Samstag, 26. November 2011

MITLEID - NEIN DANKE! (Kampf den Charity-Ladies und -Gentlemen!)

Der strahlende Held des Kapitalismus, der sparsame und fleißige Unternehmer, sollte, so dachte es sich einer seiner ersten Propagandisten, von Mitleid erfüllt sein. Wer den eigenen Wohlstand so zielstrebig und tapfer mehrt, der fühlt, dachte Adam Smith, als menschliches Wesen ganz automatisch sich in seinesgleichen ein. Daher gibt er großmütig ab, an jene die weniger leistungsstark, erfolgreich und reich sind. So wächst durch das Eigeninteresse des Starken der Wohlstand aller. Adam Smith´ „unsichtbare Hand“ wirkt wunderlich an der allgemeinen Wohlfahrt, ganz ohne sozialistischen Verteilungs- und Klassenkampf.

Die aufgeklärten Literaten setzten im 18. Jahrhundert ähnlich große Hoffnungen in die  Wirkmächtigkeit des Mitleids. Nicht kalte Vernunft allein, sondern das Mitgefühl mit dem anderen sollte das Erziehungswerk vollbringen, durch das der Mensch schließlich wahr, gut und schön werde und seine endliche Bestimmung erfülle. „Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch, zu allen gesellschaftlichen Tugenden, zu allen Arten der Großmut der aufgelegteste“, schrieb Lessing. Das unmittelbare Mitempfinden mit dem auf der Bühne vorgestellten Leid sollte sich vereinen mit dem humanitären Mitleiden in der Realität, das zur moralischen Haltung und Handlung führt.

Und sehet, Bürgerinnen und Bürger, in  unseren Zeiten des Hoch-Kapitalismus: Allenthalben stiften und spenden die Reichen. Charity ist in; „Charity-Lady“ zwar keine Berufbezeichnung, aber doch ein offenbar die Tage füllender Identitätsentwurf. Man hat selbstverständlich Mitleid, mal hier, mal da, mit Kindern, Alten und Armen, mit  „unschuldigen“ Opfern von Krankheiten und Katastrophen; man gibt und sammelt. Das Mitleid streckt mildtätig unter uns seine Arme aus und wärmt die Seelen und Herzen derer, die es verströmen.

Ohne Mitleid geht´s nicht, erkennen die klügeren Köpfe, die das Ursache- und Wirkungsdenken, die Kosten-Nutzen-Kalkulation und die Freiheit der Märkte propagieren, schon früh. Ohne ein Mitgefühl mit denen, die „unnütz“, „wirkungslos“ und „leistungsschwach“ sind, die „unmündig“ sind oder bleiben, stürzt uns das aufgeklärte Denken und  Wirtschaften nach dem Kalkül der Profitmaximierung, dem auch die menschliche Arbeitskraft unterworfen wird, unmittelbar zurück in die Barbarei. 

Mitleid ist immer auch eine Form der Herablassung. Mitleid haben die Stärkeren mit den Schwächeren, die Klügeren mit den Dümmeren, die Reicheren mit den Ärmeren. „Du tust mir leid.“, kann so gut tröstlich gemeint sein wie beleidigend. Das steckt in der Geste des Mitleids unvermeidlich drin: Die Überhebung über den anderen, der als bedürftig wahrgenommen wird. Jede fühlt, dass ein Geschenk, das nicht erwidert werden kann, auch eine Kränkung darstellt. Man muss sich schon sehr nahe stehen, um im Wechsel des Gebens und Nehmens ein dauerhaftes Gefälle ertragen zu können. Und auch hier wird – unter einfühlsamen Menschen – dafür Sorge getragen werden, dass auch der scheinbar Schwächere Gelegenheit erhält, der Gebende zu sein.

Wo aber die Geste des Mitleids dominiert, wird auf der anderen Seite die Geste der Unterwerfung erwartet. Wo Arme, Kranke, Alte auf Mitleid angewiesen bleiben, sollen sie demütig sein und keine Rechte fordern. Wer als Zuwendung zum anderen vor allem auf Mitleid setzt, der betont die Hierarchie, der braucht die Unten, um sich selbst Oben zu fühlen. Das Mitleid wird so zum Gefühl, das die Verhältnisse bestätigt und erhält, die das Leiden schaffen. Mitleid verhindert auf diese Weise die Beseitigung von Ungerechtigkeit geradeso, wie die Braunkohlesubventionen den Umstieg in umweltfreundliche Energietechniken.

„Mir ist es eine sehr unangenehme Empfindung wenn jemand Mitleiden mit mir hat, so wie man das Wort gemeiniglich nimmt. Deswegen brauchen auch die Menschen, wenn sie recht böse auf jemanden sind, die Redens-Art., mit so einem muss man Mitleiden haben. Diese Art Mitleiden ist ein Almosen, und Almosen setzt Dürftigkeit von der einen und Überfluss von der anderen Seite voraus, sei er auch noch so gering. Dem englischen Pity ist es ebenso gegangen und noch ärger, das Adjectivum pitiful ist unser erbärmlich.“, schreibt Georg Christoph Lichtenberg in den Sudelbüchern. Es ist ein wohlfeiles Mitleiden, das am Ende vor allem das Wohlbefinden der Mitleidenden steigert und – wie Lichtenberg scharfsichtig beobachtet – mit „empfindsamer Schwermütelei“, heutzutage gerne von außerordentlich Unbetroffenen als eigene "Betroffenheit“ dargestellt, verbunden ist.


Gegen dieses Gedudel, das sich in der Vorweihnachtszeit zweifellos auch in diesem Jahr der Konjunktur erfreuen wird, setzt Lichtenberg die „Of- und Defensiv-Allianz“. Sich mit denen zu verbünden, die Ungerechtigkeiten ausgesetzt sind, erfordert nicht, sich selbst „betroffen“ zu fühlen, sondern die Analyse der Ursachen und der Bedürfnisse, für deren Abschaffung beziehungsweise Befriedigung zu sorgen ist. Ohne Kampf und Disharmonien wird das nicht gehen. Sagt den Wohlfühlspendenmarathon ab!

9 Kommentare:

  1. Ich hasse die von dir beschriebene Form des Mitleidens so sehr, dass ich in meinem beruflichen Umfeld sehr stark aufpassen muss, dass ich diese Emotion nicht zu stark vertrete. Denn es diejenige, die sich so emotional gegen das Charity-Gedöns äußert, die ist in jeder Hinsicht verdächtig.
    Dennoch möchte ich an dieser Stelle eine Lanze für das Mitleiden brechen. Echtes Mitgefühl ist eine menschliche Tugend. Sich wirklich in die Situation des anderen hineinversetzen können ist eine Gabe. Und sie ist Tausend Universen weit von dem entfernt, was der Kapitalismus an Mitleidsritualen erfunden hat, um das Oben-Unten-Gefühl zu zelebrieren.

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  2. Ja, das stimmt. Dies Mitgefühl ist es, das zur Allianz führt und also den anderen als Verbündeten sieht - und nicht als Objekt. Genau auf diese Unterscheidung kommt es an.

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  3. Wenn 'Mit-Leiden' das bittere Leiden mit dem Anderen im Pech meint, okay.

    Ich lese das Wort lieber als Mit-Erleiden, was dem Leiden ein wenig an Theatralik (seht her, ihr Millionen, wie ich leide, ach Gott ja, und sei es nur - mit) nimmt.

    Dann ist Mit-Leiden leicht salvierend in Richtung Mit-Fühlen geschoben (ein Schicksal, das umgangsprachlichen Begriffen sehr leicht widerfährt) und damit – entschärft.

    Nun entkleiden wir die Bedeutung ihrer (falschen? egal, von mir aus auf jeden Fall nicht alzu gerne gemochten) Bedeutungshöfe (Wow, ein echt geiler Begriff!) und landen beim: was Du fühlst, das kann auch ich fühlen - der Grundlage aller Gesellschaft (von fühlenden Wesen).

    Und dann hat sich es nicht mehr sehr mit Unterwerfung und Herablassung (welche ja doch ein Späteres sind und je als ein Solches gesehen werden sollten, wird von Mitleid im je Konkreten gesprochen).

    Denn: Mitleid ist mitnichten immer eine Form der Herablassung, auch wenn es das jeweils sein kann. Und die dominante Geste des Mitleides erwartet keineswegs immer die der Unterwerfung, welch eine haar- und geiststräubende Idee!

    Mitleid kann natürlich (wie alles) kontaminiert werden (wie Geld, wie Liebe, wie Transzendenz, wie Poesie und somnambule Gefühligkeit), aber es ist doch sehr wichtig, die Mechanismen der Kontamination stets anzugeben, statt bloß im Abstrakten zu verbleiben (wo immer alles und nichts zugleich gelten kann)!

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  4. @Sumuze
    Ihr Kommentar hilft mir, meine Kritik am "Mitleid" noch klarer herauszuarbeiten. In der Tat: Ich kann nicht fühlen, "was du fühlst". Sehr oft nicht. Mir fehlt viel dazu in konkreten Situationen: Ich weiß nicht, was eine fühlt, die ihr Kind verliert, was jemand erleidet, der eine tödliche Krankheit hat, wie es sich anfühlt, wenn man ausgebombt wird. Nein, ich fühle das nicht mit und ich kann niemandem dies Gefühl des "Mitleidens" geben. Abstrakt kommt mir indessen vor, wenn man meint alles "mitfühlen" zu können.
    Ich versuche statt der Gefühle, in die ich mich nicht "einfühlen" kann (verhärtet wie ich bin, mag vielleicht eine wie Sie denken), zu verstehen, was eine braucht, die leidet. Ich frage auch danach, wenn ich es nicht "von mir aus" weiß (was sicher den spontan und stets Mitleidenden nie geschieht). Und ich bemühe mich zu helfen, wenn ich´s kann. (Dass ich´s manchmal kann, liegt meiner Meinung nach daran, dass ich eben dann oder damit Glück gehabt habe und in dieser konkreten Situation nicht leide). Wenn´s keine Hilfe gibt oder ich keine geben kann, versuche ich da zu sein. Auch wo ich nicht weiß und mitfühle, was der/die andere fühlt.

    Und: Ich möchte, wie G.C. Lichtenberg, nicht bemitleidet werden. Aber ich hoffe auf Hilfe und liebevollen Beistand, wenn ich in Not bin. (Um einen christlichen Begriff zu gebrauchen: auf Barmherzigkeit. Die ist auch dann möglich, wenn eine nicht fühlen kann, was ich fühle.)
    27. November 2011 19:16

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  5. Können Sie nicht fühlen, was 'Du' fühlst, oder hassen Sie nur die Vorstellung, zu fühlen, was ein anderes 'Du' (auch als der verallgemeinerte Andere bekannt) fühlen würde, wären Sie er oder sie?

    Ihr Ansatz (Verstehen gegen Mitfühlen auszuspielen) missbehagt mir: dieses seltsam mechanische 'Ich' versus all die ganz Anderen!

    Folgte ich dem, könnte ich nicht einmal beim Frühstück mit jemandem über das Wetter reden (was meint dieses Alien bloß mit 'mies' oder 'prächtig', fragte ich mic dauernd) und würde beim Einkaufen zwischen den Regalen andauernd erschrecken (O Gott, er will mich fressen!)

    Nein, natürlich bilden wir alle uns immer ein, zu fühlen wie die anderen, oder wir wären Monaden, kontakt- und grundlos, einsam und rettungslos. Das Ahnen, wie es im anderen zugeht, beruhigt uns allererst, was denn sonst? Etwa die vorweihnachtliche Überweisung an 'Brot für die Welt'?

    Ob nun der Herr Lichtenberg nicht bemitleidet werden wollte, halte ich aufgrund seiner Biografie für eine abenteuerliche Behauptung. Wollte er nie den Schweiß der Angst abgewischt haben, der auf ewig Gesunde, Richtige und Selbstische?

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  6. Ich überweise nicht an "Brot für die Welt".
    Und Herrn Lichtenbergs Selbstaussage, der ein kleiner, buckliger, behinderter Mann war und es sicher häufiger bekam, er wolle kein Mitleid, das sei ihm unangenehm, nehme ich ernst. Ja.

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  7. Zur Klarstellung noch: Ich kann wohl mitfühlen. Doch vieles ist mir fremd. Wenig Leid ist mir bisher widerfahren. Kein Verdienst. Doch tatsächlich weiß ich nicht, wie andere offenbar, was ich fühlen würde, wäre ich an Stelle eines anderen, dem schweres Leid widerfährt. Da brauche ich Verstehen gar nicht gegen das Gefühl auszuspielen. Ich verstehe vieles nicht und kann auch vieles nicht fühlen. Vielleicht ist das auch eine Behinderung. Sie, Sumuze, halten es offenbar für eine, ein "mechanisches Ich", fast autistisch offenbar. Das kann ich nicht ändern, diesen Eindruck.

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  8. Beides (charity aka ev.Kirche sowie Wort und Tat einer öffentlichen Persönlichkeit) waren nicht die Essenz meiner Aussage, sondern überflüssiger Tand.

    Wichtiger wäre mir das 'Mechanische': sich 'den Anderen' nicht einfühlend, sondern nur machvollziehend, modellierend vorstellen zu können oder zu wollen.

    Dabei muß gar nicht 'großes' Gefühl (wie schweres Leid) bemüht werden. Einfache Dinge reichen vollkommen wie: was meint jemand, die sagt, sie habe Kopfschmerzen? Für mich stets: sie hat wohl jene Empfindungen, die auch ich als Kopfschmerz bezeichnete. Ich übertrage mein Erleben, anknüpfend an das geteilte Wort, auf die andere Person und ihr Erleben (welches ich selbstverständlich nicht 'weiß') und 'fühle' auf diese Weise mit, oder leide so mit.

    Bemühte ich erst medizinische Modelle zu Schmerz und seinen gefühlten Orten im Körper, um mir eine Idee des Kopfschmerzes der Anderen zu machen, käme mir eben das 'mechanisch' vor (ich mache mir ein Modell, nach-konstruiere es wie eine Maschine).

    Als soziales Wesen aber vertraue ich auf mein 'naiv-natives' Gefühl - daß die Andere einen Kopfschmerz in etwa so habe und empfinde wie ich auch.

    Das ist nicht weiter großartig und bemerkenswert, aber für mich die Basis jeder Gemeinsamkeit, wie etwa der von Sprache, Arbeit und Zusammengehörigkeit - denn gäbe es sie nicht, wären mir andere Menschen so fremd wie Nacktnasenwombats oder Weberameisen, deren Verhalten ich mir zwar erklären, weil 'mechanisch' modellieren kann, es jedoch niemals mitfühlen könnte. Weswegen, falls ich mich tierschützerisch für sie einsetzte, ich in der Tat mich zu ihnen herab ließe und mit meinem 'mitleidigen' Einsatz zugleich deren Unterwerfung unter mich bestätigte und fortschriebe.

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  9. Ganz verstehe ich das jetzt nicht mehr. Denn es ging doch (mindestens in meinem Text) um Mit- Leid, also sehr wohl um (schweres) Leid (worunter ich was anderes verstehe als Kopfschmerzen) des einen und die Reaktion des anderen darauf. Eines anderen eben, der dieses Leid nicht erfährt - und vielfach auch nicht aus eigener Erfahrung kennt.
    Wir reden da wohl an einander vorbei, denn "Mitleid" ist in meinem Text nicht gedacht als Fähigkeit sich in die eigene Spezie unspezifisch "einfühlen" zu können: also Hunger, Durst, Lust ... (Möglicherweise sogar ein Instinkt wie das Kindchenschema). Mir ging und geht es um den Begriff in der Wirkungsästhetik der Aufklärer und der aufgeklärten Wirtschaftstheorie, die optimistisch davon ausgingen, das Wahre, Gute und Schöne werde durch die Kultivierung des Mitleides identisch. Das halte ich für falsch. Und für Ideologie.
    Tatsächlich war mir aber bewusst, dass es provozierend wirken würde, den Mitleidsbegriff Adam Smiths, auf den sich die Wohltätigkeitsvereine berufen können, mit dem von Lessing, gegen den Lichtenberg sich wendet, zu verknüpfen. Denn so richtet sich die Kritik nicht mehr nur gegen die Spendentätigkeit, sondern auch gegen ein aufklärerisches Menschenbild, das an die "Erziehung des Menschengeschlechts" durch Mitleid optimistisch glaubt. Diesen Optimismus (oder: dieses positive Menschenbild) teile ich nicht. Doch glaube ich andererseits auch nicht , der Mensch sei des Menschen Wolf. Stattdessen setze ich gesellschaftlich auf die zivilisierende Kraft des Rechts. Das mag herzlos erscheinen.

    Aber es gibt auch die Liebe. Sie braucht kein Mitleid. Meine Söhne habe ich nicht in den Schlaf gewiegt, wenn sie weinten, weil ich mit ihnen litt, sondern weil ich sie liebe. (Die Identifizierung mit ihrem Leid hätte mich ja gefühlsmäßig selbst in das Kind verwandelt, das Hilfe und Trost braucht. Die Kinder aber brauchten die Mutter.)

    Ich verstehe aber, denke ich, Ihr Unbehagen gut, denn natürlich entlarven Sie mich: Viele Menschen (die meisten?), fühle ich, sind mir so fremd wie Nacktnasenwombats. Das ist schockierend. Und vielleicht auch traurig. Ich kann diese Fremdheit allerdings - im "richtigen" Leben - gut verbergen und wirke (meistens) ganz nett und menschlich.

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