Samstag, 21. Juli 2012

VOLLE KANNE BÜRGERLICH: Goldene Hochzeit in Bad Kissingen


Ernst und Röschen feiern Goldene Hochzeit (nach - tatsächlich war´s im Mai schon soweit). „Das kommt selten vor.“, sagte A., als ich ihr davon erzählte, dass wir deshalb das Wochenende in Bad Kissingen verbringen mit der Großfamilie, in einem spacigen 70er Jahre Hotel-Betonkasten, der aber offensichtlich laufend modernisiert und aufgepeppt wurde und vor allem ein wunderbares Aqua-Spa hat, dessen Besucher-Altersdurchschnitt wir gestern Abend schon um 200% (oder so?) gesenkt haben, als Neffe G. (6) und Neffe E. (8) mit Amazing (18) und Mastermind (16) den Whirlpool besetzten und anschließend im Regen im Außenpool einen Wettkampf durchführten, die beiden Kleines jeweils auf den Schultern der Großen. Laut waren die, dass es durch den ganzen Innenhof des Hotels schallte und sich die Balkontüren rundherum öffneten. Geschimpft hat aber niemand; vielleicht ist das doch nur ein Gerücht mit der Kinderfeindlichkeit in Deutschland.

Revival-70er Jahre Interieur Hotel Frankenland Bad Kissingen

Ehen wie die von Ernst und Röschen gibt es tatsächlich nicht viele, denn sie sind nicht bloß nach 50 Jahren noch zusammen, sondern immer noch ein Liebespaar. Einerseits stellt die „Happy Family“ aus Vater, Mutter und zwei Kindern immer noch die in Werbung und Kinderbüchern vorgestellte Norm dar, an der sich auch die Gesetzgebung orientiert, vom Ehegatten-Splitting über die Hausfrauen-Krankenmitversicherung bis zur steuerlichen Benachteiligung von Alleinerziehenden. Andererseits ist in einem Ballungsgebiet wie dem Rhein-Main-Gebiet, in dem wir leben, die Ehe und vor allem die lebenslange Ehe mit Kindern keineswegs mehr die am häufigsten anzutreffende Lebensform. Paare verstehen sich selbst immer öfter als „Lebenabschnittspartner“; manche Soziologen nennen das „serielle Monogamie“. Die Ehe wird in den einschlägigen Ratgebern vor allem als Vertragswerk aufgefasst, das den „schwächeren“, d.h. in der Regel den nur Teilzeit berufstätigen Part schützen soll, „vor allem, wenn Kinder da sind“. In unserem Umfeld leben die meisten Kinder in sogenannten „Patchwork-Familien“ oder bei einem alleinerziehenden Elternteil. Manchen Eltern gelingt es, über die Trennung hinweg als Eltern im Leben ihrer Kinder gleich präsent zu bleiben. Öfter jedoch, das ist mein subjektiver Eindruck, gelingt es nicht. Viele Kinder machen die Erfahrung, dass mit der Trennung der Eltern auch sie von einem Elternteil „verlassen“ werden, meist ist es der Vater. Wie sehr hierbei auch das Verhalten der Mütter eine Rolle spielt, die über den Entzug des Kindes den nicht mehr geliebten Mann „strafen“ wollen, kann ich nicht beurteilen.

Dass jemand allerdings eine Ehe als lebenslange Bindung versteht, bejaht und als Lebensform wählt, ist in diesem Umfeld zum Teil rechtfertigungsbedürftig. Ganz schnell sitzt man mit Erzkonservativen oder gar mit evangelikalen Fundamentalisten in einem Boot. Deshalb schweige ich meistens zu dem Thema. Es ist heikel. Ich weiß, dass diese Lebensentscheidung mich privilegiert, weil sie jene ist, die die Gesetzgebung noch immer – gegen die Wirklichkeit - voraussetzt und bevorzugt. Sie (die heterosexuelle Paarbeziehung + Ehestatus) privilegiert mich auch in sozialen Beziehungen, vom Doppelzimmer im Hotel  bis zur Entschuldigung, einen Termin nicht wahrzunehmen: „Mein Mann wartet auf mich.“  hat immer noch deutlich mehr Gewicht als „Mein Freund/meine Freundin wartet auf mich.“ In meinem beruflichen Umfeld ist es für schwule und lesbische Paare schwierig, sich öffentlich zu bekennen. Alleinerziehende werden von den gutsituierten Hausfrauen in ihren Einfamilienhäusern, die rund um uns wohnen, immer noch mit Argusaugen beobachtet und jedes Fehlverhalten des Kindes auf diese Familiensituation geschoben. Das sollte nicht so sein. Das Ehegatten-Splitting gehört abgeschafft, gleichgeschlechtliche Partnerschaften sollten der Ehe völlig gleichgestellt werden, Alleinerziehende sollten steuerlich keine Nachteile erfahren und gesellschaftlich wäre es angebracht, Entscheidungen für unterschiedliche Lebensformen anzuerkennen.

Bei mir ist es so, dass ich positive Erfahrungen mit Ehe und Familie habe. Sie sind für mich immer mehr Ressource als „Gefängnis“ gewesen. Dafür, dass ich das so empfinde, habe ich schon mehr als einmal abwertende Kritik einstecken müssen: „bürgerlich“, „spießig“, „angepasst“. Ich weiß auch, dass andere andere Erfahrungen haben und diese Lebensform mit Gründen ablehnen. Ich hoffe dennoch, dass es für unsere Söhne einmal ähnlich sein wird wie für mich – und dass auch sie eines Tages mit ihren Eltern deren 50. Hochzeitstag feiern können.

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