Sonntag, 6. Februar 2011

DIE FOLK-ROCK-VERSCHWÖRUNG IM ELEKTRISCHEN EDEN

von MOREL

Immer wenn die progressiven Kräfte erlahmen, lockt das vermeintlich friedliche Leben auf dem Lande. Der Weg von der Avantgarde ins Hinterland der Metropolen ist kurz. Und eine Steckdose für den Verstärker findet sich auch im renovierten Landhaus. Das stellten nach den Aufregungen des psychedelischen London der 60er Jahre viele Protagonisten der englischen Musikszene fest. In ihren Anfängen noch als die britischen Jefferson Airplane (die mit Hymnen auf in Chemielabors entstandene Genussmittel am Pazifik für Furore sorgten) belächelt, verstärkte sich die Band Fairport Convention um die fulminante Folksängerin Sandy Denny und vergrub sich in der Bücherei der English Folk Dance and Song Society. Die Traditionen, die sich hier wiederentdecken ließen, waren aber nicht weniger künstlich als die gleichzeitig zu hörenden futuristischen Klänge aus Synthesizern und verzerrten E-Gitarren. Fast alle Folksongs wurden ähnlich wie die deutschen Märchen von Romantikern im sich fanatisch industrialisierenden und blindlings fortschreitenden 19. Jahrhundert entdeckt, erfunden, kompiliert und als Tradition wieder ausgespuckt. Damit wären die beiden Seiten der Musikkultur des 20. Jahrhunderts, die klassische Repertoire-Musik und die populären Songs, derselben Wurzel entsprungen (zu hören auch in den Volkslied-Anklängen von Mahler): der romantischen Müdigkeit am Fortschritt und der daraus folgenden Erfindung eines paradiesischen Ursprungs. Elektrisches Eden, nennt das der Musikjournalist Rob Young, denn ohne Strom und künstliches Licht ist Natur Arbeit und kein Paradies.

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Fairport Convention jedenfalls hat im Jahre 1969, als die 60er endgültig in Chaos, Überdruss und Paranoia untergingen, das Album aufgenommen, das seitdem alle 10 Jahre von neuen Folkrevivalisten wiederentdeckt wird: Liege & Lief. Fanden sich auf den vorigen Alben noch Dylan-Adaptionen und Countryadaptionen, stehen nun die in verstaubten Nachschlagewerken wiederentdeckten Volkslieder und Balladen im Vordergrund, in die Gegenwart geholt durch den Jahrhundert-Gitarristen Richard Thompson, einem der wenigen Rockmusiker, der Gefilde jenseits des Blues erforschen konnte. Unvergesslich aber wurde diese Platte wohl doch durch die Stimme von Sandy Denny, die mit 22 so dunkel-volltönend klang, als lebte sie ihr Leben umgekehrt: aus der Erfahrung des Alters in die Jugend zurückblickend. Wenig erstaunlich, dass sie eines ihrer schönsten Lieder (zu hören auf Unhalfbricking von Fairport Convention) mit 20 schrieb: Who knows where the time goes. Das Lied nimmt im Herbst den Winter vorweg („Across the purple sky all the birds are leaving“) und endet im Anspruch auf Zeitlosigkeit, der allein von der Stimme beglaubigt wird. Nach solchen Gipfeln kommen die Mühen der Ebenen und der britische Folkrock wurde mit Cat Stevens, Genesis und Jethro Tull massentauglich, während die Mitglieder von Fairport Convention getrennte Wege gingen. Richard Thompson heiratete die Sängerin Linda Peters und das Paar begann gemeinsam Platten aufzunehmen. Auf der Suche nach alternativen Paradiesen entdeckten die Thompson die Glaubensstrenge des Islam und die Verwandtschaft zwischen Sufi-Musik und englischen Folktänzen. Das ging nur eine Weile gut: das erste Album der Ehe hieß noch I want to see the bright lights tonight, das letzte Shoot out the lights. Auf der Abschlusstournee prügelte sich das Paar auf der Bühne. Sandy Denny zog sich mit ihrer ersten Liebe aufs Land zurück. Sie, die sich niemals als eine Schönheit empfand, war nicht selbstsicher genug, ihren Mann allein zu lassen, und verzichtete deshalb auf das Tourleben eines Rockstars. Anders als Joni Mitchell oder Carole King, blieb sie ein Insidertipp. 1978, in London entdeckte Punk gerade den dritten Akkord, stürzte sie im Urlaub mit ihren Eltern eine Treppe herab und verstarb wenige Tage später. Während die Zukunft für zwei Wochen den No-Future-Gesängen kurzhaariger Jungen gehörte, hatte Sandy Denny nun alle Zeit der Welt. 2010 erscheint ihr Gesamtwerk in einer Box mit 19 CDs.

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Ein seltsames Nachspiel zum britischen Folkrock war dann noch im Horrorkultfilm The Wicker Man von 1973 zu hören. Die mit der obskuren Band Magnet aufgenommene Musik von Paul Giovanni ist inzwischen so legendär wie der Film. Dessen Höhepunkt ist der von Britt Ekland gesungene und getanzte Willows-Song. Er scheint dazu zu dienen, den glaubensstrengen Polizisten Sergeant Howe in ihr Zimmer zu locken. Dieser Tanz, begleitet von einem melancholischen Folksong, ist aber weniger laszive Verführung als okkultes Ritual. Sergeant Howe, der gegenüber den sich nachts gemeinsam auf dem Dorfanger liebenden Inselbewohnern von Summerisle die christlichen Werte Englands hochhält, findet sich in die ihm zugewiesene Rolle und widersteht unter Darbietung aller Grimassen männlichen Hormonüberschusses. Damit ist er das perfekte Opfer für den von Christopher Lee gespielten Schlossherrn: als männliche Jungfrau wird er am Ende des Films verbrannt, damit die Apfelernte im nächsten Jahr wieder besser wird. Aber auch dieser Kult, so charmant er uns mit seinen um den Penis tanzenden Schulkindern anmutet, ist nicht Tradition, sondern Erfindung. Besser: erfundene Tradition,  eine Verschwörung gegen den Fortschritt.


Website:
http://www.sandydenny.blogspot.com/


Sandy Denny: A Box full of Treasures 

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