Donnerstag, 14. Oktober 2010

DER MEISTER SCHRIEB AM PULT

...und es beunruhigte ihn: Könnten die Frauen auch ohne Männer?
"Frau Rat, so oft mir was Komisches begegnet, so denk ich an Sie, und was das für ein Jubel und für eine Erzählung sein würde, wenn Sie es selbst erlebt hätten."  (Bettina von Arnim: Goethes Briefwechsel mit einem Kinde, I. Briefwechsel mit Goethes Mutter)








Goethes Elternhaus im Hirschgraben ist geräumig, die Wohnräume erstrecken sich über drei Etagen. Empfangsräume für das Publikum (die Nachbarn, Freunde, Geschäftspartner) im ersten Stock, weiter oben die privaten Arbeits- und Lebensräume. Dort also saß Bettina zu Füßen von Goethes Mutter Aja und ließ sich erzählen, wie er war, der kleine Johann Wolfgang. Bettines Buch „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“ wird zu Unrecht von manchen wahrgenommen, als sei das Kind Bettine, dem der Dichterfürst ein ferner Gott ist, die Stimme der erwachsenen Autorin, die den Briefwechsel überarbeitete und herausgab. Bettine von Arnim jedoch gibt hier dem Dichter zurück, was dieser selbst  - wohl wissend warum - im Dunkeln ließ: seine Herkunft aus dem Schoß der lebensklugen Mutter Aja. (Lesen Sie den Anfang von "Dichtung und Wahrheit" über jene Planetenstunden, die allein geeignet gewesen sei, die Geburtsstunde des Dichters zu sein und denken Sie an den Kampf einer Gebärenden. Dann wissen Sie, was ich meine). Wohl hat Aja Goethe ihren Platz in „Dichtung und Wahrheit“, doch geht es allein um die Mutter-Sprache, die sie ihm verleiht und in ihm zum Klingen bringt. Bei Bettine dagegen gewinnt Goethes Mutter eine eigene Stimme, die Stimme einer Frau, die den berühmten Sohn gehen lassen kann und für sich selber steht: Aja Goethe, die nicht darin aufging, die Mutter Goethes zu sein. Und wiederum Bettines Stimme entwickelt sich eben in Wahrheit aus diesem Dialog mit der anderen Frau und nicht aus dem Briefwechsel mit dem berühmten Mann. Der Anschein eines Groupies, den Bettine sich gibt, als wolle sie sich in seinem Glanze sonnen, ist bloße Beschwichtigung (des männlichen Egos und Lesers): Er dient dazu sich im wärmenden Licht an der Seite von Goethes Mutter einen Platz zu verschaffen. Darüber muss ich noch einmal schreiben – am Text entlang (Ich bedauere, dass ich es nicht hier habe, in Berlin, dieses mir so liebe Buch von Bettine von Arnims).

Ganz oben im Hirschgraben findet sich das berühmte Puppenpapiertheater, aber auch die Stube, auf der der junge Goethe seine ersten Werke schrieb: den „Werther“, den „Götz“ und die frühen Gedichte. Er schrieb am Stehpult, wird berichtet: Ich stelle mir vor, wie er die Feder ansetzte, einige Worte hinschrieb, auf und ab ging in der Kammer und deklamierte, was er geschrieben hatte. Ich bin überzeugt, dass er sich vorsprach, stehend, gehend, was er schrieb. Sobald der spätere Geheimrat sich das leisten konnte, diktierte er die Worte. Goethes Sprache geht von einem Sprach-Symbolismus aus, der im Wort kein arbiträres Zeichen sieht, sondern eine Entsprechung zur Welt, die nur richtig erkannt und gefühlt werden muss. Der Klang ist entscheidend. Das Schreiben mit dem ganzen Körper, stehend, gehend, sprechend entspricht dieser Auffassung und drückt sie aus. Stehpulte mögen damals verbreitet gewesen sein, doch andere schrieben auch damals schon anders: sitzend, manche im Bett, verharrend, die Worte, die die Hand aufs Papier setzte schon im Moment der Niederschrift als fremde, kontingente Zeichen wahrnehmend, die nIcht Identität herstellen konnten, sondern Entäußerung, die Unvereinbarkeit von Bezeichnetem und Bezeichnung aus- und darstellend. 

Droben, in Goethes Stube, hängt auch ein von ihm gezeichnetes Porträt der Schwester Cornelia, hingeworfen auf einen Korrekturbogen zum „Goetz“. Diese Schwester, von der er so herzlos sagte, ihr fehle, was alleine einer Frau zum Glück verhelfen könne, nämlich äußere Schönheit. Er wusste viel, Goethe, aber er wusste nicht alles. Er wusste nur weniges über Frauen - oder nur das, was sie ihm (und andern Männern) waren oder sein sollten. (Das gilt für die meisten Männer, fast alle, und sie glauben oft tatsächlich, das wäre schon, was Frauen sind.) Es war ihm auch gleich, denke ich, was sie einander sein konnten. Ja, an manchen Stellen seines Werkes fühle ich ein gewisses Unbehagen, wo die Ahnung sich andeutet: dass Frauen miteinander etwas haben könnten, bei dem kein Mann fehlte.

2 Kommentare:

  1. Schön. Würde mich interessieren, der erste Teil Deines Textes, mit Textbeispielen.

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  2. Ich wollte noch über Bettina von Arnims Buch "Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" schreiben. Im Oktober in Berlin, als ich diesen Text über einen Besuch im Goethehaus einige Tage vorher fertig schrieb, hatte ich es nicht dabei. Zuhause fing ich an Zitate herauszusuchen, aber dann kam viel anderes dazwischen, u.a. ein Beitrag über Bettinas Ehe mit Achim von Arnim (unter: Un-Perfekte Paare). Ich wünschte, ich finge nicht dauernd was Neues an, sondern schlösse meine Projekte erst mal ab. Aber ich bin einfach nicht so. Ich schreibe, wie ich lese: Immer mehrere Texte gleichzeitig. Momentan kämpfe ich mit meinem Text über das großartige Buch von Werner Bräunig "Rummelplatz". Es ist schwer, dieses gewaltige Panorama in einem knappen Text zu fassen. (Aber ich verspreche: Über Bettina von Arnim werde ich noch öfter schreiben.)

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