Samstag, 2. Oktober 2010

GEFRORENE BILDER

Guido Rohm schreibt heute: "Ich erfinde mir Tagträume, weil ich mich an meine Nachtträume nicht erinnern kann." Meist geht es mir auch so. Nur selten wache ich auf und habe ein Traumbild vor Augen. Ungefähr fünf- oder sechsmal im Jahr. Wenn es aber geschieht, dann wünschte ich immer, ich hätte keine Erinnerung daran. Denn meine Träume (wenn sie ins Bewusstsein gelangen), sind gefrorene Bilder. Wie ein hängen gebliebener Film. (Aber nicht wie: Und ewig grüßt das Murmeltier. Keine Endlosschleife.) Das Bild steht still. Und ich in ihm. Unbeweglich.Ich sehe mich auch nie ganz. Ich sehe nur meine Hände. Meine Füße. Die sich nicht bewegen können. Aber müssten. Die Bilder wiederholen sich, manche von ihnen Jahrzehnte lang. 

- Eine weiße Tür, im oberen Drittel vier kleine Milchglasfenster, von einem weißen Kreuz durchteilt, dahinter schemenhaft ein unkenntliches Gesicht. 

- Ein Tiger auf meiner Bettdecke. Das Maul aufgerissen zu einer festgezurrten Grimasse. Reißzähne.

- In einem dunklen Lehnstuhl, vor mir auf dem Boden ein Bündel, aus dem der Arm eines Babys ragt, ringsum Männer in dunklen Umhängen, schweigend. Ich sehe meine verkrampften Hände auf dem dunklen Holz.

- Ein verspiegelter Fahrstuhl zwischen zwei Stockwerken. Ich kauere in der Ecke und stecke den Kopf zwischen die Beine.

Alle diese Bilder verbinden sich mit dem Gefühl von Panik, das zur Lähmung führt. Meist wache ich mitten in der Nacht auf, schweißgebadet, und springe auf. 

Ich kann mich bewegen. Ich erfinde Geschichten, um mir das zu bestätigen?

10 Kommentare:

  1. Das Raubtier (Löwe) auf der Bettdecke, ich erinnere mich - auch an die Panik und die Verletzungen während der Abwehrversuche im Aufwachen... *brrr* (grausig)

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  2. Sie auch? In meiner Erinnerung allerdings gibt es keine Abwehrversuche. Nur das (ich schrieb das so mal bei Aléa Torik, als NO die "Katze Erinnerung" von Johnson zitierte):

    "Die ersten drei Lebensjahre (an die ich freilich kaum eine eigene Erinnerung habe) wohnte ich mit meinen Eltern zur Untermiete bei der Katzenfrau. In ihrem Hause lebten bisweilen mehr als zwanzig Katzen. Sie waren, sagt meine Mutter, einfach überall. Die "Katzenmutter", sagt meine Mutter, liebte sie mehr als ihr eigenes Kind. Das war eine kleine Wohnung. Ich schlief im Zimmer der Eltern. Als wir ins neue Haus zogen, hatte ich erstmals meine eigene Kammer. Doch jede Nacht, sagt mein Vater, kam ich nach Mitternacht aufgelöst zu den Eltern gerannt, zitternd am ganzen Leib, verschwitzt und keuchend von der Flucht vor dem Tiger. Das erinnere ich nicht mehr. Aber den Tiger mit seinen glühenden grüngelben Augen, den sehe ich vor mir, wie er auf meiner Bettdecke hockt und mich anstarrt und dann ganz langsam das Maul öffnet und die Reißzähne entblößt. In meiner Erinnerung bin ich wie gelähmt und kann mich nicht rühren. Aber irgendwie muss ich es ja doch jede Nacht ins Zimmer der Eltern geschafft haben."

    Mein Erinnerungsbild ist eingefroren. Aber Ihren Film kann ich mir auch vorstellen. Muss schlimm sein, wenn es "wirklich" zum Angriff kommt.

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  3. Ich habe lebende Erinnerung (15-17) daran. Zum "wirklichen" Angriff kam es nie, wohl aber zu den Verletzungen an den Füßen. Die waren echt.

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  4. Ich bin jetzt gar nicht sicher, wie das zu verstehen ist: "lebende" Erinnerung: dass die Erinnerung lebendig ist? oder das Tier lebend war? Und wie kam es zu den Fußverletzungen?

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  5. Die Erinnerung ist lebendig. Das Tier verhielt sich ruhig, es war bloß da. Die Fußverletzungen zog ich mir jedesmal bei den Abwehrtritten (oder besser gesagt, dem "Panikstrampeln") an einem Regal über dem Bettende zu.

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  6. Oh. Das muss ein heftiges Abwehren gewesen sein. Ich hoffe, das Regal (und sein Inhalt) blieben heil - und selbstverständlich: die Füße heilten rasch. Doch davon gehe ich aus, da Sie ja offenbar später auf Berge stiegen. :-)

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  7. "Ich erfinde mir Tagträume, weil ich mich an meine Nachtträume nicht erinnern kann."

    Ich erfinde mir eine Logik, damit niemand meine Unwissenheit bemerkt, klingt auch hübsch

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  8. Auch hübsch ist: Mir fällt zwar selbst nix ein, ich geb aber überall meinen Senf dazu.

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  9. @ Anonym
    Der vorgebliche Zusammenhang von Logik und Unwissenheit – analog dem der Tag- und Nachtträume - zeugt von einer umfassenden Unkenntnis Ihrerseits in allen betreffenden Bereichen. Das ist einfach Blödsinn.
    Aléa Torik

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