Sonntag, 12. Februar 2012

Vermischtes: IMPERIALE KACKSCHEISSE oder TRANSPIRIEREN MUSS SICH LOHNEN!

„Imperium“
Die Wochenend-Feuilletons sind voller ausführlicher Rezensionen zu Christian Krachts neuem Roman. Was zur Folge hat, dass ich ihn nicht lesen werde in diesem Jahr. Denn wie stets reagiere ich allergisch auf den Hype. Vielleicht ist das ein tolles Buch, wie Felicitas von Lovenberg in der FAZ meint, nämlich ein müheloser, ernsthaft witziger Abenteuerroman. Diese Rezensentin genießt allerdings nicht mein Vertrauen; ich erinnere mich vage, dass sie auch ein Buch hoch lobte, das irgendwas mit Unterleib und Religionsriten, aber bestimmt nichts mit Literatur zu tun hatte. In der taz ist der Artikel zum Buch mit einem abstoßenden Foto vom Autor aufgemacht, passend zum Fazit Andreas Fanizadehs, der im neuen Roman Krachts den Höhepunkt eines „ganz und gar lächerlichen, gehobenen Spießertums“ erreicht sieht. Na schön, auf mich muss das „Imperium“ warten bis nächstes oder übernächstes Jahr, wenn keine Henne und kein Hahn mehr danach kräht.

„Kackscheiße“
Ein anderer Kumpel aus der hippen Szene der feuilletonistischen Hyper, Moritz von Uslar, der ein von mir mit viel Vergnügen gelesenes Buch mit dem Titel „Deutschboden“ geschrieben hat, veröffentlichte unter der Woche ein 99 Fragen-Interview mit Diane Kruger im „Zeit“-Magazin. Man kann natürlich nix sagen gegen die sexistische Kackscheiße, mit der hier die Schauspielerin, die in Paris lebt, konfrontiert wird (von doofen Blondinen-Klischees bis Sadomaso-Visionen zur strengen Deutschen), ohne sich vor coolen Szenengängern lächerlich zu machen, die (haha!) feministische PC-Einwände selbstverständlich vorhergesehen und in ihre fröhliche Pseudoprovokation vorfreudig integriert haben. Na klar weiß von Uslar, dass das blonde Ex-Model nicht blöd und geil ist, obwohl sie ein bisschen viel lacht am Anfang des Interviews, und am Ende, selbstverständlich, stellt der Interviewer fest, dass es auch möglich wäre sich mit Diane Kruger vernünftig zu unterhalten, aber bitteschön, wer sind wir denn, wir sind doch cool (und so...). Weshalb die aufschlussreichste Passage des Interviews auch jene ist, in der sich von Uslar bestätigen lässt, dass schöne, blonde Frauen auch auf Männer stehen, die nicht ganz so gut aussehen.

„Matchmaker“
Weil ich schon dabei bin, sondere ich gleich noch ein bisschen mehr voll feministisch verengte, nervtötende und einseitig überinterpretierende (Seht her Maskulinisten und Sexisten, ich kann das auch, eure tendenziell vorhersehbare Kritik oberschlau in meinen Text schon einbauen) Kritik am männerdominierten Qualitätsjournalismus ab, der sich jeden Themas ganz ungeniert aus der Penisträgerperspektive annimmt, jedoch in der hundertprozentig selbst-verständlichen Annahme, es handle sich hierbei um einen höchst objektiven Standpunkt. So wie jede Woche wieder das angelsächsische Magazin „Economist“, dessen Abonnenten ihre Leserbriefe ohne weiteres und bis auf Weiteres mit „Sir“ beginnen können, ohne Gefahr zu laufen, jemanden zu kränken. Der „Economist“ klärt auf, dass „modern matchmaking“ im Internet auch nicht unbedingt bessere Ergebnisse liefert als herkömmliche Kennenlern-Methoden. Zu dem Artikel hat die Redaktion als Header eine Fotomontage in Auftrag gegeben, wo ein älterer Herr vor dem Bildschirm sitzt, aus dem der Kopf einer Braut mit geschürzten Lippen herausschaut. Ich neige zu der bösartigen Überinterpretation, dass diese Rollenverteilung kein Zufall ist, sondern widerspiegelt, wie die Herrschaften beim "Economist" die Welt und die Paarbildungsstrategien auch im 21. Jahrhundert wahrnehmen: der Mann ist der Mensch, der sich ein Objekt seiner Wahl aussucht. Die Frau ist das Ding, das „angeklickt“ und dadurch lebendig wird "(Pygmalion lässt grüßen!") (Klar hätten die das auch umgekehrt darstellen können. Wirklich? Die? Herren? Vom Economist?)

„Meritocracy“
Den Economist, obwohl er ganz klar ein Männermagazin ohne PinUps ist, zu lesen, lohnt sich trotzdem immer wieder, wenn man wissen will, was die Avantgarde der zivilisierten Kapitalisten denkt und fürchtet. Heuer ist es unter anderem „The death of meritocracy“, also grob übersetzt, das Ende von Guido Westerwelles „Leistung muss sich lohnen“. Denn wie sich zeigt, sind sogar im freien Britannien immer weniger Menschen davon überzeugt, dass Lohn und Leistung an der Spitze, bei "den Bossen", in einem Äquivalenzverhältnis stehen: „Assuming that voters are not suicidally casual about who holds Britain´s biggest jobs, their desire to slash bosses´ pay leads to one conclusion: the public does not believe that executives are as exceptional as today´s pay levels would suggest. Some voters may be ready for a gamble, believing that bosses are not as globally mobile as they claim to be and would stick around if their pay was cut. Others may be more cynical, suspecting that bosses are not as unusually as they claim, so that others could do as good (or as mediocre) a job for less.“  In der Tat, diese sonderbaren und höchst unvernünftigen Ansichten gewisser Wählerschichten müssen beunruhigen.

„Transpiration“
Interessant war für mich auch der Hinweis, dass französische Männer bei Kosmetika am meisten für Feuchtigkeitscremes ausgeben, deutsche und italienische Männer aber für Deodorants. Was steckt dahinter? Neigen französische Männer mehr zu trockener Haut? Ist es ihnen wichtiger,  zart(an)fühlend zu sein als den Deutschen und den Italienern? Transpirieren deutsche und italienische Männer heftiger und unangenehmer als Franzosen?  Oder entsteht Anziehungskraft bei den Franzosen mehr über das Sehen bzw. Anfassen und bei den Deutschen und Italienern mehr über das Riechen? Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für die nationale und internationale Erotik? Viel Stoff für ein anregendes und vielseitiges Forschungsprojekt, dem sich unbedingt eine widmen sollte. 
(Das Ganze erinnerte mich auch an eine häusliche Krise, die wir diese Woche hatten. Die Firma Unilever produziert ein Deodorant, das von Amazing und MasterMind bevorzug wird. Leider wird für dieses Produkt in frauenverachtender Weise geworben. Daher kann es zukünftig nicht mehr aus den allgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung gestellt werden. Entweder müssen die beiden sich für Alternativen entscheiden oder das Produkt aus eigenen Mitteln bezahlen. Diese Entscheidung wurde nicht widerspruchslos hingenommen.)

„ACTA-Konter“
Erfreulichste Nachricht zum Wochenausklang war die Entscheidung der Bundesregierung, ACTA vorerst nicht zu unterschreiben. Die Proteste zeigen offenbar Wirkung. „No sooner“, schreibt der Economist, „was the ´Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) signed than Kader Arif, the European Union´s chief negiotiator, called it a ´masquerade´ and resigned. Slovenia´s envoy, who signed the deal at a powwow in Japan, called her own behaviour an act of ´civic carelessness´. Romania´s prime minister (now resigned) admitted he couldn´t say why his country had signed it. In Poland, where lawmakers protested by wearing Guy Fawkes masks associated with the Anonymous hacker-activist collective, the prime minister said he would suspend ratification. The Czech Republic and Slovakia (which had not signed it) later did the same.“ ACTA ist ein Hinterzimmer-Abkommen. Auch deshalb ist es gut, wenn es scheitert: „Internet activists used to be dismissed as a bunch of hairy mouse-clickers with little clout. Not any more.“ *


* Nachtrag (17:35 Uhr): Auf Heise online lese ich soeben, dass die Europäische Kommission sich unbeeindruckt zeige von den Protesten gegen ACTA. "Misslich" sei allerdings, dass die Diskussion sich fortbewegt habe von den Freihandelsaspekten zu den Grundrechten. Allerdings: Die Grundrechte werden von gewissen Leuten einfach überbewertet. Die Kommission will darauf mit einer Informationsoffensive antworten. 


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