Montag, 22. Oktober 2012

GELEHRIG. "Der Tod der Märchenprinzessin" (1984)


Hinterher machte ich mir natürlich Gedanken, ob alles meine Schuld gewesen sei. Denn ich bin eine Frau, da ist das ganz natürlich. Meine Freundinnen versuchten unisono mir das auszureden: „Der will dich fertig machen und du fühlst dich verantwortlich? Spinnste?“ „Wie irre ist das denn? Der terrorisiert dich – und du suchst die Gründe bei dir? Statt den Psychopathen anzuzeigen?“ Sie hatten selbstverständlich Recht. Und eben so selbstverständlich wussten wir alle, dass jede von ihnen sich genauso gefühlt hätte, wenn ihr das passiert wäre.

Sicher hätte es andere Möglichkeiten gegeben. Ich hätte nicht sagen müssen, dass es nicht an ihm lag. Weil ich gerade nicht klar käme mit so einer Beziehung und sowieso...Das hätte ich nicht sagen müssen. Es war ja auch gelogen. Denn es lag an ihm, an diesem leidenden Tonfall, wenn ich die Dinge nicht so sah wie er, die Leute, die er toll fand, mich ödeten oder die Thesen, die er mir referierte, mich nicht interessierten. Am Anfang hatte das keine Rolle gespielt. Da waren wir übereinander her gefallen. Damals in der Fußgängerzone in Göttingen, als die Sonne mich so blendete, dass ich ihn gar nicht mehr richtig sehen konnte, wie er da plötzlich so nah dran an mir gewesen war, mit seiner Nase an meiner und seinen Lippen auf meinen, da hatte das erstmal keine Rolle gespielt, denn das er hatte ganz gut gekonnt. Da waren wir gerade noch so halbwegs angezogen in seine Wohnung gekommen.

Aber danach fing das schon an. Wie geleckt das alles bei dem war. Die Ordnung im Regal, nach Alphabet und lauter Gesamtwerke. Klassiker der Philosophie und Ökonomie. Kaum Taschenbücher. Fast keine Romane. Nichts dazwischen gestopft. Keine Eselsohren. Keine losen Zettel. Nirgendwo lag was rum. Aus der Flasche trinken ging gar nicht bei dem. Zum Beispiel. Aber auch die Serviettenringe! Wer hat denn so was? Alles war verkrampft. Comics auf dem Klo lesen? Fand er eklig. Kein Fernseher. "Da verblödest du." Er las am Schreibtisch. Auf dem Bett wollte er nur das Eine. Aber das nur auf dem Bett. Ich konnte nie entspannen bei dem. Ich hätte schon damals, beim ersten Mal, einfach gehen sollen hinterher. Ich hatte das auch vorgehabt. Aber der nahm an und setzte voraus, dass das jetzt ein Anfang gewesen war von was „Festem“. Der stellte sich vor, dass ich jetzt „zu ihm gehöre“ und sprach das aus, als verleihe er mir einen Orden. Da hätte ich zucken müssen, die Tür erreichen, raus und hinter mir zuknallen. Aber ich war träge. Ein bisschen verliebt auch, gebe ich ja zu. Das kam noch dazu. Und es gab kein Argument dagegen. Keinen anderen. Oder eine andere (Daran hatte er überhaupt nicht gedacht.) Keine Umzugspläne. Mir fiel jedenfalls kein Argument ein. Und der ließ nur Argumente gelten. Wenn ich gesagt hätte, irgendwie halt, so als Bauchgefühl, dass das nicht passt mit uns, dann, so glaube ich, hätte er die ganze Nacht mit mir diskutiert und bestimmt das letzte Wort behalten. Da hätte ich auch fest gesessen.

Trotzdem hätte ich ehrlich sein müssen, als ich mir schließlich doch einen Ruck gegeben hatte nach zwei Monaten, in denen ich wenig zu lachen hatte. Meine laute Lachen wirkte in seiner Gegenwart auf mich selbst vulgär. Worüber ich mich mit meinen Freundinnen amüsierte, zeigte ihm nur, wie dumm die waren. "Aber jetzt hast du ja mich.", sagte er wohlwollend wie ein geiler Onkel und strich mir vorn über den Pullover. Entweder hielt der mich in seiner Wohnung fest oder er stand bei mir auf der Matte. Ich kam gerade mal in mein Institut rein und raus ohne den, weil er ja zum Glück Philosophie studierte und ich nicht, aber er beeilte sich immer sehr, damit er mich rechtzeitig abholen konnte in meinem Institut. So groß war, sagte der, seine „Sehnsucht“ und je süchtiger er wurde, desto mehr begann ich ihn zu hassen.

Das ist nicht übertrieben. Ich saß auf dem Klo (einen anderen Rückzugsort gab es kaum mehr) und schmiedete Pläne, Fluchtpläne und Mordpläne. Meine Freundinnen versuchten mich zu erreichen, aber meistens war er schneller am Telefon (Mobiles gab es damals noch nicht, wie du dich vielleicht erinnerst).  Dann würgte er die ab. Wenn sie mich mal zufällig ohne den trafen, fragten sie besorgt, ob ich krank sei, denn so sah ich aus: Blass, übernächtigt, mit hängenden Mundwinkeln. Ich glich mich an, wie der Hund seinem Besitzer.

Manche, habe ich gelesen, bleiben Jahre lang bei so einem, an den sie irgendwie geraten sind, weil sie die Kraft nicht aufbringen, sich dessen Zugriff zu entziehen. Vielleicht wenn eine drauf konditioniert ist, Übergriffigkeit für Aufmerksamkeit zu halten und Besitzansprüche für Liebe, vielleicht kann sie sich dann damit arrangieren. Oder muss es. Ich konnte es nicht. Aber ich hätte ehrlich sein können. Ich hätte ihm sagen können, wie sehr er mich anwidert. Vielleicht wäre das so schneller rumgegangen und er hätte sich eher lösen können. Stattdessen suchte ich Ausflüchte und nahm alles auf mich, weil ich halt so unentschlossen und jung und so weiter sei, dass... Das gab ihm aber nur Anhaltspunkte, seine Argumentationsketten zu bilden. Alles ganz logisch. Warum wieso weshalb. Es doch ginge. Und sogar müsse. Weil. Er habe auch schon eine Reise für uns gebucht.

Das wurde dann später zu einem der Hauptvorwurfspunkte: Dass ich ihn hätte die Reise buchen lasen, investieren in sein Unglück und wie das für ihn gewesen sei, als er die habe stornieren müssen, all die Hoffnungen auf einen Neuanfang aufgeben, die er damit verbunden habe und wie die Frau im Reisebüro ihn angeschaut habe, das hätte ich mal sehen sollen, aber ich hätte mich ja gedrückt und geweigert dahin mitzukommen, wie ich überhaupt nach dem dritten Treffen in einer Kneipe mich geweigert hätte, mich noch einmal mit ihm zu verabreden, weshalb er also gezwungen gewesen sei, mir aufzulauern vor der Tür und meine Freundinnen aufzusuchen, eine nach der anderen, um „diese Sache“ zu klären, denn das sei ich ihm jedenfalls schuldig, eine Erklärung könne er verlangen und eine, die er verstehe, eine, die hieb- und stichfest sei, eben. So fing das an. 

Das ging so jeden Tag, auf dem Weg zum Bäcker, in die Mensa, beim Metzger, im Karstadt, bei meiner Freundin Anne und bei Sabine und Kristine. Überall war er. Anfangs weinerlich, mit zuckenden Mundwinkeln. Irgendwann schlug ihm die erste die Tür vor der Nase zu. Irgendwann schrie ich ihn an. Dann kamen die Drohanrufe. Die Schmierereien an meiner Tür. Die Kondome auf meinem Wäschetrockner auf dem Balkon. Das Blenden mit den Fernlichtern seines Autos. Die politische Differenz: Fascho-Hure auf meine Tür gesprayt. Das kam dann. Es gab  keinen anderen. Das war wahr. Aber das konnte er auf keinen Fall akzeptieren. Ich musste mich einem faschistischen Drecksack hingegeben haben, ganz klar. Warum sonst hätte ich ihn verlassen sollen?

Ich hätte es ihm gleich sagen müssen. Wie widerlich er mir war. Und der säuerliche Geruch aus übelwollender Anstrengung, der ihn umgab. Die Art, wie er am Bier nippte, statt zu trinken.  Das hätte ihn verletzt, stimmt, aber ihm geholfen, Abstand zu nehmen.  „Und dann? Dann hätte er gleich zugeschlagen.“, sagte Bine. Irgendwie tut er mir auch leid. Er kann ja nix dafür. Seine Gefühle gehen halt mit ihm durch. „Du musst ihn anzeigen.“, sagte Anne. „Glaubste das wirkt noch bei dem? Der ist doch total gaga.“, war meine Meinung. „Nee, so irre ist der nicht. Der ist sich selbst ganz schön wichtig. Wenn er Angst um sich haben muss, dann zieht er den Schwanz ein.“, versicherte mir Anne. Die studierte Psychologie und musste es ja wissen. Sie kannte auch den Bruder einer Kommilitonin, der bei der Polizei war. Der stattet dem dann einen wohlmeinenden Besuch ab. „Von Mann zu Mann so, oder was?“, fragte ich skeptisch. „Nein.“, lachte der: „Von Bulle zu Männchen!“ Ich zog die Augenbrauen hoch. „Das ist ein ganz armes Schwein. Der hat Schiss, wenn ich nur die Schulterblätter auseinander ziehe.“ „Macho.“, murmelte ich. Er lachte wieder. „Nur wenn´s sein muss. Und nur unter Männern.“ Die Lösung gefiel mir nicht. Aber sie funktionierte.

Der „Bulle“ war nett und ich lud ihn aus Dankbarkeit zum Abendessen ein. Da passierte noch nix. Aber es funkte ein bisschen. Dachte ich, hoffte ich. Wir sahen uns wieder. Halb zufällig. Dann verabredet. Im Kino (Trinken aus der Flasche!). Später ein Kuss im Hausflur. Und noch später zog er bei mir ein. Und blieb. Ziemlich lange. (Aber das ist eine andere Geschichte.) Einmal kam noch ein „anonymer Anruf“, am Nachmittag als K. Dienst hatte. „Bullen-Schlampe. Habe ich doch Recht gehabt.“  Das war wichtig für den, offensichtlich: Recht haben. Ich legte auf. „So im Rückblick“, fragte Anne Jahre später, „tut der dir immer noch leid und gibste dir selber die Schuld?“ „Ja und Nein“, sagte ich, „er tut mir leid, aber es ist sein Problem.“ Anne nickte zufrieden, wie eine Lehrerin, der eine etwas langsame Schülerin endlich die richtige Antwort gegeben hat.

2 Kommentare:

  1. ohgottohgottohgott FrauWunder zeigt sich schwer betroffen und überdies hinaus, aus, raus Maus?

    Ändere die Laufrichtung sagte der Kater, der arme schwarze Kater zur Feldmaus und fraß sie doch, mit Haut und Haar und ganz und gar.

    Und am Ende ist das nur natürlich den Katzen sind nuneinmal Jäger und Mäuse werden gefressen. Also bleibt dies die natürliche Bestimmung der Maus oder was? Es sei denn sie ist schneller, die Maus oder schlauer...

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  2. Alles fiktiv, gelle? Logik und Lüge!

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