Donnerstag, 30. Mai 2013

ICH in Splittern - SPEEDBOAT von Renata Adler


Ein Beitrag von Morel

Renata Adler, Autorin des dieser Tage wieder aufgelegten „Romans“ Speedboat, prägte in einem ihrer Essays den Begriff „radikaler Zentrismus“. Wer Speedboat zu lesen beginnt, wird schnell merken, dass diese Position der Mitte wenig mit Ausgleich oder faulen Kompromissen zu tun hat, sondern eher mit der radikalen Skepsis gegenüber fertigen Meinungen und definierten Entscheidungen.

„Einige von uns sind Vegetarier. Einige trinken zuviel. Einige nehmen Pillen. Möglicherweise haben wir alle unabhängig voneinander die Fähigkeit entwickelt jede laufende, allzu gut laufende Unternehmung abzulehnen.“

Auch ästhetisch ist Adler schwer zu fassen. Als ich das dem Buch als Motto vorangestellte Zitat aus einer der frühen, hochkomischen Satiren Evelyn Waughs las, freute ich mich unbewusst auf eine amüsante Reise durch den intellektuellen Jet-Set des New Yorks der 70er (zu dem Adler als Journalistin durchaus gehörte). Aber Woody Allen lebt hier nicht mehr, selbst wenn sein Sarkasmus immer noch in der Luft liegt.

Doch Speedboat hat durchaus etwas von einer Reise, allerdings nur von den ersten Momenten nach der Ankunft, wenn man aus einem Flugzeug oder Zug steigt, übermüdet und durstig, in eine fremde Sonne blinzelnd und auf jede Bewegung mit dieser leichten Panik reagierend, die plötzliche Geräusche an einem stillen Nachmittag auslösen.

Es gibt, Leserin sei gewarnt, selbst nach 100 Seiten keine Gewöhnung an diese Prosa, die aus Erinnerungseindrücken, Sprachkritik, Partygeschwätz und Werbeeinblendungen das Bild einer Welt ohne stabiles Zentrum zusammensetzt. Der Reisende kommt niemals über die Ankunft hinaus, jeder Tag ist neu und was ihn mit dem vorigen verbindet ist unsicher. Daher gibt es auch wenig nachzuerzählen, diese Prosa handelt von nichts anderem, als dem Bewusstsein einer inzwischen schon vergangenen Gegenwart.

Der Unterschied zwischen  Ich und Wir in Speedboat ist eher durchlässig. Geschildert werden Gruppen- und Bewusstseinszuständen, aber nichts, was sich zu einer stabilen Persönlichkeit ausbilden könnte. In der radikalen Mitte dieser Prosa steht eine Frau, Jen Fain, die als Journalistin und Universitätslehrerin arbeitet, auf Partys geht, Reisen macht und sich an ihre Kindheit und Jugend auf dem Land erinnert. Das alles nur in Splittern notiert, unterbrochen von sarkastischen Beobachtungen, einen Absatz langen Miniaturdramen und Werbe- und Nachrichtenmüll aus der Aktualität der 70er Jahre (von den Watergate-Anhörungen bis zu alltäglichen Morden). Die Partner von Jen sind austauschbar, einer ist politischer Berater und telefoniert nachts gerne. Ihre Schwangerschaft vergleicht sie mit einer Geiselnahme – die damals berühmteste Geisel: Patty Hearst in Händen der Weathermen.

„Schwanger werden ist wie eine Geisel zu nehmen – so ähnlich wie ein Pfandhaus oder eine Bank zu betreiben, einen Brief zu bekommen, ein Photo zu machen oder ein Geständnis anzuhören. Jede Liebesgeschichte, jedes Geschäft, jedes Geheimnis, alles wozu Vertrauen gehört ist ein sanfter Austausch von Geiseln.“

Die Gesellschaft zusammengehalten durch das Netz unserer gegenseitige Abhängigkeit. Wie fragil diese Netze sind, das schwingt in der nervöse Prosa von Renata Adler immer mit. Jen, so erfahren wir einige Zeilen später hat Jim, dem Vater des Kinds in ihrem Bauch, ihre Schwangerschaft  verschwiegen, ihr fehlt das Vertrauen in diese unsichtbaren Netze, die uns zu Paaren und Gruppen zusammenführen sollen. Sie glaubt aber auch nicht an die radikale Andersheit des Individuums und all die Boheme-Lügen, mit denen sich ewige Jugendliche jetzt auch schon seit Jahrzehnten ihre Wände tapezieren. Letztendlich ist es der Ton, der Sound, der dieses Buch zusammenhält: cool, nervös, manchmal böse, niemals zur Ruhe kommend. Ein literarisches Gegenstück zu Bob Dylans gleichzeitig entstandenem Ehekrisen-Epos Blood on the Tracks, wo er wie Adler unaufhörlich zwischen Ich und Wir schwankt, um dann Ruhe in der Dritten Person Singular zu finden.

Ungefähr 10 Jahre nachdem Speedboat in die Buchläden kam und ausgerechnet im Namen von Obermacho Hemingway ausgezeichnet wurde, erinnerte sich Lloyd Cole auf seiner ersten Platte Rattlesnakes, einem Meisterwerk des Songwritings und Namedroppings an Renata Adler: Im zweiten Song auf der A-Seite  Speedboat  heißt es: I lived on the edge of all this indulgence / taking notes and trusting in prudence. Notizen machen und auf die Klugheit vertrauen – so betont unromantisch schreibt Renata Adler.

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