Ein Beitrag von MOREL
It is a truth
universally acknowledged that a single man in possession of a good fortune must
be in want of a wife.
In Casanova's Chinese
Restaurant, dem fünften Band von Powells Romanzyklus A Dance to the Music of Time, geht es um die Institution der Ehe.
Allerdings erfahren wir aufgrund der sehr eigenen Erzählweise Powells nur wenig über diejenige des Erzählers Nick, der sich hingegen
als aufmerksamer, fast schon voyeuristischer Beobachter der Beziehungen seiner
mehr oder weniger engen Freunde und Bekannten zeigt. Gerade weil der Erzähler bei Powell nicht neutral
ist, sind seine Beobachtungen relevant: er kann von sich auf andere schließen. Dass der Titel des fünften Bands unter dem Zeichen
des großen
Verführers
und Ehebrechers Casanova steht, ist nicht nur Ironie. Die Zeit, seit Jane
Austen ihren berühmten
ersten Satz niederschrieb, ist unter anderem auch über die allgemein anerkannte
Wahrheit des Zwangs zur Ehe hinweg gegangen. Die größere Freiheit aber schafft ihre
eigenen Probleme. In dem erwähnten Restaurant - ein frühes Beispiel der Fusionsküche, entstanden aus dem
Zusammenschluss eines Italieners mit einem chinesischen Lokal - entspinnt sich
eine Diskussion zwischen den männlichen Protagonisten dieses Romans über den Unterschied zwischen
Casanova und Don Juan. Dabei sucht Casanova, so ein Schluss, die Sinnlichkeit
der Liebe (die nicht allein zu haben sei), während Don Juan die Macht über das eroberte Objekt seiner
Begierde genieße.
Das Modell, dem mit Ausnahme des dafür bekannten Malers Barnby, eher erfolglos nachgestrebt
wird, ist die Verführungskunst Casanovas, der Gelegenheiten wittert, die
sich den eher musikalisch
ausgerichteten Protagonisten aber immer erst im Nachhinein erschließen. Die Musik als Zeitkunst
steht hier in einer gewissen Spannung mit einer im Roman eine Nebenrolle
spielenden Skulptur Berninis – „Truth unveiled by Time“ (die wir vor anderthalb Jahren in der Villa Borghese in
Rom gesehen haben). Berninis Wahrheit ist eine nackte Frau, den Fuss auf der
Erde, in der Hand die Sonne. Dass die in Berninis Fragment gebliebener Skulptur
fehlende Zeit erst die Wahrheit enthüllt, macht in der Anwendung auf die Ehe diese zu einem
Spiel mit dem Schicksal, das es nicht mit allen so gut meint wie mit dem Erzähler Nick. Anstelle der
sprichwörtlichen
Weisheit aus Austens Klassiker - die ihren gewitzten Heldinnen den Spielraum
dafür öffnet, Schicksal zu spielen, während Männer in ihrer Dummheit glauben
zu wählen
- herrscht der graue Morgen nach der Hochzeitsnacht: besser einer schlechte Ehe
als gar keine, wie eine Figur, im Sinne des Erhalts gesellschaftlicher
Institutionen meint.
Das Spektrum der Ehen in Casanova's Chinese Restaurant ist
bunt. Während
die Abdankung des englischen Königs wegen seiner Beziehung zur zweimal geschiedenen
Amerikanerin Wallis Simpson für Gesprächsstoff sorgte bleiben die inneren Beweggründe der Protagonisten meist im
Hintergrund. Die Ehe von Nick und Isobel gerät, wie schon erwähnt kaum, in den Blick. Wir dürfen sie uns, trotz einer
Fehlgeburt, die für den
über sein Privatleben meist
schweigenden Erzähler
kaum der Rede wert ist, als glückliche vorstellen - das zumindest legen die wenigen
Wortwechsel des Paars in Gesellschaft nahe, die es als vertraute Einheit mit
gleichen Interessen zeigen. Eine englische Liebe in einem kühlen Klima. Anders steht es um
die Ehe des Komponisten Moreland mit der Schauspielerin Matilda Wilson. Hier
treffen zwei eher unterschiedliche Charaktere aufeinander. Der schüchterne, an sich selbst
zweifelne Moreland, suchte eine Gefährtin, die ihm auch künstlerisch ein Gegenüber sein kann. In der erfahrenen Matilda einer
erfolgreichen Schauspielerin und ehemaligen Geliebten des Finanzmagnaten
Donners traf er sein Ideal, ohne aber seine Skepsis gegenüber der Institution Ehe ganz
ablegen zu können.
Imponiert ihm an Casanova und seinem Nachfolger Barnby die Fähigkeit, im Moment zu leben,
ohne sich über
die Wiederholungen zu langweilen, sucht er die Wahrheit eines Glücks, das erst wie in einer
Symphonie durch die Zeit enthüllt wird. Das macht ihn anfällig für Versuchungen, denen er
zumindest zeitweise unter den missbilligenden Blicken der Gesellschaft mit
einer Schwester Isobels nachgibt. In dieser Ehe, anders als bei Isobel und
Nick, führt
eine Fehlgeburt zur Krise - als sei es nicht nur eine Laune der Natur sondern
eine tiefere Wahrheit, die sich in diesem Unglück enthülle. Am unglücklichsten aber ist die
bewusst kinderlose Ehe des Musikkritikers Maclinticks. Er ein Musikkritiker,
der schon seit Jahren an seinem großen Werk schreibt und Moreland nicht nur ästhetisch bewundert, sondern
vermutlich auch entgegen seiner ostentativ ausgestellten Homophobie begehrt.
Verheiratet ist er mit der (verständlicherweise) höhnischen und sarkastischen Mrs. Maclintick (keine Vornamen
in diesem Romansektor). Eine Einladung bei den Maclinticks ist ein Besuch in
einer auf Kühlschranktemperatur
gehaltenen Vorhölle,
die aber erst dann richtig ausbricht, als die Frau des Hauses mit dem
Untermieter durchbrennt. Wenige Tage später öffnet Maclintick den Gashahn. Ein Ereignis, das eine
Anekdote Casanovas aus dem ersten Kapitel des Buchs in Erinnerung ruft. Der
italienische Abenteurer hört in London auf der Straße ein kurzes Gespräch über einen gewissen Tommy, der
sich, so meint jemand, zum genau richtigen Zeitpunkt umgebracht habe. Im
Gegenteil antwortet jemand anders, als sein Gläubiger wisse er genau, dass er
noch sechs Monate Zeit bis zum Bankrott gehabt hätte. Die Zeit als Kern der
Wahrheit und die Zeit als Lebensfrist zwischen diesen Polen (die für den Humoristen Powell nicht
zusammenfallen) bewegt sich der Roman. Trotz hochkomischer Szenen -
insbesondere der Begegnung des dekadenten Alkoholikers Charles Stringham mit
der von ihm bezirzten Mrs. Maclintick - überwiegen in Casanova's Chinese Restaurant die Molltöne.
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