Dienstag, 8. Januar 2013

"Kein Mann, aber etwas Anderes." (WAS IST EINE FRAU?) (Entwurf)



„Ich bin kein Mann.“ Schwester Hanna musste unwillkürlich den Kopf neigen. Er mochte das als Zustimmung werten. Er? Wann würde es ihr gelingen, von ihm spontan als von ihr zu sprechen, zu denken? Wie es ihr doch zustand, gesetzlich sogar, nachdem der Eingriff genehmigt und durchgeführt worden war. „Sie werden sich entscheiden müssen, was für eine Frau sie sein wollen.“ „Wie wir alle“. Das Lächeln war bitter. IHR Lächeln. Das Lächeln keiner Frau. Woran erkennt eine das Lächeln einer Frau? Die Verschwörung in der Begegnung der Blicke zweier Frauen. Auch wenn sie einander nicht leiden können. Wie die S. auf ihrem Bett lag und sie unter den Lidern beobachtete. So zum Beispiel. Ein Funkeln. Diese Augen hier waren verletzlich. Rehaugen. Der Prinzessin Diana- Augenaufschlag. Er hatte das Frausein lange geübt. Es wirkte zu einstudiert.

„Ich bin, die ich sein will.“ Sie stampfte mit dem Füßchen auf. Niedlich, beinahe. Sie musste sich dieses „sie“ angewöhnen, auch in Gedanken. Seine Hand griff nach ihrem Arm. Sie konnte ihr abwehrendes Zucken nicht mal unterdrücken. Noch nie hat mich eine Frau so angelangt. Die Weiber klammern. Wenn sie überhaupt Körperkontakt suchen. Da muss eine schon sehr verzweifelt sein. Angelehnt hat sich so noch nie eine an mich. Ich lasse die Verführerinnen auf mich sinken. Aber nicht so. „Ich liebe Frauen.“ Hatte sie das wirklich laut gesagt? Es verzog den Mund. Tiefrot bemalt. Warum viele von ihnen am Anfang so verschwenderisch mit Makeup umgehen, so dicke Perlenketten tragen, Hüte aufsetzen, sich die Beine wie verbissen scheren, das ist alles natürlich psychologisch erklärlich. Was ist eine Frau? Sie fuhr sich mit der Hand durch ihr streichholzkurzes Haar. Sie liebte dieses Gefühl einer weichen Bürste, die die  Handinnenseite massierte. Die Falte zwischen ihren Augenbrauen vertiefte sich. Ich muss das lernen. Aber ich werde den nie erotisch finden. Sie lachte unwillkürlich. Das gilt auch für 90% aller Geburtsfrauen.

„Kommen Sie.“, sagte sie in freundlicherem Ton. „Die B. wartet sicher schon auf Sie.“ Der Doktor hatte ihr eingeschärft, als sie gemeinsam die Akte der G. studiert hatten (Siehst du, geht doch!), den Aufenthalt des G. in der hiesigen Anstalt nicht mit seiner Geschlechtsumwandlung in Verbindung zu bringen. „Da liegt das Problem nicht.“, hatte er mit Nachdruck gesagt. „Merken Sie sich das. Der G. war ein instabiler Mann. Es war nicht zu erwarten, dass er eine stabile Frau wird. Unsere Patienten sind nicht hier wegen ihrer menschlichen Gebrechen. Unsere Aufgabe liegt woanders.“ „Ist sie jetzt glücklicher?“ Sie war sich sehr schlau vorgekommen, als sie die Frage gestellt hatte. „Ich denke, dass können wir zweifelsfrei bejahen. Suizidversuche sind“, der Doktor blätterte scheinbar in der Akte und tippte dann mit dem Zeigefinger auf eine Seite, „ seither nicht mehr vorgekommen.“

Wenn sie mit der G. sprach, machte sie kaum mehr Fehler. Vorhin war es ihr dennoch passiert. Und die G. hatte berechtigt beleidigt reagiert. Sie wollte sich ja Mühe geben. Aber sie fand einfach kein Verhältnis zu dieser Patientin. Sie konnte sie nicht als Frau akzeptieren.  Und auch nicht als .... das Andere. Sie warf sich das vor. Was hieß das denn: als Frau? „Ich bin, die ich sein will.“ Bei der G. stieß sie an ihre Grenzen. Es war ihr unangenehm von der berührt zu werden. Und das war nicht gut, nicht fair. Die G. hatte Anspruch auf einen respektvollen Umgang. Schließlich hatte sie, wie alle hier, noch ganz andere Probleme. Sie sollte um eine Abberufung bitten. Aber sie konnte sich die Niederlage noch nicht eingestehen.

Die B. wartete auf der Parkbank, wie jeden Mittag. G.s Schritte beschleunigten sich, sobald die S. ins Blickfeld kam. „Ich lass Sie dann mal.“, sagte sie. „Schwester Hanna.“ Die deutete doch tatsächlich einen Knicks an in ihrem lächerlichen Faltenrock. Die Schwester rang sich ein um Verzeihung bittendes Lächeln ab, bevor sie sich umdrechte und zum Haus zurückging.

Die B. aber lachte ihn unter ihrem Schlapphut hervor an. „Sie hasst Sie.“ „So heftige Gefühle?“ „Sie ist maßlos irritiert.“ „Und sie, warum haben Sie mich solange angeschwiegen?“ „Ich kannte Sie schon. Ich war zum Schweigen verdammt. Erst seit ich das Fliegen aufgegeben habe, kann ich wieder sprechen.“ G. fragte nicht weiter. Hier hatte jede ihre eigene Last zu tragen. Es war schon gut, wenn es einem gelang, die Stimmen zu überhören, die sie beständig riefen. Unwillkürlich begann sie mit ihrer Perlenkette zu spielen. „Sie haben schöne Hände“, sagte B. bewundernd. „Würde eine Frau das zu einer anderen sagen?“ Die B. lachte. „Was glauben Sie? Selbstverständlich. Frauen sind immer sehr an Frauen interessiert. Selbst wenn sie sexuell andere Vorlieben haben als unsere Schwester Hanna.“ G. kicherte. Die B. streckte ihren Arm aus und schob den Ärmel ihrer Bluse zurück. „Schauen Sie mal. Sehen Sie, wie es wächst.“ G. starrte auf die schimmernden Schuppen. B. nahm ihre Hand und führte sie behutsam an die in allen Regenbogenfarben glitzernde Epidermis. Sie fühlte sich erstaunlich weich und warm unter ihren Fingerkuppen an. Sie begann sie zu streicheln, kleine Flächen zunächst, hin und her, dann zog sie weitere Kreise. Die B. lehnte den Kopf zurück und atmete tief aus. „Sie haben mich immer als Frau gesehen, nicht wahr?“, wagte die G. zu fragen. „Ihre Augen. Aus diesen Augen hat mich eine Frau angeschaut. Eine traurige Frau.“ Die G. dreht sich weg, um das triumphale Lächeln zu verbergen, das sich über ihrem Gesicht ausbreitete. Das hatte geklappt. Er hatte nie etwas anderes sein wollen als eine traurige Frau. 

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