Samstag, 21. April 2012

PUNK PYGMALION (30): DER LETZTE BRIEF (Masochism world)


Fortsetzung des Brief- und Blog-Romans PUNK PYGMALION. Folge 1- 29: hier.

Ich zögerte es hinaus, diesen Brief einzustellen, monatelang, seit Emmi verschwunden ist. Im Dezember hatte ich noch Mails von ihr erhalten. Doch sie selbst hat mir bewiesen, dass Mails kein verlässliches Lebenszeichen sind. Gesehen habe ich sie zuletzt im Juni vergangenen Jahres. Andere sahen sie später noch in Südfrankreich mit Lars, wie ich annehme, und danach in Berlin. Mein Kontakt ist abgebrochen. Ich nehme den Faden wieder auf, indem ich Lars heute in Berlin treffe. Das Gefühl der Schuld verlässt mich nicht mehr, seit ich begriffen habe, wie sehr Emmi mich hintergangen hat. Dabei müsste es doch umgekehrt sein. Es ist sie, die ein Geheimnis verbirgt und gelogen hat. Dennoch hat sie was auf mich geladen. Dieses sogenannte „Happy End“, das ich nolens volens herbeischreibe, weil ich die Briefe öffentlich mache? So viele Leser:innen hat mein Blog nicht, dass Emmi hier wirkungsvoll Botschaften versenden könnte. Richtet sich all das an einen bestimmten Adressaten? An Lars? An Maja? Oder an mich? Bin ich es, die etwas begreifen soll? Lu, ein Leser des Blogs, der gelegentlich auch als Lobster unterwegs ist, kommentiert unter einem anderen Post: „Du bist kein Punk.“. Und das stimmt ja auch. „Verschämte Sexualität“ ist ein anderer Vorwurf und die Drogen –Abstinenz, mindestens die gegenüber „harten“ Drogen; es ist doch als An- und Vorwurf gemeint?

Immer wieder schiebe in diesen Brief-Roman, der Ansgar gehören sollte, meine Erinnerungen ein und tatsächlich haben sie mit Scham zu tun, mit Ängsten und Hoffnungen, die peinlich sind, nicht nur rückblickend, weil sie mir meine fortwährende Beschränktheit offenbaren und  einen Verdacht nähren, den hellsichtig eben Lu/Lobster offenlegt: Ich habe mir immer etwas vorgemacht, vor allem über mich. Diese Kleinmädchen-Protesthaltung, auf die ich mir wer-weiß-was einbildete, entlarvt  nur, wie wenig ich gewagt habe. Aber Emmi, höhnt es mir entgegen, was hat Emmi gewagt? Sie war dort im Süden 1984 und jetzt ist sie fort. Sie hat ein Leben und noch eines verschwinden lassen, so scheint es, fast spurlos. Vielleicht ist dies das Happy End und ich will es nur nicht begreifen: NO FUTURE. Emmi hat nie mit offenem Visier gekämpft; Emmi hat sich immer nur bloß gestellt, wenn sie einen Überraschungseffekt ausnutzen konnte. Ansonsten hat sie sich so sehr angepasst, dass jeder glauben konnte, sie sei genau das Mädchen, die Frau, die er sich wünschte. Auch unsere Freundschaft hat so funktioniert. Nicht nur, sage ich mir dann, Emmi hat sich abgesetzt, aber sie hat vorher über viele Jahre an mir festgehalten, trotz ihres Vaters, trotz Ansgar, trotz meiner Ehe und meinen Kindern.


Liebe Emmi,

bin ich ruhig jetzt? Jetzt bin ich ruhig, sage ich mir, jetzt muss ich doch ruhig sein, nachdem alles entschieden ist, nachdem ich weiß, dass du kommst und alles wieder ins Lot.  Wir sind uns begegnet, um genau das zu tun. Wir haben beide GESEHEN. Wir haben das graue Plastik zurückgeschlagen und in das Gesicht geschaut mit den blau angelaufenen Lippen.  Der Himmel war anders blau, erinnerst du dich, aber auch disem Blau war ein wenig Violett beigemischt, als wolle Berlin die Leiche grüßen. Wir sahen beide, wessen Gesicht das war, auch wenn wir nichts sagten. Ich gebe zu, dass ich davor davon gelaufen bin, dass ich mir das umdichten wollte in den Anfang einer Liebesgeschichte mit dir.  Und das war es auch. Das ist doch wahr, trotz allem. Ich habe dich benutzt, um Hoffnung aus dir herauszusaugen, in dich hinein zu ficken, auf dich zu spritzen. Es gibt keine mehr und hat nie welche gegeben. Es war nicht recht, was ich mir vorgemacht habe und dir. Doch ich habe nicht gelogen, Emmi, darauf kommt es an. Ich habe versucht, dir zu zeigen, wie ich dich liebe und dass diese Liebe groß und gewaltig ist und ohne Rettung für dich. Der Fehler war, dass ich MICH retten lassen wollte. Wie ein kleines Kind wollte ich mich von dir retten lassen. Was zwischen uns geschehen ist,  Emmi, ist von Anfang an ohne Ausweg gewesen, es war das Beste und Schlimmste, was wir sein können und wird das immer sein. Wir sind beide verdorben für jede andere Liebe.

CAN YOU FEEL IT IN YOUR SOUL?

Ich bin nicht ruhig. Mein Hirn sucht verzweifelt andere Wege. Ich stelle mir vor, wie ich mich von den Hunden zerreißen lasse, die mein Nachbar im Tal züchtet. Es sind Bestien in struppigen Fellen mit gewaltigen Kiefern und spitzen Zähnen, mein Fleisch wäre ein Fest für sie. Wenn er fort ist und sie angekettet sind, gehe ich hinunter und hüpfe vor ihnen herum. Ich schreie sie an und werfe Steine nach ihnen. Sie kläffen und schnappen nach mir, ganz wie ich es will. Ich züchte ihren Hass. Aber die Wahrheit ist: Wenn er daheim ist und die Bestien frei umher streifen, meide ich es, in ihre Nähe zu kommen.Ich spiele ein Spiel, weil ich ein Feigling bin. Weil ich ein Mädchen brauche, rein und unschuldig wie dich, das mich opfern soll.


Fuck you, Emmi. Kein Fluch. Einfach, was kommt. Das kommt und ich und dann wird es vorbei sein; so werden wir uns zerreißen, als wären wir Hunde. Wir werden uns vertilgen, weil es anders nicht sein kann –

DOES IT HURT YOU WHEN I DO THIS?

Ich werde dir die Luft abdrücken und du wirst mich zerschneiden. Wir werden eins sein, indem wir uns verletzen. Menschen können nicht anders zueinander kommen. Ich dachte, du wärest ein Engel dort am Kanal. Das war ein Irrtum. Aber auch das Glück. Dass du ein Mensch bist, wird alles möglich machen.

STOP IT – YOUR PULLING TO HARD.

NEIN! Wir werden verlangen: „Härter“. Keine Spuren, Emmi, kein Plastik, kein Sack. Keine Untersuchung. Kein Formular. NO FUTURE. Keine verlogene Irokesen. Keine Ringe in den Nasen. Kein Karneval mehr.

I LOVE IT, I HATE IT, I LOVE IT. WHY IS IT SO CONFUSING?

CAN YOU FEEL ME IN YOUR SOUL?

Komm. Und bleib. (NICHT!)

LOVE and HATE

Ansgar


Ist es das Ende von Ansgars Geschichte? Ich habe nichts weiter mehr von ihm als das, was jetzt online steht. Jetzt gehe ich los, seinen Sohn zu treffen, weil ich mich mit diesem Ende nicht abfinden kann. Wie traf Emmi Lars und was trieben sie beide in Südfrankreich? Wo steckt Emmi? Ich bin nervös und ich weiß nicht mal, ob ich es wagen werde, diese Fragen zu stellen.

Berlin, Erich-Weinert-Straße (Los geht´s!)

7 Kommentare:

  1. hups, meine namen tauchen da auf ... naja, melusine, so ganz ernst gemeint waren meine zwei kommentare letztens nicht - am ehesten noch der satz, du wärst kein punk ( wieso soll manfrau auch punk sein wollen resp. was überhaupt ist ein oder gar Die/DER punk ? )

    deine antwort darauf fand ich aber geradezu köstlich ( dösbaddel oder so ) :)

    abgesehen davon gibt es halt frauen ( und männer ) die zu so etwas wie monogamie neigen - müssen "die schlechtesten" ( dito "die besten" ) nicht sein oder so.
    liebe und sex sollten nicht nach ideologie oder schema ( als norm oder so ) abgehen.

    lg

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    1. Lobster, so geht das nicht, Lu, was raushauen und´s dann nicht gemeint haben wollen, nee nicht. Was haste denn immer mit der Monogamie. Der Ansgar hat ganz offensichtlich nicht monogam gelebt. Vor allem nicht zum Schluss in Barcelona. Die Emmi, ok. - das war/ist, was man neuerdings "serielle Monogamie" nennt. Von der Ich-Erzählerin weiß man doch gar nix. Die könnte auch asexuell leben. (Gut, es ist mal von Kindern die Rede, aber deren Zeugung liegt vielleicht ´ne Weile zurück.) Deine Assoziationsketten sind echt sonderbar.

      Punk-Sein war ´ne Option und ´ne Entscheidung noch Anfang der 80er Jahre. Ein Statement. Bevor es Mode wurde. Hatte auch was Verlogenes, rückblickend. Aber hinterher ist man immer schlauer.

      Dösboddel ist gut. Ich hab´noch eins. Mein Favorit: Greubeiß!

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  2. hey - spätestens wo ich schrub "harte tabletten" ( ähm wer drückt sich denn ernsthaft so aus ? ) dachte ich, das ist doch wenigstens leicht zu beschmunzeln.
    oder die behauptung ( als vorläufer davon ? - nö ich guck nicht nochmal nach ) alle punks wären junkies ( dezidierter h.-junkies ) - also so etwas sagt doch niemand, der nicht durchgenatzt ist.

    "serielle monogamie" - also so etwas wie lebensabschnittsgefährt:innen- bis one-nitestand-reihung - ah ja, wieder einen aktuellen ausdruck dazugelernt.

    ansonsten - die meisten punks die ich kannte starben nicht overdosed in irgendeiner toilette sondern ergriffen - meist erfolgreich - bürgerliche berufe und gingen in familiären strukturen auf.
    unter manchen freaks in den 80ern waren punks übrigens - okey, ziemlich vorurteilsverhaftet - verhinderte spiesser.
    ( naja, spiesser sagt man ja huete nicht mehr, genausowenig wie pigs oder freaks oder weiss der geier : was nochmal ist ein hippie gewesen ? )

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  3. Na ja, genau um all das - No Future, aber aufs Erbe und die Dividende spekulieren - geht´s hier ja auch. Gewissermaßen. Und um einen, der das nicht tut. Aber auch lügt. Und alles wird erinnert, wieso es sowieso nicht stimmt. "verhinderte spießer" ist gut. Verwende ich vielleicht. (Geistiges Eigentum klaue ich ohne Skrupel!) Hippies waren unterernährt und langhaarig, sie bewegten sich schaukelnd und glaubten man könnte sich fickend befreien. Oder so ähnlich. Bin zu jung, um das genau zu wissen (hey, das ist doch mal eine schöne Feststellung.) usw.

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  4. so schnell geht das nicht mit einer "haupstadttherapie" - dass so gut wie alles legal ist ( zu sein scheint ? )
    legale chicks

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    1. Das gehört hier nicht her. Sondern unter den Post vom 24. April. So viel Sorgfalt kann ich erwarten, lu!

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