Sonntag, 11. November 2012

KEINE ZEIT FÜR WEISSE ALTE MÄNNER (mehr)

Eine durchwachsene Woche. Trotzdem: Wenig Fett, kaum Fleisch. 

Eine Woche der Regeln. Und Regelverstöße. Die mir bestätigt hat, was ich schon wusste und woran ich mich halte: Eine Vermischung von privaten und beruflichen Kontakten ist konsequent zu vermeiden. Der  "déformation professionelle"  aktiv entgegenwirken durch unsichtbare Fluchtbewegungen. Nur so bleibt  das Regelwerk als kontingentes erkennbar: Es ist wie es ist, aber könnte auch anders sein. Wenig wirkt auf mich abscheulicher als der im Brustton der Überzeugung und Empörung vorgetragene Glaube an willkürliche Normen. Viele verwechseln Professionalisierung mit dieser sektenartigen Verengung des Blickfeldes. Wie in einer fanatischen Glaubensgemeinschaft wird die im Berufsfeld gegebene Ordnung als Gott gewollte empfunden und das eigene Schaffen als priesterliches verklärt. (Fuck ´em all!)

Auch der Mastermind machte sich eines Regelverstoßes schuldig, durch den er temporär seines Smartphones verlustig ging. Es nahm sich der Vater der Verhandlungen mit der Obrigkeit an, weil die Mutter grade auf dem Berg weilte (Die Natur brauchte sie nicht!). Morel wies am Telefon, so wurde  mir berichtet, den Vertreter der Staatsmacht gelassen darauf hin, dass sich seinem Sohn der Sinn des Gesetzes nicht erschließe, gegen das er verstoßen habe. Selbstverständlich jedoch lehre er den Sohn, dass unakzeptable Gesetze auf dem Wege der Intervention in den geeigneten Gremien zu verändern seien, keinesfalls jedoch werde ein so plumper und gedankenloser Regelverstoß den intellektuellen Fähigkeiten, die er in seinem Nachwuchs nicht bloß vermute, sondern als sicher voraussetzen könne, gerecht. Am anderen Ende der Leitung, so erfuhr ich, geriet die Obrigkeit ins Stottern und mühte sich um einen raschen Abschluss des Verfahrens. Freilich könne, sogleich und unmittelbar, der Masterrnind das ihm gehörende Smartphone im Büro abholen. Der angehende Jurist in der Familie, des Masterminds ausgezogener Bruder Amazing, hielt bei seinem Besuch am Wochenende die Argumentation des Laien-Vaters für juristisch nicht einwandfrei und hätte aus fachlicher Sicht zu einer Konzentration auf die Eigentumsfrage geraten, konnte den Erfolg der Maßnahme jedoch  nicht leugnen. Die Mann-Schaft kommt offenbar ganz gut ohne mich aus.

In den Vereinigten Staaten gewann Obama klarer als erwartet die Präsidentschaft und erhielt die Chance zu einer zweiten Amtszeit. Ich erfuhr es auf dem Berg im Morgengrauen und verband damit, anders als vor vier Jahren kaum Emotionen. Obama war nie ein Messias für mich, aber das US-amerikanische Volk hat vor vier Jahren Morrissey (America: "But where the president, is never black, female or gay, and until that day, you´ve got nothing to say to me, to help me believe in America ...") ("Dieses Video ist in ihrem Land nicht verfügbar.") und mich durch die Wahl eines Schwarzen Lügen gestraft. Dass ich das noch erleben würde, damit hatte ich nicht gerechnet. 

Trotz aller Enttäuschungen über die erste Hälfte dieser Präsidentschaft bin ich auch diesmal zufrieden mit dem Wahlausgang gewesen, denn die US-Amerikaner hatten tatsächlich eine Wahl: Zwischen einer von weißen Oberklassen-Männern dominierten Gesellschaft, die Frauen verachtet, Immigranten ausgrenzt, Rassismus privilegiert und Homosexuelle bekämpft und einer Gesellschaft, in der Homosexualität akzeptiert wird, in der Frauen das Recht haben über sich und ihren Körper selbst zu bestimmen, Rassismus als zu überwindendes Übel gilt und Immigranten eine Chance erhalten sollen.  Das ist nicht genug. Aber es ist auch nicht wenig. Wem solche Unterschiede einerlei sind, der muss schon sehr privilegiert oder zynisch sein. Die betont antiamerikanische deutsche Linke, die sich aus studierten Mittelklasse-Söhnen und  -Töchtern rekrutiert, die verbal radikal sind und gleichzeitig die unteren Schichten verachten, hat sich in dieser Hinsicht allerdings seit Jahr und Tag hervorgetan (und dabei gelegentlich nicht mal auf antisemitische und rassistische Untertöne verzichtet).

Am Freitagabend waren wir im Bolly Chillys lecker indisch essen mit einem befreundeten deutsch-US-amerikanischen Paar. In dem Gespräch, das sich locker zwischen Küche, Kinder, Kirche, Architektur, Geschlechterdifferenzen, unterschiedlichen beruflichen Erfahrungen in unseren Branchen (Chemie, Banken, Bildung - überall bestimmt SAP!) und Politik bewegte, machte K. uns auf eine interessante Beobachtung aufmerksam: Was für ein "buntes" Bild die gegenwärtige Bundesregierung im Vergleich zu dem abgebe, was noch vor 20 Jahren überhaupt vorstellbar gewesen sei. Eine weibliche Kanzlerin, ein schwuler Außenminister, ein vietnamesigstämmiger Wirtschaftsminister, ein querschnittsgelähmter Finanzminister. Tatsächlich setzt sich die Kanzlerin selten (oder nie?) offensiv für die Rechte von Homosexuellen, für Feminismus, für interkulturelle Akzeptanz oder für die Gleichberechtigung von Behinderten ein. Dennoch ist in ihrem Kabinett wesentlich mehr Vielfalt sichtbar als im Vorgängerkabinett unter Gerhard Schröder. Ist das ein Zufall? Oder zeigt sich hier - wie auch an der unsäglichen "Troika" und dem unerträglichen Kanzlerkandidaten der SPD - , dass das sozialdemokratische "Milieu" gesellschaftlich sehr viel rückständiger ist und sehr viel stärker der  weißen, deutschen "Normalfamilie" (Ernährer, Teilzeithausfrau mit 2 Kindern) mit all ihren patriarchalischen Wertvorstellungen und Ausgrenzungstendenzen gegenüber Fremden und Anderslebenden verhaftet ist als konservativ-liberale Kreise? (Sarrazin und Buschkowsyk haben ja auch das rote Parteibuch.) Vielleicht.

Ansonsten wird sich überall über China Gedanken gemacht. Mit guten Ratschlägen hält sich keine/r zurück. "Wenn doch die Chinesen endlich nachhaltig und sozial produzieren würden." So nützlich für die Weltwirtschaft wie die Taunus-Mama in ihren Land-Rover und der deutsche Wein- und Bier-Gourmet für den heimischen Markt, so liberal und säkular wie die katholischen und evangelischen Kirchenvertreter, so sozial wie die Hotelbesitzer und Häuslebauer, so frauenfreundlich wie der deutsche Durchschnittsmann und so weltoffen wie unser Nachbar ("Ich hab´ ja nix gegen Ausländer...") , so sollten sie sein oder werden, die Chinesen - und bitte nicht spucken!

Die Grünen haben sich an ihrer Basis auch bewährt und ein staatstragendes Duo ins Rennen um die freien Plätze neben dem überheblichen Peer geschickt. "Man kann ja über den Jürgen sagen, was man will...wegen früher und dem Kommunistischen Bund...aber der hat sich rausgemacht. Trotz dem Dosen-Pfand. Und die Katrin, na die..." Mehr Langeweile war kaum wählbar. In der "Mitte" wird´s eng, da stelle ich mich lieber mal ganz nach draußen. (Ich habe so eine Überfüllungsphobie) Aber in die linke oder rechte Ecke mag ich auch nicht: Rechts kommt mir die Kotze hoch, wenn ich nur hingucke und links ist soviel Borniertheit unterwegs, dass sich mir die Fußnägel kräuseln. 

Die Politik (samt Empörungsindustrie) ist offenbar nix für mich. Ich langweile mich zu schnell. (Ähnlich geht´s mir ja auch mit der kanonisierten weißen Männer-Literatur und -Philosophie, wie man weiß ;-). Nichts Neues. Zu viele weibliche Leichen und versoffene, selbstmitleidige Männer. Melancholie total. Tristesse banal. Oder: Bürostühle. Lifte. Investmentfonds. Abschaffel. Dialektik. Ideal. Negativität. Bedeutungsscheinschwangerschaften. Schon bin ich abgelenkt. Lese lieber von Lesbenliebe und Schwesterkriegen, Kochtöpfen und Menstruationsbeschwerden, Wehenschreibern, buddhistischen Mönchen, indischen Göttinnen, konfuzianischen Ratschlägen, Hygienebibeln oder der Ursuppe in australischen Mythen. Und so.) Betreuungsgeld. Praxisgebühr. FDP. Grüne. CDU. SPD. Mir doch egal. 

Mir fehlt auch dieser spezielle Humor, der dem lustigen Schauspiel etwas abgewinnen könnte, das demnächst zu beobachten sein wird: Wie sich die Grünen in die Energiewende  wirtschaftsintensiv einbringen und am zukünftigen Geschäftsmodell der großen Energiekonzerne eifrig mitbasteln. Mitregieren ist alles. In Frankfurt konnte man die Vorhut bei der Arbeit sehen, wie sie das Occupy-Camp abräumen lässt und die Obdachlosen aus dem Blickfeld der Banker und Aufsichtsräte verbannt. Aber man kauft bei Alnatura. Selbstverständlich. Rümpft die Nase über das seltsame Verhalten (und den Geruch) randständiger Gruppen (mit und ohne Migrationshintergrund). Sucht nach der besten Privatschule für den Nachwuchs. (Breite Parkplätze für SUVs direkt vor der Tür.) Diese Basis hat gewählt, was man erwarten konnte.*

Mir geht´s gut. Ihnen hoffentlich auch. (Und wenn das wirklich die einzige Wahl ist, die uns bleibt: Lieber Merkel, als Steinbrück! Die Zeit der alten weißen Männer ist endgültig rum!)


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*Der altbekannte Sexismus gegenüber Claudia Roth feiert mal wieder fröhlich-widerwärtige Urständ. Kennt man ja schon lange - und auch da sind "Männer", die sich politisch "links" einsortieren oft mittenmang dabei. Sie lassen eine nie vergessen, von was für Drecksäcken sie umgeben ist, so bald sie die Straße betritt: Karnele - Die Schrille. Die Stille. Der Sexismus. 

2 Kommentare:

  1. Ich mag sehr Deinen parteiübergreifenden bzw. -unabhängigen menschlichen klaren Blick.

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    1. Tja, ich spucke hoffentlich immer nur meinem eigenen Milieu in die Suppe ;-). So klar ist der Blick nicht. Immer noch werde ich zu leicht wütend. Nur eher über das, was es nicht auf Seite 1 - 3 der "Qualitäts-Medien" schafft. Mit meiner Haltung, das habe ich ernen müssen, kann man jedenfalls keine "Politik machen".

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