Dienstag, 10. Juli 2012

VICENZA: Eine Dame in Blau und ein Gockel mit rotem Kamm


Vicenza vom Monte Berici


Wir trafen sie an diesem Tag immer wieder: eine ältere Dame mit goldblondiertem Stufenhaarschnitt, der immer ein wenig durchgeblasen wirkt, obwohl kein Lüftchen wehte, was ihr eine Frische verlieh, die die tiefen Falten im Gesicht und am Hals nicht vertreiben konnten, weil sie auch so beschwingt einher schritt auf ihren halbhohen Sandalen und in ihrem gerüschten, dunkelblauen Kleid, dass ihr Rock trotz der Windstille fröhlich bauschte. Bella figura machte sie und hatte sie, obgleich sie nicht schlank war, sondern bestenfalls vollschlank, aber mit Taille und Rundung, wo sie hingehören. So kam sie den Corso Palladio hinunter, als wir das Auto in der Hitze auf der Piazza Mazzeotti abgestellt hatten und enttäuscht feststellen mussten, dass nicht nur das Teatro Olimpico und die im von Palladio erbauten Palazzo Chiericati untergebrachte städtische Pinakothek geschlossen hatten. Denn es war Montag – und daran hätten wir denken können, hatten wir aber nicht. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als die Stadt Palladios, als Vicenza, von der Gasse aus zu bewundern, statt uns im Inneren der Räume von der so vielgerühmten Proportionalität des palladianischen Stils zu überzeugen.

Die blaue Dame querte auch die Piazza dei Signori, das prachtvolle Zentrum der Stadt, wo Palladio den Palazzo della Ragione mit einer doppelstöckigen Marmorloggia einkleidete, die nun „Basilica“ genannt wird. Grün leuchtet das gewölbte Dach unter dem rosa-weißen Marmor. (Auch Goethe war 1786 begeistert: "Es ist nicht möglich, den Eindruck zu beschreiben, den die ´Basilica´ von Palladio macht.") Die „Basilica“ wird seit nunmehr fünf Jahren renoviert, wie ich eine Dame ihren Gästen erläutern hörte, und erst im Oktober 2012 werden auch die Bürger Vicenzas wieder einen Blick hinein werfen können, wenn sie mit einer großen Ausstellung wiedereröffnet wird: „Raffaello verso Picasso. Storie die sguardi volti e figure“. Sollten Sie, liebe Leserin, lieber Leser also vom 6. Oktober 2012 bis zum 20. Januar 2013 zufällig in Venetien sein, lassen Sie sich diese Gelegenheit nicht entgehen.

Vicenza ist schön, wer könnte das leugnen, auch und wegen Palladio, der unauffällig seitlich neben seiner „Basilica“ auf einem Podest steht und den Finger bedeutsam oder nachdenklich ans Kinn legt. Auf der Piazza dei Signori dagegen stehen auf hohen Säulen gleichrangig neben einander der venezianische Löwe und der Erlöser mit einer von unten winzig aussehenden Weltkugel in der Hand. Da haben wir ihn wieder: Den Konflikt zwischen weltlicher Macht, Vernunft und Gier nach Tauschwerten (wie sehr gerade auch diese untereinander in Wettstreit liegen mögen) und göttlichem Willen, Glauben und dem Begehren nach ewiger und  bedingungsloser Liebe (wie wohl auch diese sich häufig zu wütender Intoleranz vereinigen). Dieser Konflikt prägt hier allem seinen Stempel auf – und mich beschleicht der Verdacht, er habe sich auch uns eingeprägt tief in die Eingeweide hinein, wo wir uns nicht anders verstehen als aus diesem Widerspruch her und über die einander in uns widerstreitenden Verlangen, die sich daraus ergeben. Doch --- ich lese, ich lese nicht nur weiter in diesen Tagen in David Graebers faszinierendem Buch über 5000 Jahre Schulden, sondern parallel dazu in den Schriften der Diotima-Gruppe zu „Macht und Politik“. Jenseits dieses Konflikts und unseres Verständnisses davon eröffnen sich aus der Perspektive der scheinbar Ohnmächtigen, der Gebürtigkeit statt der Schöpfung, der Kultur des Gebrauchs statt des Tausches, einer Ökonomie des Schenkens statt der Mangelverwaltung neue Einsichten und Aussichten. Ich bin noch nicht soweit, das ausformulieren zu können, noch habe ich auch die beiden Bücher nicht bis ans Ende gelesen.

Wir trafen die Blondine wieder, lächelnd und trotz der Hitze perfekt geschminkt, im Self Service Restaurant Righetti am Domplatz, wo für kleines Geld ein guter Mittagstisch geboten wird, den vor allem Einheimische nutzen. Hinterm Dom starrte ich durch ein Schaufenster wie gebannt auf Artdeco-Kommoden, -Lampen und -Sitzbänke, die unmittelbare Erinnerungen an die von mir so geliebten Hollywood-Komödien der 30er Jahre, die Tanzfilme mit Fred Astarie und Ginger Rogers weckten und an die Malerin Tamara de Lempicka. Der Laden heißt Artdeco Galuchat. Zurück schlenderten wir durch die Stadt, vorbei an den von Palladio erbauten Palästen, in deren Innenhöfen malerische Schöne in Nischen stehen oder kämpferische Keulenträger, immer mit Standbein- Spielbein-Eleganz ausgeführt, wie sie auch vom Dach eines Hauses flott herabschauen zu viert, das gegenüber der Kirche San Lorenzo steht. Unsere Blondine haben wir zuletzt verloren, als wir uns von der Hitze des Tages ein wenig ausruhten im Parco Querini, wo vom Hügel im See ein einsamer Tempel die Schatten suchenden Sommergäste grüßt, die sich vor den hier  freilaufenden Hähnen, die drohend krähen, in Schutz bringen müssen.

2 Kommentare:

  1. Schön! Ich finde, die blaue Dame und (mindestens) ein streitbarer Hahn könnten Ihre Reiseerzählungen auch weiterhin begleiten ...

    Herzliche Grüße aus Paris!
    Phyllis

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  2. Ich werde nach ihnen Ausschau halten, nach beiden!

    Ach, Paris....

    Herzliche Grüße
    Melusine

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