Sonntag, 9. Juni 2013

Spätvorstellung: A TIME TO LOVE AND A TIME TO DIE (1958)


Ein Beitrag von Morel


Deutsche Soldaten im russischen Winter - eine Linie am Horizont. Es werden Freiwillige für ein Erschiessungskommando erst gesucht, dann bestimmt. Die Hand eines Soldaten zittert. Eine der angeblichen Partisaninnen beschimpft die Deutschen. Daneben zu schießen helfe niemandem, erklärt ein Soldat dem anderen. Dann werde eben ein zweites Mal geschossen. Schuldig mache man sich auf jeden Fall.



Mit dieser Szene beginnt der von Douglas Sirk, geboren als Detlef Sierck, nach einem Roman von Erich Maria Remarque gedrehte Film A Time To Love And A Time To Die. Auf Deutsch hieß der Film so wie der Roman Zeit zu leben und Zeit zu sterben (natürlich nach einem Bibelzitat). Das Leben durch die Liebe zu ersetzen ist der dramaturgische Kniff in jedem Melodram. Die Liebe wird hier immer absolut gesetzt und muss daher notwendig tragisch enden. Das ist vielleicht einer der Gründe, warum das Melodram von allen großen Filmgenres das heute am tiefsten in den Brunnen der peinlich gewordenen Vergangenheit gefallene ist. In unserem Relativismus, der immer schon mit der Zukunft rechnet, schämen wir uns der Unendlichkeit der Gegenwart - nicht so Sirk in seinen Filmen, die zuerst Kitsch (an Limonade fühlte sich der Spiegel 1958 erinnert und vergaß auch nicht zu erwähnen, dass dieser Hollywood-Verfälscher ein Emigrant sei) und später Kunst waren. Beides trifft es nicht.

Auch in A Time To Love geht es um die Liebe und warum sie nicht möglich ist. Zumindest nicht im Faschismus. Aber Sirk enthält sich jeder politischen Rhetorik, seine Sprache ist die der Bilder. Zu Beginn des Films wird ein Motiv eingeführt, das niemals ganz in Vergessenheit gerät: der verfrühte, falsche Frühling. Als die Soldaten etwas aus dem Schnee ragen sehen, vergleichen sie es zynisch mit dem Frühling. Es sind aber keine ersten Krokusse, die das Tauwetter freigibt, sondern die Hand eines Toten. Später wird Ernst Gräber, einer der Soldaten sich auf dem Heimaturlaub in Elisabeth Kruse (Lieselotte Pulver), die Tochter des ins Konzentrationslager geworfenen Arzt seiner Familie, verlieben. Ein erster Spaziergang führt das Paar zu einem Baum, der zu früh blüht - wegen der unnatürlichen Hitze nach einem Bombenabwurf, glaubt Elisabeth. Die Liebenden versuchen in ihrer eigenen Welt zu leben, die aber immer wieder zerbricht - von einer Einstellung zur nächsten. Als Ernst in seiner Heimatstadt ankommt steht er vor einem Sattlergeschäft, das mit einem ausgestopften Pferd für seine Dienste wirbt. Nichts habe sich seit seiner Kindheit geändert. Dann dreht er sich um, die Kamera zeigt uns ein Trümmerfeld dort, wo einmal sein Elternhaus stand. Imitation of Life heißt ein berühmter Film von Douglas Sirk - das Leben nachahmen, auch wenn es schon untergegangen ist, diese Kunst müssen nun die durch ihre Anfangsbuchstaben füreinander bestimmten Ernst und Elisabeth lernen. Seine berühmte Rezension in den Cahiers du Cinema beginnt Godard mit einem Vergleich aus der Tierwelt. Seine Lieblingstiere, die Sträuße, seien Realisten. Sie glaubten nur an das, was sie sehen. Wenn alles schiefgehe, würden sie die Augen schließen.

Der Film von Sirk gewährt dem Zuschauer nicht die Gnade wegzusehen. Jede Frühlingsblüte wird mit einem Kameraschwenk zur Kulissendekoration. Jeder Versuch, sich Heimat und damit Dauer zu schaffen wird unterbrochen: die einquartierte Nazifunktionärin achtet auf Sitte und Ordnung, die ständigen Fliegeralarme zwingen zurück in die schuldig gewordene Volksgemeinschaft, aber auch die Unsicherheit der Liebenden selbst hemmt sie. Es gebe kein richtiges Leben im falschen, so Adorno, ein Emigrant wie Sirk. Das ist nur halb oder gar nicht richtig, würde der Hollywood-Regisseur antworten, und den Akzent anders setzen. Es gibt nämlich nur ein Leben, das sich auch in einer falschen Welt nicht unterdrücken läßt.

Der Film ist nicht nur im Titel zweigeteilt. Die warme Nachtwelt der Liebe (die Farben der Blüten, Elisabeths Kleider, das Kerzen- und Lampenlicht der Innenräume) wechselt sich immer mit der kalten Tageswelt des Todes ab (weißer Schnee, graue Uniformen, ein blasser Himmel über Ruinen). In dieser Welt herrscht der Zynismus von Mitläufern und Sadisten, die Sirk erbarmungslos vorführt. Der Film schließt in einem grausamen Paradox: die nächtliche Liebe von Ernst und Elisabeth endet mit einem Happy-End, der Heirat und der Schwangerschaft von Elisabeth. Das Leben geht weiter. Blick durch ein Fensterkreuz auf eine deutsche Gartenlandschaft. Nächste Einstellung, beinahe eine Überblendung: ein Kreuz in der winterlichen Weite Russlands. Die Verwicklungen Ernsts in die Tageswelt der Schuld enden tragisch. Als wieder eine Erschießung ansteht, entscheidet er sich zum Widerstand und erschießt einen anderen Soldaten, um die Gefangenen zu befreien. Einer dieser Gefangenen nimmt sich ein Gewehr und erschießt ihn. "German beast", sind die letzten Worte vor dem Abspann.


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