Sonntag, 22. Mai 2011

"SCHAU MIR IN DIE AUGEN, KLEINES" oder "ICH SCHAU DIR IN DIE AUGEN, KLEINES."

(Klingt das wie eine Drohung?)

Denken Sie an den Augenaufschlag, den Frauen einsetzen, um sich in ein Mädchen zu verwandeln. Sie erwartet offenbar, dass er eine Kindfrau wünscht, die ihn von unten her hilfesuchend anschaut, so dass der Liebende sich vom aggressiven Jäger in den Beschützer verwandeln kann. Selbstverschuldete Unmündigkeit, hätte der Alte aus Königsberg das – nicht zu Unrecht – genannt. Doch andererseits: Pure Vernunft darf niemals siegen.“



In unserer Kultur hängt viel am Augen-Blick; nicht nur, aber auch und vor allem im Geschlechter– und Liebesverhältnis. „Schau mir in die Augen, Kleines“ ist  keine korrekte Übersetzung der Zeile, mit der Bogart sich Bergmann in „Casablanca“ verbindet, jedoch eine, die deutsche Zuschauerinnen Jahrzehnte lang von der Tiefe dieser Liebe überzeugte. Im Original sagte er: „Here´s looking at you, kid.“ Da haben Sie es: Die Verwandlung der Frau in ein Kind. In der englischen Version ist es ausdrücklich das geschlechtsneutrale Kind und das männliche Subjekt des Satzes verschwindet ganz (in einem Trinkspruch). Der Kontrast zwischen den Kamerabildern, die zwei erwachsene Menschen zeigen, deren Augen einander verzweifelt suchen und festhalten wollen, und dem Gesagten wird schärfer. Der Film nutzt einen bekannten Effekt: die Steigerung des Begehrens durch das Anstauen der Energien unter der Oberfläche. In der neueren deutschen Synchronfassung sagt Bogart jedoch: „Ich seh dir in die Augen, Kleines.“ Das scheint näher dran an der Originalfassung. Aber tatsächlich hebt es weder die Asymmetrie zwischen Kindfrau und  befehlendem Mann hervor, noch die geforderte Schau-Passivität beider im Wort. Ihr wird befohlen, ihn anzuschauen oder sich von ihm anschauen zu lassen. Aber keines von beiden soll unmittelbar schauen (was sie im Kamera-Bild eben tun). Eigentlich heißt das: Schau mich an, aber schau mich nicht an. Stell dir vor, dass du mich anschaust.

In dieser berühmt gewordenen Zeile ist die Steigerung des Begehrens durch die fortwährende Versagung dargestellt. Er sagt es zweimal in diesem Film zum Abschied. Die immerwährende Liebe ist die vermiedene. Schau zu mir auf. Ich seh dich nicht mehr – und: seh dich jede Nacht vor mir.  Schau mich ein letztes Mal an. Die Augen sind verschattet unter den Hüten. Schau mich an und geh fort. Schau mich noch einmal an, wie du geschaut hast, als du noch nicht wagtest, mir in die Augen zu schauen. Sieh dich nicht um. Schau nach vorn.  Ich werde dich immer sehen. Dort. Wo du sein wirst. Geschaut wird nicht, was das Auge sieht. Geschaut wird in die Ferne. Der Zukunft. Ohne dich. Mit dir. Für immer in deinem Blick. „Schau mir in die Augen, Kleines.“

3 Kommentare:

  1. Ich bin gerade wieder auf diesen Text gestoßen und bin von ihm hin- und mitgerissen wie beim ersten Mal des Lesens, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr.

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  2. Es ist schön, das zu lesen. Die AUGEN-BLICKE-Serie ist mir sehr wichtig. Und das war der Anfang...,der dann zur "Zähmung des Auges" (oder mindestens zum Versuch) führte. Herzliche Grüße M.B.

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  3. Vielen herzlichen Dank für den Tipp, das wäre mir doch glatt entgangen, was jammerschade gewesen wäre. (Einfach viel zu wenig Zeit für meine NachbarInnen derzeit ...)

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