Dienstag, 7. Dezember 2010

PUNK PYGMALION (5)

Fortsetzung des Briefromans "PUNK PYGMALION" (Kapitel 1-4 hier:)


Weder über den Festnetzanschluss, noch über ihr Blackberry konnte ich Emmi gestern oder heute früh erreichen. Vorgestern, hatte sie angekündigt, wollte sie den rough guy, wie wir Ansgar vor mehr als zwanzig Jahren nannten,  wieder treffen. Nur zu gerne wüsste ich, wie diese Begegnung verlaufen ist. Etwas Sorgen mache ich mir auch. Einerseits, sage ich mir, ist Emmi inzwischen eine erfahrene, in Liebesangelegenheiten auch abgehärtete Frau, andererseits hat sie selbst eingeräumt, dass Ansgar etwas in ihr angesprochen habe, was sie erschreckte und außer sich brachte damals. Ich erinnere mich, wie sehr sie sich in den Monaten, nachdem sie Ansgar als 17jährige in Berlin getroffen hatte, veränderte. Es waren nicht nur der harte Punk-Look und das streichholzkurz geschnittene Haar, ihr neuer Musikgeschmack und die betonte Gleichgültigkeit gegenüber fast allem, was uns andere bewegte. Es war eher, als leuchte sie von innen; ihre Augen glänzten dauernd fiebrig, viele nahmen an, sie nähme Drogen, aber ich wusste, das stimmte nicht. Sie war nur völlig fixiert auf das Denken an Ansgar, wenn ich mit ihr sprach, hörte sie kaum zu, reagierte nur auf Stichworte, die sich auf irgendeine Art in Verbindung mit ihm bringen ließen. „Am Mittwoch ist ein Treffen des Anti-AKW-Kreises, kommst Du mit?“. „Ansgar sagt, Atomkraft ist der vollkommene Ausdruck menschlicher Perversion.“ Emmi wurde anstrengend und ich dosierte das Zusammensein mit ihr. Das ging anderen nicht anders. Sie aber schien darunter nicht einmal zu leiden. Sie lebte in ihrer Ansgar-Welt und hatte von sich aus nicht  das Bedürfnis, darüber zu reden. Für ihre Freundinnen wurde Ansgar der Name eines fiktiven Monsters, ein Ungeheuer, dessen Ausmaße, Erscheinung, Verhalten wir nur erahnen konnten, dessen Macht über Emmi aber unbeschränkt schien. Meine gegenwärtige Angst um sie wird durch den Brief, den ich diesmal einstellen will und der darstellt, was Ansgar empfand oder Emmi gegenüber vorgab zu empfinden, gleichermaßen geschürt und beschwichtigt. Denn er zeigt, so lese ich ihn, dass Ansgars Macht über Emmi die Gewalt war, die sie über ihn hatte.


                          Dezember 1983


Kare Emmi!

Noch habe ich keine Antwort auf meinen letzten Brief an Dich und doch muss ich Dir schon jetzt wieder schreiben. Es ist eigenartig, wie ungeduldig ich darauf warte, ein Foto von Dir zu sehen, das mir beweist, wie sehr Du zu mir gehörst. Gleichzeitig fühle ich mich schuldig und auch lächerlich, weil ich es von Dir verlangt habe. Es ist doch, als fragte ich Dich dauernd wie eine vernachlässigte Ehefrau: „Liebst du mich noch?“ Und genau so ist es ja auch, das frage ich mich laufend, nur das „noch“ fällt weg, denn ich weiß nicht mal, ob Du mich liebst oder wie ich Dich liebe. Was ist überhaupt Liebe? Das frage ich mich auch.

Emmi, ich muss Dir das erklären, was mit mir passiert ist und wie schlimm es für mich ist (und wie schön!!!). Als Du da standest am Kanal, wusste ich gar nichts über Dich. Es wäre auch gelogen, wenn ich schreiben würde, Du wärst die Frau meiner Träume oder ich hätte Dich wunderschön gefunden (Du hast wundervolle Augen, Emmi, aber das habe ich dort gar nicht gesehen). Es war nichts von alledem, sondern so: Mit einem Schlag war eine Leere in mir, als wäre alles weggewischt, ausradiert, was sonst so los ist mit mir. Es war, als sei ich ganz ungefüllt, ganz bereit aufzunehmen und da warst du und ich fühlte dich und nahm d a s auf. Dich. Das raubte mir den Atem, nicht wie man so sagt, sondern wirklich. Ich schnappte wie ein Karpfen. Denn, siehst Du, Emmi, was dann geschah, was ich tat, ich denke, das muss auf Dich so gewirkt haben, als hätte ich das schon öfter getan, als wäre ich total selbstsicher und hätte gar keine Angst. Die Wahrheit ist: Ich habe so was noch nie gemacht. Auch wenn ich älter bin als Du und vielleicht ein paar Erfahrungen habe, die Dir fehlen (kann sein). So war ich noch nie. Ich fühlte echte Panik. (Ich weiß, das klingt jetzt voll gelogen, denn es warst ja du, der ich Panik machte oder es versuchte, aber Du bliebst ganz ruhig.) Von Dir, Emmi, ging in diesem Moment eine tödliche Bedrohung aus, Du trafst mich „mitten ins Herz“, ein dämlicher Spruch, habe ich immer gedacht, aber so war das. Vollstreckt. Erlegt. Das konnte ich nicht lassen. Ich konnte es nicht ertragen, die Beute zu sein. Deshalb wollte ich die Sache umdrehen: Du solltest mir zum Opfer fallen. Ach, Emmi, und an meinem Ohr hörte ich dich flüstern: Ja. (Nicht: Nein.) Und das war das.

Genug davon, ich will es nicht kaputt reden (oder schreiben). Ich habe auch nur davon angefangen, weil ich versuche zu verstehen, was das ist: „Liebe“. Wenn ich mir wünsche, dass du mich liebst, was will ich dann von dir, was? Du hast gefragt und ich habe es weg gewischt, weil es schwer für mich ist, das zuzugeben. Ich will, Emmi, - und ich weiß, das ist grausam, das weiß ich genau, weil es für m i c h so entsetzlich ist – ich will, dass Du Dich so leer füllst und so ohne Halt und so verloren, wie ich mich fühle, wenn ich an Dich denke, so sehr sollst Du dich danach sehnen, dass ich diese Leere fülle, Dich halte und aufnehme. Ich will, dass Du verzweifelt bist, Emmi, weil ich verzweifelt bin. Und das nenne ich dann Liebe. Verdammt. Es war also, denke ich, alles gelogen, was sie davon erzählen, der ganze Kitsch. Du bist nie so fertig gewesen, wie durch das, was LIEBE heißt und kannst doch nicht genug davon kriegen.

Durch die Tage schleppe ich mich so durch. Weil die Leere immer da ist, die nur Du füllst, aber Du füllst sie nicht, denn ich warte jetzt schon 5 Tage auf einen Brief von Dir (Das ist kein Vorwurf, Emmi, ich weiß, dass ich dich schon viel länger habe warten lasen.). Gestern aber ist etwas passiert und das ist auch der Grund, warum ich Dir schreiben muss, weil ich begriffen habe, wie es sich anfühlt, wenn man d a s verpasst, wenn man die LIEBE verpasst, verstehst Du?

Ich war beim großartigsten Konzert aller Zeiten; ich habe NICO gesehen!!! Kennst Du sie? Sie war ein deutsches Top-Fotomodel Femme Fatale in den 60ern. Sie spielt auf dem ersten Album von THE VELVET UNDERGROUND. Ich glaube, dass ich Dir schon in Berlin von ihr erzählt habe, aber trotzdem – noch einmal: Andy Warhol hat die Band organisiert, Lou Reed + John Cale + drei nicht ganz so bedeutende Musiker (von denen ich nichts mehr gehört habe) + NICO. Nico hat mit Reed, Cale, Bowie, Jackson Brown.....gespielt. Ich kannte vor dem Konzert das Velvet Album und einige ihrer eigenen Platten und ich dachte, ich würde eine starke, selbstbewusste Frau sehen, aber es war ganz anders: Sie ist ungefähr 40 Jahre alt und Du merkst, dass das Alter anfängt ihr Sorgen zu machen. Sie wirkte total unglücklich auf mich und dann wuchs sie auf der Bühne und man spürte, wie sie ALLES wusste in ihrem Schmerz: Eine Göttin, die bitter und still auf eine Welt schaut, die sich einfach nicht ändert. Es gab einen Moment, Emmi, da dachte ich sogar, diese alte Frau könnte mich brauchen...

Schreib mir bald, BITTE! Ich brauche Briefe von DIR sehr dringend. Schreib bald. Ich weiß, das hier ist kein guter Brief und er erklärt nichts, aber schreib 

ANSGAR

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