Freitag, 5. Juli 2013

DIE HEILIGE MUTTER - und die andere: ICH

"Ich streite nicht. Schon gar nicht mit meiner Mutter.", sagte der. Ich versuchte, das zu überhören. Denn meine Söhne gehen keinem Streit mit ihrer Mutter aus dem Weg, nötigem und unnötigem. "Spaß.", sagt der "Kleine", der nicht klein, sondern viel größer als seine Mama ist, manchmal, wenn er es gar zu doll getrieben hat. "Spaß. Hab´ dich lieb." Wir streiten am Abendbrottisch, wir streiten im Hausflur, wir knallen die Türen. "So nicht, die Herrschaften", brüllt die Frau Mama. "Krieg dich ein.", kontern die Jungmänner.

Es kann alles ein Streitthema sein: Ob die Mama ein Recht hat oder mindestens ein berechtigtes Interesse, über den Aufenthaltsort des gerade noch Minderjährigen informiert zu werden? Wie lange ein 17jähriger unter der Woche ausbleiben darf? Welche Alkoholika und sonstigen Drogen in welcher Menge zu konsumieren gerade noch toleriert werden kann? Ob das Übernachten einer größeren Zahl von Kumpels angekündigt werden muss? Ob Peer Steinbrück ein Depp ist? Ob die Mama eine Radikale ist und wenn ja, welcher politischen Richtung? Welche Witze als sexistisch oder rassistisch zu qualifizieren sind und also nicht beim Abendessen erzählt werden sollen? Ob der FC Bayern München den besten Torhüter der Saison 2012/2013 beschäftigt hat oder ob das Kevin Trapp war? Ob Frank Ribery ein sympathischer Kerl ist, trotzdem? (Nur über Thomas Müller streiten wir nicht. Der ist o.k. Findet auch die Frau Mama.) Ob Kafka nervt? Ob Fontane ein alter Langweiler ist? Ob von Jungmännern verlangt werden kann, ihren Müll zu entsorgen und ihre Zimmer in einem sozial verträglichen Zustand zu halten, der das Öffnen der Tür im Bedarfsfall ohne größere Unfälle erlaubt? 

"Mach dich locker.", sagen meine Söhne häufig. "Entspann dich." Sie wirken immer ziemlich entspannt. Außer wenn sie verliebt sind, zum Beispiel. Oder Sorgen haben über ihre Zukunft, ihre Freundschaften, ihr Aussehen, ihre Begabungen, ihre Entscheidungen. Dann suchen sie Rat. Den sie natürlich niemals eins zu eins annehmen. Das wird aber auch nicht erwartet. Ich glaube, wir reden ziemlich viel. Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass die Mütter, deren Söhne immer höflich zu ihnen sind und niemals mit ihnen streiten, vielleicht nicht in so engem Kontakt mit ihnen stehen. Vielleicht stimmt das aber auch nicht. Vielleicht sind die nur klarer in ihren Botschaften. 

Meine Söhne gelten als freundlich, zielstrebig, selbstständig. Sie haben die Schule bisher problemfrei durchlaufen, ohne begeistert zu sein. Der Ältere studiert, der Jüngere macht im nächsten Jahr Abitur. Sie sind zu Hause "frech" und gegenüber "Fremden" zurückhaltend und höflich. Wünschte ich mir, dass es anders wäre? Manchmal schon. Aber ich komme aus einer Familie, in der Zurückhaltung, Höflichkeit und übertriebener (?) Respekt mit Gleichgültigkeit oder Distanz in Verbindung gebracht wurden. Wen man liebt, dem gegenüber lässt man sich "auch mal gehen". Familie ist der Ort, wo man sich nicht verstellen muss. Ist das rücksichtslos? Hätte ich mehr darauf achten müssen, dass meine Söhne mich achten?

"Aber sie achten dich doch.", sagt die Freundin. "Sie achten all die Werte, die dir wichtig sind. Sie achten auf sich selbst, nutzen ihre Chancen, stellen sich Herausforderungen, sind liberal und setzen sich für andere ein. Was willst du denn mehr?" "Andere streiten nie mit ihren Müttern. Die Mutter", sage ich, "ist ihnen heilig." Ich muss selber grinsen, als ich das ausspreche. Sie lacht mich aus: "Willst du eine Heilige sein? Und was macht die zu Heiligen?" "Sie leben für ihre KInder. Namentlich für ihre Söhne. Sie geben alles für die. Sie kümmern sich um alles: Frühstück. Wäsche. Essen." "Deine bügeln ihren Kram schon mal selbst. Und wissen, wo die Waschmaschine steht." "Widerwillig.", sage ich, "aber: ja." "Du kümmerst dich um anderes: Was in ihrem Kopf vor geht. Du kennst ihre Gefühle. Auch die unguten. Die keiner gern zugibt. Den Heiligen kann man sich nicht anvertrauen." Darauf kommt es an, hoffe ich da: Dass man sich vertraut. Wenn man miteinander reden kann und schweigen. Wenn man von Vertrauen nicht sprechen muss und sich Streit leisten kann. 

Der junge Mann, der nie mit seiner Mutter streitet, weil er sich ihr gegenüber niemals ein böses Wort herausnehmen würde, ist ziemlich unzuverlässig, stelle ich einige Tage später bei anderer Gelegenheit fest. Seine Loyalität gehört der Mutter. Aber die Werte, die er ihr gegenüber gelten lässt, haben außerhalb der Familie wenig Bedeutung für ihn: Da ist Tricksen erlaubt. 

Trotzdem: Sie hat mir einen Stich versetzt, diese Aussage; eine Irritation, mindestens, die eine Überprüfung meines Verhältnisses zu den Söhnen nötig machte. Ich habe mich gern von der Freundin rechtfertigen lassen Aber ganz überzeugt bin ich nicht. Ist es wirklich richtig, gegenüber den Nächsten weniger Rücksicht walten zu lassen als gegenüber Fremden?




2 Kommentare:

  1. Auch wenn mein Kommentar nicht direkt auf Ihre Frage eingeht, möchte ich Ihnen eine Antwort schreiben – nicht als Mutter, da ich keine eigenen Kinder habe, aber als Tochter. Meine Mutter (Jahrgang 1932, Lehrerin, Chorleiterin, „Freizeitpianistin“ und Schubert-Sängerin, nachsichtig mit ihren Schülerinnen und Schülern, streng mit meiner Schwester und mir) hatte ein Lieblingswort, ´Bescheidenheit` - „Zeig anderen nicht, wer Du bist, was Du kannst, was Du hast“. Zeit ihres Lebens habe ich gegen diese Bescheidenheit rebelliert, unsere Mutter in Wortgefechten provoziert, weil ich mir gewünscht habe, sie möge mir ein Mal das Recht, den Anspruch zusprechen, nicht „bescheiden“ auftreten zu müssen. Bis zu ihrem Tod habe ich sie daheim gepflegt, ausgerechnet ich, die Tochter, die nicht bescheiden sein wollte. Und ich habe eine Mutter erlebt, eine starke und ebenso schwache Frau, die nicht bescheiden sterben wollte, weil sie am Leben hing. Und vor allem an ihren beiden Töchtern. Wir haben uns in Liebe versöhnt, ohne Worte. Und es ist gut so. Nur die Bescheidenheit, die hängt mir manchmal noch an…

    Eine heilige Mutter, die in ihren Kindern keinen inneren Widerspruch herausfordert, wäre wohl ein Denkmal, das anämische Abbild überhöhter Werte, die einen Sohn, eine Tochter nicht lebensfähig machen.

    Herzliche Grüße von KAINe Kolumnen

    P.S. Zwei Romane von Barbara Pym stecken in meiner Reisetasche. Sie haben mich angesteckt mit ihrer Lektüre...

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    1. Das freut mich sehr! Ich wünschte, ich könnte es in eine Epidemie verwandeln, eine ansteckende Barbara-Pym-Infektion. Und es erinnert mich daran, dass ich immer noch einen Text "schuldig" bin zu ihren Alters- und Meisterinnenwerken, den letzten drei Romanen, die sie schrieb.

      Vielen Dank auch für diese Erzählung über das Verhältnis zur Mutter. Die Versöhnung mit der Mutter - eher noch, die Verständigung mit ihr, ist mir ein ganz wichtiges Thema. Ich meine damit sowohl die mit der realen Mutter, der immer "unheiligen", verletzten und verletzenden Mutter wie die mit der symbolischen, so ungeheuer aufgeladenen "Mutter-Figur" mit all den Konnotationen, die das in unserer Kultur hat - von Maria bis "Rabenmutter". Ich finde diese Formulierung sehr tröstlich und beruhigend: "lebensfähig machen" - das kann die Mutter schaffen (wenn sie eben keine "Heilige" ist). Wenn das genügen könnte, dann wäre viel Raum für Freiheit, Verzeihen und Verstehen gewonnen, weil die Überhöhung der Mutterrolle aufgegeben würde.

      Herzliche Grüße von KAINe Kolumne-Leserin :-)

      Melusine

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