Donnerstag, 3. Mai 2012

WEST-ÖSTLICH OHNE DIVAN (9): Digitale Unglücklich-Glückliche


Nicht mehr aufs weiße Blatt
Schreib ich gereimte Verse,
Nicht mehr fass ich in Schrift meine Lieb´
Der Wolke droben, der unsteten
Send ich bewegte Worte zu
Auf deren virtuelle Kraft ich baue
Alles strahlt von keiner Mitte her
Die Erden sind verstreut im All
Kein Schiff kommt aus den Fernen
Kein Liebender betrifft den Boden
Wir zucken weiter auf unseren Lagern
Wie Tiere und sehnen uns nicht fort
Aber nacheinander und ruhen nicht
Unglücklich-glückliche bleiben wir
Unter und zwischen den Masten
Die unsere Chatprotokolle leiten
Weiter als wir rufen können:
„Ich liebte dich, war deine Herberge,
Schmückte deine Spuren aus,
O, Du, Geliebter, so bleibst du?“

7 Kommentare:

  1. Diese Gedichte sind so - viktorianisch. Schön!
    Warum West-Östlicher Divan?
    LG, Iris

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  2. Viktorianisch? Erklärst du mir das? (zugeknöpft, gerüscht, verblümt????)
    - Sie entstehen alle als Überschreibungen von Goethe/Willemers "West-östlichen Divan"-Versen.
    Liebe Grüße, Melusine

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  3. Oh, da habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Viktorianisch meine ich nicht im Sinne dieser Zeit, die u.a. geprägt war von Prüderie und Doppelmoral, sondern im Sinne derjenigen Dichtung dieser Zeit, die sich deutlich beschreibend bis äußerst kritisch mit politischen und gesellschaftlichen Themen beschäftigt hat. Und hier wiederum meine ich vor allem die Lyrik, und diese auch mehr Sprachstil und -elemente als Inhalt betreffend. Du hast ja kürzlich aus einem der Gedichte aus "Possession" zitiert, Byatt hat diesen Stil unglaublich gut getroffen, und Du tust das meines Erachtens auch. Jedenfalls hat Deine Sprache für mich weniger von der Prägung eines Goethe oder einer Willemer, als vielmehr Tennyson, Arnold, Bronte oder Barrett Browning. Irgendwie "englisch". Ich kann das nicht so gut faktisch begründen, es hat mehr mit Gehör und Gespür zu tun.
    Liebe Grüße!

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  4. Vielleicht ist da was dran. Denn ich lese oft englische Gedichte aus dieser Epoche. Neben meinem Bett liegt ein dicker Band "English Poetry", die ich, ich weiß nicht mehr wann, vor tausend Jahren, für wenig Geld kaufte. Bewusst ist der Bezug nicht. Ich nehme tatsächlich immer eine Strophe oder einen Ausschnitt aus dem "West-östlichen Diwan" und fange an, den zu überschreiben, viele, viele Male manchmal, über Monate, manchmal auch ganz schnell, zack und passt! Es ist ein Spiel, aber nicht im Gegensatz zu "ernst gemeint". Auch nicht parodistisch, sondern...?

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  5. Vielleicht ist diese Überschreibung deshalb so gelungen, weil sie Deinen ganz eigenen Stil hervorbringt. Mir gefällt's jedenfalls. (Interessant wäre vielleicht auch, den Ausgangsstext daneben lesen zu können oder einen Hinweis darauf zu haben? Nicht um zu vergleichen, sondern um zu sehen, was Inspiration vermag ... Hm ...) Ich finde faszinierend, was Dichtung mit einem macht, wenn man sie lässt.

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  6. Es ist relativ leicht, die konkreten Stellen im West-östlichen Divan zu finden. Oft hilft auch die Überschrift ;-). Daneben stellen im Blog möchte ich sie nicht. Es ist schwierig, das zu erklären, aber meinem Gefühl nach wäre das dann zu "wissenschaftlich", zu sehr auf "vergleichende Analyse" programmiert. Es nähme Offenheit raus, die mir wichtig ist.
    Der Hinweis ist jetzt ja in den Kommentaren gegegeben ;-).

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  7. Stimmt, war leicht, hab's gefunden. (Und ist wirklich nicht so wichtig; ich verstehe, glaube ich, warum Du diese Gegenüberstellung nicht willst.)

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