Mittwoch, 15. Juni 2011

MENZER FORST

Felder bei Rheinsberg
Idylle ist trügerisch, immer. Dennoch treibt uns die Sehnsucht an die Seen, streichen wir mit der Hand leichthin über die glatte Oberfläche des Wassers, lehnen wir uns an die rissige Rinde der Buche und schauen hinauf ins schimmernde Blauweiß durch die  dunkelnden Blätter, lassen uns treiben und einsinken ins schattige Waldgrün, das uns die Illusion harmonischer Fügung schenkt. 


Naturgenuss ist stets Kultur: der Bauer liebt sein Land, nur die Verliebten wandern Hand in Hand durch Landschaft. 


Von einer der Schönsten schenkte uns einer der Besten ein „Bilderbuch für Verliebte“: „Am Morgen gingen sie in die Felder. Das Gewitter von gestern hatte abgekühlt, die ersten herbstlichen Strahlen kamen. Der Wind wehte stark. Als sie gegen ihn angingen, sang er wie klagend...An den Wegen schäumten die Laubmassen. Milchigweißes Licht beglänzte gleichmäßig die Felder. Die Sonne steckte hinter den stürmenden Wolken, manchmal kam sie hervor, dann war sie rot und fror in der rauen, kräftigen Herbstluft.“

Wald bei Neu-Globsow am Stechlinsee
Es war nicht Herbst, sondern ein verregneter Sommer, als ich den See entdeckte, tief wie ein Traum. Er lag da und auf seinem Spiegel erschien wie auf einer Kinoleinwand der ganze Film: die lockige Taucherin aus der Tiefe, das gefaltete Händepaar der Mutter im Schoß, eine durchsichtige Handlung von Liebe, Ehe und Betrug, der Gesang der Sirene, das Lachen der Söhne am Steg. Hier also lebten die: eine glückliche Familie. Und drunten im See hauste die, die alles und alle hinab riss in ihr Verderben.  Ich setzte mich erschöpft auf einen bemoosten Baumstumpf. Ein gelbes Band im Wind kündete vom Krieg des dunklen Ritters mit der schönen Seele: See the yellow ribbon on the old oak tree.

Das hätte er sich nicht träumen lassen, der alte Dubslav, was später kam. Melusine hatte  ihm geschrieben ganz am Ende: „..es ist nicht nötig, dass die Stechline weiterleben, aber es lebe d e r S t e c h l i n.“ Und er lebt, sogar das Atomkraftwerk Rheinsberg hat er überlebt. Ich stieß unvermittelt auf das stille Gebäude verborgen hinter den Buchenstämmen. Das Wasser des Sees kühlte bis 1990 die Anlage. Jetzt wird zurückgebaut.

AKW Rheinsberg am Stechlinsee
Ich suchte den Schauplatz nicht aus. Doch scheint das Experiment Rheinsberg, der mühevolle Rückbau eines AKW, geradezu symbolisch in meine Erzählung zu ragen. Als der deutsche Staat, der sich sozialistische Republik nannte, zusammenbrach, wollte man auch seine Atomkraftwerke nicht mehr haben. Die Technologie der im Systemvergleich Unterlegenen galt als zurückgeblieben. Inzwischen nennt selbst die schwarzgelbe Regierung auch die kapitalistische Kernenergie eine Dinosaurier-Technik. Alles soll weg, wir machen uns auf den „langen Weg zur grünen Wiese.“ Das wird noch für Jahrzehnte Arbeitsplätze schaffen. Mit dem AKW Rheinsberg wollte man spätestens 2012 fertig sein. Doch wie sich herausgestellt hat, ist das Gebäude so sehr mit Cobalt-60 verstrahlt, dass es erst nach 30 Jahren abgerissen werden kann. Still liegt das Werk im Wald. Das Wissen der alten Bedienmannschaften wird noch gebraucht.  Manchmal trifft Anne beim Lauf um den See auf die traurigen Männer, deren Lebensaufgabe bis zur Rente im Abriss besteht.

Da lag er vor uns, der buchtenreiche See, geheimnisvoll, einem Stummen gleich, den es zu sprechen drängt. Aber die ungelöste Zunge weigert ihm den Dienst, und was er sagen will, bleibt ungesagt.“ Manchmal spricht er doch. Er weiß, dass die Sonne auch über dem AKW Rheinsberg untergeht, wie einst über den Fabriken der Glashütten-Aristokratie, die sich früher hier ansiedelte. Wenn er aber schweigt, sitzt man und plaudert an den hölzernen Tischen vor dem Fontane-Haus. „Märchenhaft verschwamm uns Jüngsterlebtes mit Längstvergangenem....“



3 Kommentare:

  1. Ach, wie Sie aus "Rheinsberg" und den "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" zitieren und im Wasser des Sees Ihre eigenen Inspirationen finden. Der See ist auch auf dieser Zeichnung von Kurt Szafranski:

    http://buecherblogger.files.wordpress.com/2010/11/szafranski_rheinsberg.jpg

    Mir fiel auf, dass Tucholsky oft mit den Tageszeiten wie "Am Nachmittag..." oder "Am Morgen..." sein Erzählen beginnt. Leider habe ich sowohl den "Stechlin" als auch die "Wanderungen" noch nicht gelesen. Fontane hatte ich wohl als Schullektüre abgelegt. Neulich war ich bei einer kleinen Lesung und mir gefiel ein Text, ich meine von Fontane, in etwa "Letzte Begegnung mit dem Vater". Leider bekomme ich es nicht so richtig heraus, ob der wohl aus den "Wanderungen" stammte.

    Herzlichen Gruss

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  2. Nun habe ich den Text doch wiedergefunden und antworte mir auf meine versteckte Frage selbst. Ich missbrauche Ihren Blog also zum Selbstgespräch. Das besonders gelungene Kapitel Fontanes über seine letzte Begegnung mit seinem Vater findet sich in "Meine Kinderjahre" Kap. 16, Vierzig Jahre später (Ein Intermezzo). Die französischen Ausdrücke und der gesamte humorige Tonfall der Schilderung trotz eines Abschieds für immer fand ich bemerkenswert.

    http://de.wikisource.org/wiki/Meine_Kinderjahre_(Fontane)/Vierzig_Jahre_sp%C3%A4ter

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  3. In Ihrem Beitrag sehe ich gar keinen "Missbrauch". Ich freue mich über jeden Hinweis auf Fontane und jeden Leser, den seine Erzählungen gewinnen. In mir, denke ich, hat Fontane seit je eine Seite angesprochen, die immer schon "alt" war, d.h. eine Perspektive eingenommen hat, in der alles vergangen ist und sich den Gesetzen des Erzählens unterordnet. Wenn man nichts mehr erhofft, kann man mit viel Humor, Wärme und Gelassenheit schauen, wie es kam. So ungefähr. Ich bin im richtigen Leben so gut wie nie gelassen. (Fontane war das auch nicht!) Gerade deshalb zieht mich die Melancholie, die durchaus nicht im Widerspruch zum Humor steht, so an. Oft glaube ich, wenn ich Autoren, Musiker oder Schauspieler treffe, das dies ein Prinzip ist: schaffend kompensiert man, was man real nicht ausagiert. Die freundlichsten Menschen schreiben die blutrünstigsten Texte und die stillsten sind die größten Rampensäue.

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