Dienstag, 23. November 2010

PANI TAU

Er wird damit durchkommen. Niemand wird Andreas anklagen, seine kleine Gespielin erdrosselt zu haben. Das ist Dorit klar, als sie den Leichnam unter dem Laub findet. Sie sieht die Würgemale am Hals, doch sie weiß: Legte sie den kleinen Körper zum Beispiel Robert vor, räumte der allenfalls ein, dass er Petra ähnlich sähe, gewiss, aber das sei doch ansonsten völliger Quatsch und ermahnen würde er sie, solche Behauptungen für sich zu behalten, denn Dorit wolle sicher nicht, dass man sie selbst für wahnsinnig halte...Dorit hört Roberts Suada geradeso, als werde sie wirklich gehalten.

Dieselbe Hilflosigkeit hatte sie schon gefühlt an jenem Abend vor sieben Monaten, als Andreas den Saal betrat. Dabei war, Dorit hätte es geschworen, noch nicht einmal ein Blick gewechselt worden, als es um Petra schon geschehen war. Die Frau, die sich Andreas gegenüber aufstellte, damit Robert sie einander vorstellen konnte, das war nicht mehr die Petra, die zwei Stunden zuvor das Pailettenkleid übergestreift, sich den Mund nachgezogen und in die hochhakigen Sandalen geschlüpft war, nicht mehr die, die schließlich selbstbewusst den Festsaal des Interconti betreten hatte. Diese hier, wie sie vor Andreas stand, war nicht geschrumpft, da noch nicht, doch machte sie sich schon klein, in der Art, wie sie errötete und fahrig mit den Händen durch die Luft fuhr, wie sie aber bezaubernd wirkte zugleich, erregt und erregend, wie siebso dastand und in die Knie ging, die Augen aufriss, leuchtend wie nie. Wie hätte er, Andreas, widerstehen können, dieser rothaarigen Kindfrau, die so offensichtlich in ihm den Himmel sah. Es war als flutete ihre Gefühlswelle den ganzen Raum, selbst Robert, dachte Dorit, selbst Robert blieb davon nicht unberührt, auch er zuckte, als träfe ihn eine Woge, nur leicht freilich, an der Schulter. Er streifte das ab. Sie, Dorit, hatte das nicht gekonnt; sie hatte sich gefühlt, als gehe sie mit Petra unter. Erst ein Blick in Andreas Gesicht hatte Dorit wieder zu sich gebracht, denn da war nichts, absolut nichts, was das hier rechtfertigte. Er sah ganz gut aus, Andreas Tau, gewiss, charmant, markant, gewandt, mehr nicht. Das war viel, natürlich, wenn man auf der Suche war, dachte Dorit, aber Petra war doch nicht auf der Suche. Petra hatte einen; einen der gut für sie war. Dessen Platz in Petras Leben war aber schon fristlos gekündigt. Am nächsten Abend, wenn er die Wohnungstür aufschließen würde, säße Andreas auf dem Sofa, Petras Kopf in seinem Schoß und die schaute den an von dort, gerade noch ein wenig Mitleid aufbringend, um ihm zu sagen, dass sein Koffer gepackt im Flur stehe.

Andreas Tau ließ es geschehen, anders kann man das nicht sagen. Er genoss es, welcher Mann hätte das nicht, wie die sich in seine Hände begab, sich ihm öffnete, an seinen Lippen hing, nicht metaphorisch, sondern tatsächlich, sich an ihn drängte und ihn umschloss mit ihren Schenkeln, wie ihre Zähne sich in seine Schultern bohrten, wenn sie unter ihm verging. Das hatte er so noch nicht erlebt, auch wie die wieder zu sich kam und sich in ihn einrollte, wie mächtig er sich fühlte an ihr, als hebe sie ihn auf einen Thron. Das war neu für ihn und  ein wenig ungeheuer, auch da schon. Aber erst nach einigen Wochen ging er zum ersten Mal nicht direkt nach Hause zu ihr, sondern nahm mit den Kollegen einen Feierabendtrunk. Da erzählte er, - wirklich nichts, was sie herabgewürdigt hätte, - nur wie sehr ihn das überwältigte, die Unbedingtheit, mit der sie ihn liebte. Die Kollegen lachten, prosteten ihm zu und frotzelten, jetzt habe es ihn erwischt, letztlich doch, jetzt werde man wohl bald eine Hochzeitseinladung bekommen und herzliche Grüße an Frau Tau. Er freute sich darüber, da noch, ging beschwingt nach Hause und riss ihr schon in der Tür das Kleid vorne auf, hörte begierig, wie der dünne Stoff riss, ihr zaghaftes Protestieren, das gar keines war, dann war sie schon sein, sein, sein.

So ging das eine Weile fort, er war zufrieden, nur ganz unmerklich wurde er etwas weniger zärtlich. Sie lebe doch nur noch für ihn, hatte sie gesagt. Dann begannen die Klagen. Sie verzweifelte an den Stunden, in denen sie nicht bei ihm war, ihre Haut trocknete aus, ihre Haare luden sich elektrisch auf, wenn sie durch den Laden strich, in dem sie arbeitete. Den ganzen Tag verzehrte sie sich nach ihm, zählte die Minuten, schließlich die Sekunden und dann die fürchterliche Enttäuschung, wenn er doch später kam, als sie berechnet hatte. An den Abenden flehte sie nun: „Ich will immer bei dir sein. Dein Püppchen. Deine Pani Tau.“ Sie wurde besessen davon. Natürlich kannte auch er Pan Tau, den Zauberer mit der Melone, der sich mit einem Griff an den Hut in eine handzahme Puppe verwandelte. „In deiner Brusttasche will ich wohnen“, sagte sie, „In jedem Hemd, in jedem Jackett kann ich mich einrichten, Sommer wie Winter bei dir sein. Ich störte dich auch nicht. Ganz still wäre ich. Ich bin ja stumm dann. Aber ich werde an deinem Herzen liegen und es schlagen hören.“ Er hörte sich das schweigend an, sogar ein klein wenig geschmeichelt. Das war alles Unsinn, dachte er. Aber dann lag sie nie mehr unter ihm oder saß auf ihm, ohne davon zu flüstern: „Ich will deine Pani Tau sein. Lass mich deine Pani Tau sein.“ Sie zeigte ihm den rosa Hut, den sie gekauft hatte.  Pani Tau, meinte sie, habe natürlich keine Melone, das passe nicht, Pani Tau, also sie, trage einen schicken Hut, der zu ihren pinkfarbenen Sandalen passe, jenen Sandalen, mit denen sie ins Interconti gestöckelt war. Selbstverständlich erinnerte er sich. Wie sie getanzt hatten miteinander und ihr Haar geleuchtet im Kronleuchterlicht und dass er sich gefühlt hatte, als sei er ein Gott durch die geradezu umwerfende Anschmiegsamkeit dieses schönen Geschöpfs, die ihn taumeln machte in unverdientem und ungeahntem Glück. Er ließ sich auf das Spiel ein: „Wenn du meine Pani Tau wärst und in meiner Brusttasche wohntest, könntest du nicht mehr arbeiten gehen.“ Das hatte sie schon überlegt. Als Pani Tau brauche sie fast nichts, ihre Kleidung bliebe in den Brusttaschen wie nagelneu und auch Nahrung müsse und könne sie nur noch in ganz kleinen Portionen zu sich nehmen. Unter diesen Umständen sei sein Gehalt doch mehr als ausreichend. Das konnte Andreas nicht widerlegen. Doch hatte er einen Punkt, von dem er dachte, er sei der ausschlaggebende, für ihn sowieso und für sie, da war sicher, so konnte er sich nicht täuschen, für sie doch wohl ebenso. Wie, fragte er sie, solle er mit einem winzigen Püppchen Sex haben, das müsse sie doch einsehen, dass dieser Verzicht unzumutbar sei. Doch auch daran hatte sie schon gedacht. Ganz wie Pan Tau werde und könne sie sich, wenn sie mit ihrem Besitzer allein sei, rückverwandeln in sein rothaariges Nymphchen: „Alles am richtigen Fleck und in der richtigen Größe.“, beruhigte sie und schob seine Hand unter ihre Bluse. Schon in ihren Armen hatte er gekeucht: „Na dann...“ Das hatte sie als Einverständnis genommen und als er am nächsten Tag aufwachte, saß sie in der Brusttasche seiner Anzugjacke.

So hatte das angefangen.  Zu Beginn hatte es ihm gefallen, das Püppchen an seiner Brust zu spüren. Obwohl es stumm war, meinte er zu hören, „Ich bin dein. Ich bin dein. Ich bin dein.“ Mit dem Püppchen in der Brusttasche gelang ihm beinahe alles. Als er sich mit Dorit und Robert zum Essen traf, erzählte er ihnen von seinen Erfolgen, aber auch, dass es zwischen Petra und ihm nichts geworden sei. Dorit hatte in den vergangenen Wochen immer wieder versucht Petra zu erreichen, diese jedoch hatte versucht sie abzuwimmeln, hatte ihr schließlich von ihren Pani-Tau-Phantasien erzählt. Als Dorit das andeutete, gab Andreas zu: Petra sei ein wenig merkwürdig gewesen in letzter Zeit, schließlich habe sie selbst eingesehen, dass sie Hilfe brauche und sich in eine Klinik einweisen lassen. Dorit wollte die Adresse wissen, aber Andreas behauptete, die habe sie auch ihm nicht genannt. Es habe ihn geschmerzt, selbstverständlich, aber er habe auch begriffen, dass gerade er ihr nicht helfen könne. Während Andreas sprach, wurde ihm klar, dass Petra mit jedem Wort, das er sagte, verschwand. Es würde sich herumsprechen, man würde warten, ob Nachrichten kämen und blieben die aus, so würde man Petra vergessen. Es wäre, als hätte sie nicht gelebt. Oder vielmehr: Es würde wahr werden, was sie gesagt hatte: „Ich lebe doch nur noch für dich.“

Die Sicherheit, die Andreas mit jedem Tag mehr fühlte, machte ihn grausam. Dass  Pani Tau ihm so völlig gehörte, sich ihm ausgeliefert hatte, nicht mehr existierte ohne ihn, verführte ihn dazu, sich alle Rechte ihr gegenüber herauszunehmen. Er begann mit anderen Frauen anzubändeln, während sie in seiner Brusttasche saß. Er nahm sie mit in die schäbigen Hotelzimmer, wo er diese Frauen beschlief. Die Vorstellung, dass sie aus seiner Brusttasche alles beobachtete, verlieh diesen beliebigen Gelegenheiten den Reiz, der ihnen ansonsten gefehlt hätte. Er hörte auch nicht auf, Pani Tau zu nehmen, wann es ihm passte. Sie fügte sich in alles. Wenn er sie fragte: „Macht dir das nichts aus?“, seufzte sie bloß. Nachts dagegen, wenn sie glaubte, er schlafe fest, hörte er sie manchmal schluchzen und eines Morgens, als er sich zu ihr umdrehte, fasste er in ihr Kissen, das völlig durchnässt war. Pani Tau schwieg nun meist auch dann, wenn sie sich in die Frau zurück verwandelt hatte, um ihm zu gehören. Ihre entschlossene Duldsamkeit steigerte seine Wut noch. Er begann sie zu schlagen. Sie duckte sich unter seinen Hieben. Aber sie unterdrückte den Schrei. Er fühlte sich durch diese Stummheit provoziert, wie kaum ein Wort es vermocht hätte. Ihm gefiel nicht, wie er sich verwandelte. Er begriff schließlich, dass er sie los werden musste. Einen ganzen Nachmittag spazierte er durch den Park, fingerte sie aus seiner Brusttasche, setzte sie auf eine Bank, ging davon, kehrte wieder zurück, nahm sie wieder an sich. Einmal warf er sie sogar in eine Mülltonne. Doch auch da zwang ihn etwas, sie wieder herauszufischen. Er suchte eine Bar auf, entschlossen sich zu betrinken. Zufällig traf er Dorit. Später konnte er sich nicht mehr daran erinnern, was er ihr im Suff vorgelallt hatte. Er ahnte, dass er von Pani Tau gesprochen hatte. Vielleicht hatte er sie sogar aus der Brusttasche gezogen, um sie Dorit zu zeigen. Egal, dachte er. Sie wird geglaubt haben, ich hätte mir aus Liebeskummer ein Püppchen gekauft, das Petra ähnlich sieht.

Am nächste Morgen, noch verkatert, lehnte er die Puppe an seinen Kaffeepot und musterte sie. Eine billige Plastikpuppe. Das Ganze war, begriff er endlich, nur eine Wahnvorstellung. Er hatte sich nicht abfinden können mit der Trennung. Hatte Dorit nicht gesagt, dass es Petras Art war, so zu gehen, ohne jede Erklärung. Er war doch kein Betrüger und Schläger, kein Frauenquäler, er hatte sie doch geliebt, sehr geliebt sogar, mehr geliebt als je eine zuvor, zu seiner Frau hatte er sie machen wollen, mit den Kollegen schon über die Hochzeit gesprochen. Frau Tau hatte sie werden sollen, für immer und ewig, und dann hatte die sich einfach so davon gemacht. Es stimmte, er musste sie loswerden. Am besten zerstückeln, dass nichts von ihr übrig blieb. Er zog die Küchenschublade auf und holte ein Messer hervor. Lange saß er mit dem erhobenen Messer in der Hand vor der Puppe, doch er brachte es nicht fertig.

Schließlich nahm er eine Dusche, dann zog er sich ein frisches Hemd an, suchte ein feines  blaßrosa Tuch heraus für seine Brusttasche, auf das er sie bettete. Ihre grünen Augen, umgeben vom Wimpernstrahlenkranz funkelten ihn an, schön wie an jenem ersten Abend. „Lass mich dein Püppchen sein.“ Im Park steckte er sie um in seine Hosentasche. Wie schmal der kleine Hals war, viel schmaler als sein Daumen. Wenn er Zeigefinger und Daumen gegen den Hals presste, ließ der sich bis auf wenige Millimeter zusammendrücken. Er presste ganz fest, während er den Eremitenhügel hinauf lief. Als er oben ankam, war er völlig außer Atem. Aber es war erledigt. Er fühlte sie nicht mehr. Das ewige Singen war aus seinem Ohr verschwunden: „Dein.Dein.Dein.Dein.“ Er atmete durch, ließ die Puppe unauffällig ins Laub gleiten. Als er sie so da liegen sah, nackt hingestreckt auf dem Bauch, schob er mit dem Fuß ein einzelnes Laubblatt über ihre Blöße. Dazu musste er schon lächeln. Wie verrückt er sich benahm. Damit war jetzt aber Schluss. Er zündete sich eine Zigarette an und blies einen Kringel in die kalte Novemberluft. Auf dem Rückweg hinab traf er Dorit und grüßte sie freundlich. Er hat nichts zu verbergen. 

2 Kommentare:

  1. das ist ja eine schöne geschichte!

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  2. Fragt sich nur: für wen? Aber s i e gibt ein schönes Bild ab. (Ich steh´eh auf die Rothaarigen.)

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