite ist, wie jeder weiß, eine reine Fiktion, gezaubert ins Unendliche. Der Raum dazwischen ist ein Raum, der in der Wirklichkeit gar nicht vorkommt, der geometrisch gerade gezogene ungekrümmte Raum. Das Bild, das in den Raum gestellt, den perspektivischen Raum „vor unseren Augen“ abbildet,  fixiert täuschend den Raum auf der Fläche. Es ist alles falsch. Und erscheint unserem Auge doch richtig.: Weil der „Bildschirm“, den die Perspektive aufstellt, wie Belting formuliert: „eine Metapher für die Anwesenheit des Betrachters ist, der dadurch als Funktion des Bildes überhaupt erst konstruiert wird.“

Wir sind „im Bilde“

Der durchschauende Blick braucht etwas, um hindurch zu schauen. Das Fenster wird eine naheliegende Metapher, um das Prinzip der Perspektive zu beschreiben. Augenpunkt und Fluchtpunkt, die sich beide in der Natur nicht finden lassen, liegen sich im perspektivischen Bild gegenüber. Der konstruierte Blick mit seiner endlichen Reichweite orientiert sich an einem unendlichen fernen Punkt, auf den die Fluchtlinien zulaufen. Eine Polarität zwischen HIER und DORT entsteht.  Romanshyn hat ein wunderbares Bild  hierfür gefunden. Er nennt den Fluchtpunkt eine Abschussrampe, auf der das Subjekt zum Astronauten wird.  „Im Blick nimmt sich der Betrachter das Recht, die Welt gleichsam von einer extremen Position aus zu beobachten. Er kann mit seinem Körper nicht dort sein, wohin sein Blick zielt.“ Weder auf der Retina, noch im Gehirn gibt es eine Fläche, die der des perspektivischen Gemäldes entspricht.  Wir setzen uns durchschauend ins Bild, indem wir den beweglichen Blick stilllegen: Fixieren. Das Bild, das die westliche Kultur prägt, ist eine faszinierende Täuschung des Blickes, durch die  Welt im Bild gebannt wird.

Die Perspektive ist der Verrat

Ich zitiere hier (mit Hans Belting) Orhan Pamuk, der die Übernahme der perspektivischen Malweise durch die Hofmaler in Istanbul als Verrat an der eigenen Kultur beschreibt. Der Blick, der sich anmaßt, die Welt zu „durchschauen“ ist aber auch der endgültige Verrat am Bilderverbot des allmächtigen Gottes. Dieser Verrat hatte sich schon lange abgezeichnet. Indem sich die christliche Tradition mit der gräko-romanischen  Bildkultur verband, setzte sie auf ein – wenn auch immer wieder umstrittenes Vorrecht – des Sehens. Der „Kult der Bilder“ ist zwangsläufig auch ein Bilderkult.Brisant“, schreibt Belting, „wurde es, als sich die Bilder mit dem Blick verbündeten, denn damit erkannten sie das Recht des persönlichen Blickes gegen die Macht des offiziellen Blicks von Staat und Kirche an. Die perspektivischen Bilder bilden Blicke ab und lehren damit den Betrachter, die Welt als Bild zu verstehen oder zum eigenen Bild zu machen. (Hervorhebungen M.B.)“

Der erste Verräter in diesem Sinne aber war aus meiner persönlichen Perspektive (die Er ins Recht setzt) der fleischgewordene Gott selbst: Jesus Christus. In seiner Gestalt setzt sich Gott selbst ins Bild. Und eröffnet auf sich eine Perspektive. Das ist ein unerhörter Skandal. Das urchristliche Dilemma, von dem Markus A. Hediger in seinem Kommentar zu "Schau mich (nicht) an" spricht. Und darum, meine ich, gilt das Bilderverbot, das auf dem Sinai dem Volk der Juden gegeben wurde und dem sie Gehorsam schulden, für Christen nicht. Ich könnte das auch anders formulieren: Wir haben, wenn wir ernsthaft glauben, dass der Jude Jesus Gottes Sohn war, kein Recht, uns das jüdische Bilderverbot anzueignen (und es damit denen, die an diesen Verrat nicht glauben, zu enteignen).

Gerade aus diesem Blickwinkel (um hier das Wort „Perspektive“ zu vermeiden) möchte ich nächstes Mal auf die Lichttheorie Alhazens schauen, die diesem Bilder-Verständnis ein völlig anderes Verstehen des Sehens entgegen setzt.


Nachtrag (5. September 2010/ 8.00 Uhr) : Die Kommentare zeigen mir, dass meine - stark verknappte - Darlegung hier einen Unterton hat, den ich nicht beabsichtigte. Sie lässt den perspektivischen Blick zu schlecht aussehen. Weil er - was keiner leugnen kann - "verfälscht". Ich jedoch will die Fälschung, gerade diese. Ich begrüße sie eben aus den Gründen, die oben genannt werden: Die Perspektive setzt das betrachtende Subjekt ins Bild. Sie ist der persönliche Blick des Individuums in die Welt: seine eigene Perspektive. Sie gibt dem Einzelnen Recht (gegen die "Über-Sicht"). Das will ich (auch um den Preis der Täuschung). (Und: Auch die Über-Sicht eröffnet keinen "wahren" Blick.)

25 Kommentare:

  1. "Der erste Verräter in diesem Sinne aber war aus meiner persönlichen Perspektive (die Er ins Recht setzt) der fleischgewordene Gott selbst: Jesus Christus."

    Das verstehe ich nicht. Dein ganzer Beitrag argumentiert von der unnatürlichen Natur des perspektivischen Bildes her. Verräter sind demnach die, die perspektivisch sehen oder abbilden. Zur Zeit Jesu gab es den perspektivischen Blick noch nicht. In diesem Zusammenhang verstehe ich nicht, wie Jesus ein Verräter sein konnte.
    Verräter sind wir Christen, die perspektivisch auf Jesus als Fluchtpunkt blicken, oder nicht?

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  2. "Die unnatürliche Natur des Bildes" - eher geht es um den Blick und dessen Natur.(Das Bild selbst kann ja gar nicht natürlich sein.) Es gibt einen Blick, der Bilder entwirft. Und einen, der es nicht tut. "Natürlicher" ist keiner. Für mich ist das auch keine moralische Kategorie.

    Ich meine hier den Verrat am Bilderverbot bzw. einer Kultur, die dem Bilderverbot huldigt (wie Orhan Pamuks). Wenn Gott sich einen Körper gibt und sich damit abbildbar macht, dann begeht er selbst (in der Gestalt Christi) Verrat am Bilderverbot. Er dürfte sich so nicht zeigen, wenn es weiter Gültigkeit haben soll. Und daher gilt es nicht mehr.
    Das perspektivische Abbilden vollendet diesen Prozess nur. (Im arabischen Raum ist das Abbilden aller Lebewesen verboten, auch un-perspektivisch.)

    (Ich habe diesen Schluss kursiv gesetzt, weil ich weiß, dass das "steile Thesen" sind. Und vorläufige. Schön, dass du widersprichst.:)

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  3. steht nicht im koran, nur in den hadisen ("Im arabischen Raum ist das Abbilden aller Lebewesen verboten, auch un-perspektivisch.")

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  4. Alhazen, über den ich schreiben werde, begründet den Verzicht auf Bilder oder die Unsinnigkeit von Bildern wissenschaftlich-weltanschaulich. Zweifellos steht er in der Tradition des islamischen Bilderverbots, das kulturell für die Region prägend war und ist. Ob das Bilderverbot im Koran steht oder "nur" in den Hadithen ist für einen gläubigen Muslim sicher von Belang. Für mich, die ich an die Schrift als authentisches Wort Gottes weder für die Tora, die Bibel noch für den Koran glaube, sondern sie als "Menschenwerk" lese, ist es nicht entscheidend.

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  5. ja, mag sein.

    wenn du davon ausgehst, dass alles geschriebene menschenwerk sei, dann sind auch alle blicke auf das wort und auf das bild, schrift erzeugt auch ein bild, nicht gottgemacht, oder?

    ich denke nicht, dass bei menschen ueberhaupt nichtentwerfendeblicke moeglich sind, weil unsere phantasie alles mit etwas ergaenzt, was gar nicht vorhanden scheint.

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  6. Ganz verstehe ich das jetzt nicht, hilf mir auf die Sprünge: die Schrift, behaupten die Schrift-Religionen (bzw. einige Auslegende), sei das "Wort Gottes", also unmittelbar von Gott. Für Blicke und Bilder kenne ich diese Behauptung nicht (allenfalls in dem ganz umfassenden Sinne, dass alles "von Gott ist", jedoch nicht als Medium der Offenbarung). "Das Bild" im westlichen Verständnis wäre eben ein "entwerfender Blick", "die Arabeske" (als Beispiel) ein anderer.

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  7. nur ein paar einwuerfe, das ist nicht mein metier.
    ich bin kein religionswissenschaftler. ;)
    ich stell mich jetzt mal absichtlich so naiv an, um vielleicht mit veraendertem blickwinkel/ perspektive auf den gegenstand der betrachtung schauend, vielleicht etwas anderes zu sehen.

    ich empfinde es seltsam, dass man ein geschriebenes werk als von gott eingegeben betrachten soll/kann/muss. da faengt bereits glaube an. es ist gar nicht bewiesen/beweisbar. seltsam, warum es nicht in mehreren sprachen gleichzeitig verkuendet/ausgegeben wurde, wenn gottes wort doch jeden erreichen sollte. propheten sind menschen (?) als mittler? alles, was der mensch von sich gibt, ist subjektiv gefaerbt.

    wenn ich etwas erblicke, wandern die augen darueber, um es moeglichst ganzheitlich zu erfassen. es geht nur immer nacheinander, nicht gleichzeitig. man kann das ganze nicht mit einem blick erfassen.

    schrift ist nicht gott- sondern menschengemacht. das schliesst fehler mit ein.

    eine arabeske ist auch nicht abstrakt, eher ein stilisiertes muster, dass sich urspruenglich aus blumen oder ranken entwickelt hat.

    "Zur Zeit Jesu gab es den perspektivischen Blick noch nicht"- wieso nicht? ein affe musste greifen koennen, dazu brauchte er den perspektivischen blick. menschen haben tiere gejagt, dazu mussten sie sich raeumlich orientieren koennen. antike bilder auf den waenden der staedte waren so illusionistisch (Trompe-l´œil) gemalt, dass voegel auf die darauf abgebildeten fruechte flogen, um sie zu fressen. perspektivisches abbilden trat im mittelalter zurueck.

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  8. "ich empfinde es seltsam, dass man ein geschriebenes werk als von gott eingegeben betrachten soll/kann/muss. da faengt bereits glaube an." Das geht mir ganz genauso. Da ich Christin bin, habe ich mich in dem Zusammenhang vor allem mit den sogenannten "bibeltreuen" Christen auseinanderzusetzen. Ich selbst finde einen historisch-kritischen Zugang zum Text angemessen. Das schließt nicht aus, dass im Lesen des Textes dem Gläubigen sich "Gottes Wort" offenbart. Das allerdings ist unbeweisbar. In der Tat.

    "Das Erfassen des Ganzen" - darauf werde ich noch kommen, wie das Auge sich jeweils einstellt. Der perspektivische Blick gibt nur eine "Einstellung" (also die gültige?) wieder. Ich glaube, die moderne Kunst setzte sich mit diesem Aspekt des Bildes selbstkritisch auseinander (wie mit anderen auch).

    "Eine Arabeske ist nicht abstrakt." - Das stimmt. Es wäre völlig falsch, die Arabeske mit einem westlichen Blick als "abstrakte Malerei" zu betrachten. Ich werde darauf noch näher eingehen.

    Das perpektivische Abbilden in der Antike (architektonisch) unterscheidet Belting deutlich von der Perspektive des Bildes. Ich kann auf alle Aspekte hier nicht eingehen, aber der für mich Wesentliche wäre die Position des Betrachters im Bild, das heißt die Etablierung eines subjektiven Betrachters vor dem Bild. Ich denke, den sieht das Antike Trompe-l´oeil nicht vor. Aber ich bin da keine Expertin.

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  9. @Markus Dein Einwand/dein Nicht-Verstehen beschäftigten mich. Ich habe hier noch einen gefunden, der versuchte ähnlich zu argumentieren wie ich (ohne dass dies in irgendeiner Weise "belegen" könnte, dass diese Sichtweise "im Recht" ist): Johannes von Damaskus "Drei Reden gegen die Verleumder der heiligen Bilder", der die Bilderverehrung mit dem Argument verteidigt, die Fleischwerdung des Wortes ziehe seine Darstellbarkeit nach sich. Er verteidigt sich in diesen Schriften gegen Vorwürfe von muslimischer Seite, die Christen "würfen sich vor dem Kreuz nieder".

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  10. Ich glaube mittlerweilen, dass wir (beide) das Thema des Bildverbots ganz falsch angehen. Wir können es verstandesmässig nicht auf eine Formel herunterbrechen. Religion bzw. Glauben ist gleitendes Leben, gleitendes Denken. Wir leben und denken dazu, kommen dabei an Themen vorbei, streifen es mit unserem Denken, erfahren es, leben weiter, stossen später vielleicht von einem anderen Punkt her kommend wieder darauf, ein neuer Aspekt erschliesst sich, eine neue Frage tut sich auf - um es mit meinem Lieblingswort zu sagen: Wir leben metaphorisch, dh wir erschliessen uns die Welt, das Leben, das Glauben ständig neu, indem wir neue Beziehungen herstellen.
    Ein Verbot ist immer nur unter bestimmten Bedingungen sinnvoll und sinnig.

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  11. "Ein Verbot ist immer nur unter bestimmten Bedingungen sinnvoll und sinnig." - Das genügt mir nicht. Ein Verbot ist ein Verbot. Du kannst nicht hergehen und sagen: Ich folge nur, wenn es mir passt. Jedenfalls nicht, wenn du an die Autorität glaubst. Und du warst es, der das Verbot als gültig re-installieren wollte, weißt du noch? Mir geht es ja umgekehrt darum, es außer Kraft zu setze. Weil ich -ketzerisch, wenn du willst - die Autorität in Zweifel ziehe. Weil ich die Bilder nicht nur brauche, sondern will. Die Freiheit des Subjekts (von der oben im Nachtrag die Rede ist), das sich seinen eigenen (perspektivischen) Standpunkt sucht. Und dass doch um die Augentäuschung weiß. Für mich ist es nicht ("nur") ein theologisches Problem. Ich will auch herausfinden, was mich von einer Kultur unterscheidet, die ohne Bilder (in dem Sinne, in dem ich sie hier verstehe) auskommt und auskommen will. (Und mit der mich eine enge Freundschaft mit Azar verbindet.)

    (Und siehst du: Ich lebe nicht bloß metaphorisch; ich trinke kein Blut und esse keinen Leib. Ich trinke Wein und esse Brot. Ich lösche den Durst und stille den Hunger. Darum lass ich mich nie mehr betrügen.)

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  12. "Und du warst es, der das Verbot als gültig re-installieren wollte, weißt du noch?" Ja, aber hast du nicht gemerkt, wie oft ich in meinen Erklärungsversuchen mir selbst widersprochen habe?
    Ein Verbot ist ein Verbot: Siehst du, genau das ist MIR zu wenig. Und ich habe nirgends gesagt, ich folgte nur, wenn es mir passt.

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  13. "Und ich habe nirgends gesagt, ich folgte nur, wenn es mir passt." Ja, stimmt. Das war polemisch. Ich weiß ja, dass du dir´s genauso wenig "passend" machen kannst wie ich. Nur eben anders herum. Du willst einem Verbot gehorchen und suchst nach der rechten Auslegung, wie es "Sinn macht". Und ich will n i c h t gehorchen und suche nach Gründen, warum es unsinnig ist, Gehorsam von mir zu verlangen.:)

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  14. "Und ich will n i c h t gehorchen". Da musst du dir aber auch die Frage gefallen lassen, warum du nicht willst.

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  15. Lieber Markus, ich könnte es mir jetzt leicht machen, oder? Einfach zurückfragen: Warum willst denn du gehorchen? Was treibt dich dazu an? (denn das ist mindestens so "fragwürdig", oder?).

    Aber ich mache es mir nicht leicht (bloß weil du´s bist!). Das "Du sollst..." allein schon löst in mir die Rebellion aus. Das trotzige Kind fragt: w´rum? Die Autorität, die sich nur behauptet, aber nicht "zeigt", kann ich nicht akzeptieren. Das habe ich noch nie gekonnt. Aber verstehe mich nicht falsch: Ich bin ein "braves" Kind (gewesen). Ich bemühe mich sehr, die Erwartungen derer zu erfüllen, die mich lieben (vielleicht sogar zu sehr). "Nicht in dem Ton" ist mein Reflex auf das "Du sollst...". Den anderen Ton, auf den ich höre, den höre ich aus den Neuen Testament. (Und meine Eltern, die schlugen ihn an. Drum bin ich ja auch - noch immer - gebunden; das "Du sollst..." hätte das nicht vermocht.)

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  16. "Die Autorität, die sich nur behauptet, aber nicht "zeigt", kann ich nicht akzeptieren."

    Aber dann frag ich mich, weshalb du dich Christ nennst. Klingt bös, mein ich aber nicht so. Wenn die "Autorität" für dich keine Wirklichkeit ist, musst du dir über Verbote, die von ihr kommen, auch keine Gedanken machen.

    Ich antworte dennoch auf die Frage, die du stellst: Ich habe mir einige Male sehr böse die Finger verbrannt, weil ich nicht "gehorchte". Es sind Erfahrungen darunter, die ich lieber nicht gemacht hätte - auch im Nachhinein nicht. Ich glaube, dass es Dinge gibt, an denen man nicht ungestraft rührt. Tut man's dennoch, muss man einfach wissen, dass es nicht ohne Folgen bleiben wird. Tönt sehr konservativ, ist auch so gemeint :-)

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  17. "Aber dann frag ich mich, weshalb du dich Christ nennst." Auch hier frage ich zurück: Wie anders könnte ich mich Christ nennen? War es nicht Paulus, der schrieb: "...denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, ist Christus umsonst gestorben." und "Christus hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes." Dass Christus das Gesetz (ab-)löst, ist das nicht Kern des christlichen Glaubens? Eine Ende des Bestrafungs- und Belohnungsmodus, durch den der Mensch nichts weiter ist als ein domestiziertes Tier? Nicht aus Angst vor den Folgen soll der Christ handeln, sondern aus Liebe.

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  18. "Eine Ende des Bestrafungs- und Belohnungsmodus, durch den der Mensch nichts weiter ist als ein domestiziertes Tier?"
    Ich bezweifle, dass Juden das Befolgen der Gesetze so begründen würden. Benjamin Stein erklärte mir einmal, dass es ihm, als orthodoxem Juden, um die Erhaltung der Welt geht. Ein Gesetz befolgen hat für ihn mit einem achtsamen Umgang mit der Schöpfung zu tun. Ich finde das eine valide Sichtweise - vor der ich Respekt habe.
    Ausserdem dürfen wir (Christen) nicht vergessen, dass die Evangelien mit ihren Darstelungen der gesetzestreuen Schriftgelehrten nicht von Juden geschrieben wurden. Man darf also vorsichtig sein im Umgang mit diesen Beschreibungen.

    "Christus hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes."
    Ja. Nur sehe ich das im Leben der allermeisten überzeugten Christen nicht. Da herrscht eine Gesetzesgläubigkeit, die jene der Pharisäer weit übertrifft. Freiheit wird von Christen meist so verstanden, dass sie frei sind, wie Christus zu leben - das schlägt dann sehr rasch um in eine "du sollst nicht tanzen, rauchen, Liebe machen"-Haltung um (Sex drugs and rock'n'roll entstand ganz logisch aus der puritanischen Mentalität heraus).
    Ich vermute, dass es den Juden und Christen in einem Punkt um etwas sehr ähnliches geht: Um Sorge und Liebe für den Mitmenschen. Erstere tun es, indem sie die aus ihrer Erfahrung mit Gott und dem Menschen geborenen Gesetze befolgen (sie schützen in erster Linie ja nicht mich, sondern meinen Mitmenschen und meine Umwelt), letzere, indem sie das Gesetz durch eine Haltung der Liebe ersetzen, die immer das Beste für den Nächsten zu wollen versucht - ein vielleicht viel schwierigerer Weg, weil Liebe immer eine ungeschönte Begegnung mit dem eigenen Ich bedeutet.
    Liebe, so unbedingt sie auch sein mag, bezieht immer die Umstände, in denen sie sich äussert, mit ein. Liebe muss sich dem Relativen aussetzen. Das macht sie so schwierig.

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  19. "Benjamin Stein erklärte mir einmal, dass es ihm, als orthodoxem Juden, um die Erhaltung der Welt geht. Ein Gesetz befolgen hat für ihn mit einem achtsamen Umgang mit der Schöpfung zu tun. Ich finde das eine valide Sichtweise - vor der ich Respekt habe."

    Davor habe ich auch Respekt. Doch - sie sind, wenn sie glauben, "erwählt". Die größte Verantwortung, die höchste Last, nämlich die Erhaltung der Welt, lastet dann auf ihnen.

    Wir (Christen) können uns da nicht hinein drängen. So gerne wir das immer tun und uns alles aneignen und "aufs Kreuz hindeuten" lassen wollen. Gerade in dieser Zurückhaltung versuche ich meinen Respekt auszudrücken. Ich deute nicht die jüdische Tora, sondern deren christliche Interpretation, wenn ich gegen den Gesetzesgehorsam wettere. Die christlichen Pharisäer, von denen du sprichst, unter denen bin ich aufgewachsen (nicht in der engsten Familie allerdings) - gerade gegen sie und ihre lust- und freudfeindliche Gesetzestreue wende ich mich.
    Was du über die Liebe sagst, da gebe ich dir völlig recht. Wir werden auch liebend immer wieder versagen.

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  20. "Wir (Christen) können uns da nicht hinein drängen."

    Schon, allerdings stehen wir in der Verantwortung, uns mit dem Judentum auseinanderzusetzen, ohne den das Christentum undenkbar wäre. Eine Zurückhaltung, die so weit geht, das Christentum gänzlich von seinem Ursprung isoliert zu betrachten, hat für mich eben auch mit "Aneignung" zu tun: Wir machen den Juden Jesus zu "unserem", verwestlichten Jesus.

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  21. Du hast recht. So einfach komme ich aus dem Zusammenhang nicht heraus. Es ist sehr heikel, nicht wahr? Aber kommen wir um das letzte, was du schreibst, herum? Dass wir den Juden Jesus zu dem "unseren" machen?

    Eine Unterscheidung scheint mir wichtig: Mein jüdischer Freund fühlt sich den Geboten verpflichtet, weil sie (als Gottes Gebote) in der Schrift stehen. Dies gilt für einen Christen, meine ich, nicht (schon Luther schreibt ja: "dass uns auch die zehen gebot nichts angehen, denn ER hat uns nicht aus Egypten geführt, sondern allein die Juden". Sie gehen "uns" nur insofern an, als sie einen Widerhall finden i n uns.

    Da hast du es wieder, das ganze christliche Dilemma: alles innerlich und du bist immer auf dich selbst zurück geworfen.

    (Deshalb halte ich in meinem heutigen Post mal - zu meiner Entlastung - ein Plädoyer für die Äußerlichkeit :))

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  22. "[...] Position des Betrachters im Bild, das heißt die Etablierung eines subjektiven Betrachters vor dem Bild. Ich denke, den sieht das Antike Trompe-l´oeil nicht vor [...]"

    ich bin gespannt, wie das gemeint ist.
    wollte gerade ein bsp. bild dazu posten, ist aber nicht im netz zu finden:

    Wandmalerei aus einer Villa in Boscoreale bei Pompeji, Architekturlandschaft, 1. Jh. v. Chr., Metropolitan Museum NY, in Lurz, Aspekte der Kunst, S. 65

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  23. Liebe Julia, ich werde die Stelle bei Belting heraus suchen, bin aber momentan unterwegs und kann seine Argumentation aus dem Stehgreif nicht wiedergeben.

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  24. @MelusineB: Wie deutest du dann Matthäus 5.17ff?

    (Und zu deinem Nachtrag am Ende des Hauptbeitrags: Dann willst du auch einen verfälschten Gott, einen Gott, der deiner Perspektive gerecht wird?)

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  25. Hallo liebe Julia, ich bin erst vor gut einer Stunde nach Hause gekommen (und habe also wieder Zugang zu dem Buch von Belting). Musste allerdings erst noch eine Gulaschsuppe aufsetzen (die muss mindestens 2 Stunden durchziehen, damit sie was taugt).

    Also: Belting betrachtet die Perspektive in der Renaissance als eine neue "Erfindung". Er bezieht sich ausdrücklich auf Panofskys Aufsatz zur Perspektive, in dem auch der Antike eine Art von Perspektive zugeschrieben wird. Auch Panofsky aber schreibt, dass die Antike eine gänzlich andere Raumauffassung gehabt hat. Zum perspektivischen Verfahren der Antike hält nun Belting fest: "Es konnte in der Antike schon deshalb kein solches Verfahren geben, weil sie nicht über das mathematische Wissen verfügte, das die arabische Theorie dem Westen erst vermittelt hat. (...) Den Römern ging es um ein Bühnenbild, in dem man Architektur auf gemalten Flächen hervorzaubern konnte, und also um die Erzeugung von Illusion (hier verstanden als "Sinnestäuschung", Beispiel: Verkürzung der Säulenreihe) (...) Die pompejanische Wandmalerei bewährte sich als Bühnenmalerei in Privathäusern. Sie war ein Medium der Illusion, aber sie ist kein Beispiel für die Existenz einer genormten Perspektive..." Es geht ihm darum, dass erst der Einsatz des mathematischen Verfahrens einen Betrachterstandpunkt (gegenüber des Fluchtpunktes) k o n s t r u i e r t. Das Bild wird sozusagen außerhalb seiner selbst vom Betrachterstandpunkt her geschaffen: So kommt der Betrachter "ins Bild". Das, meint Belting, sei in Pompej noch nicht der Fall gewesen.

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