Sonntag, 6. März 2011

PAULA MODERSOHN-BECKER: WAS IST FERTIG?

... UND WANN IST MAN FERTIG? HOFFENTLICH NIE!..."

(aus einem Brief an die Familie vom 27. Mai 1900)

Bernhard Hoetger: Grabmal für Paula Modersohn-Becker  in Worpswede


"Denn ich werde noch etwas. Wie groß oder wie klein, das kann ich selbst nicht sagen, aber es wird etwas in sich Geschlossenes. Dieses unentwegte Brausen dem Ziele zu, das ist das Schönste im Leben. Dem kommt nichts anderes gleich. Dass ich für mich brause, immer, immerzu, nur manchmal ausruhend, um wieder dem Ziele nachzubrausen, das bitte ich dich zu bedenken, wenn ich manchmal liebearm erscheine. Es ist ein Konzentrieren meiner Kräfte auf das Eine."

(aus einem Brief an die Mutter Januar 1906)


Ein Vormittag in Worpswede. Kitsch und Kunst. Über allem der Weichzeichner der Gefälligkeit. Dazwischen nur wenig Treffendes. Kaffee und Kuchen. Krimskrams und Kunstpostkarten. Die Kultursucher auf vergeblicher Schatzsuche. So tief reicht kein Spaten. Die Buckel der Bauern krümmten sich ganz kunstfrei über der Furche. Blut auf dem Laken im Kindsbett stank eklig zum Himmel. Mit schwärend-eitrigen Wunden liegen die zerhäkselten Körper seit 1914 auf der Bahre. (Das übersehen wir geflissentlich.) Da bricht sich ein  Sonnenstrahl aus der Vergangenheit Bahn: Kinderglück und Altersweisheit. Gartenstühle neben Pseudo-Säulen. Trauer und Wut. Das Weltdorf als Museum. Klammern ohne Wunder. Sarah Kirsch schreibt besser Lyrik als Aquarelle zu tupfen. Sorry. Ich bin bester Laune und vollkommen ungnädig. Marzipanschokolade trifft auf den Bonzen des Humors. Selten so gelächelt. Ich habe fertig. Gar nicht.

3 Kommentare:

  1. "Denn Das verstandest du: die vollen Früchte,
    Die legtest du auf Schalen vor dich hin
    und wogst mit Farben ihre Schwere auf.
    Und so wie Früchte sahst du auch die Fraun
    und sahst die Kinder so, von innen her
    getrieben in die Formen ihres Daseins.
    Und sahst dich selbst zuletzt wie eine Frucht,
    nahmst dich heraus aus deinen Kleidern, trugst
    dich vor den Spiegel, ließest dich hinein
    bis auf dein Schauen; das blieb groß davor
    und sagte nicht: das bin ich; nein: dies ist.
    So ohne Neugier war zuletzt dein Schaun
    und so besitzlos, von so wahrer Anmut,
    daß es dich selber nicht mehr begehrte: heilig."


    Rilke: Requiem für eine Freundin, Paris 1908, aus: Kerstin Decker: Paula Modersohn-Becker. Eine Biografie. Berlin: Ullstein 2007. S. 268

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  2. Das ist ein wunderschönes, auch ein so passendes und Modersohn-Beckers Kunstwollen genau erfassendes Gedicht. Vielen herzlichen Dank dafür!

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  3. Es verhält sich mit Künstlerdörfern leider oft wie Du beschreibst, liebe Melusine, sobald sie [von wem auch immer] für den Tourismus entdeckt, heraus geputzt und nicht mehr versteckt, sondern [offensiv] vermarktet, verlieren sie ihren Zauber, ihre Ursprünglichkeit.
    Dennoch weiterhin interessante Eindrücke bei der Entdeckungsreise durch die norddeutsche Tiefebene.
    Herzlich
    Teresa

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