Donnerstag, 24. Oktober 2013

MÄRCHENHAFTER HOCHSPESSART (Herbstwanderung)

Hauffs "Wirtshaus im Spessart" war eine der ganz wenigen Schullektüren, die mich wirklich gefesselt haben. Ich las unmittelbar danach noch "Das kalte Herz" und "Die Geschichte vom kleinen Muck". Auch der Mastermind hat vor einigen Jahren diese märchenhaften Erzählungen gelesen. Meine Lektüre liegt lang zurück, aber ich erinnere mich daran, wie die Faszination am Schauerlichen entstand, die Rührung über die Erkaltung des Herzens, über den Kummer der enttäuschten Liebe und den Schmerz der Entrechteten und auch: die Sehnsucht nach einem guten Ende. Das ist jene Mischung, die das "Märchenhafte" ausmacht: das Aufleuchten des Realen hinter der Realität, die Bereitschaft, dem Gefühl zu trauen und die Sehnsucht nach dem Heimkommen. 





Ein Wanderung durch den Räuberwald im Herbst, die brennenden Farben des Laubs, die hochaufgetürmten Nadelbäume, das dichte Dach der Blätter gegen den Regen, das Knirschen der Äste unter den Füßen, Bäume in Moos-Pantoffeln auf staksigen Beinen, das Rauschen des Windes über uns und der Blick weit hinunter ins Tal: märchenhaft. Wenn eine es zulässt, kann sie das Reale beim Schauen durch die Lücken der Baumkronen im wolkenverhangenen Himmel vorüberziehen sehen und wenn sie sich auf einen Baumstumpf setzt und Schokolade isst ("Gehört unbedingt zu einer richtigen Wanderung", sagte die Mitwanderin.), kommt ein Gefühl von Heimat auf, das Sehnsucht bleibt, denn sie müssen weiterziehen bis die Beine müde werden ("Eine Wanderung ist schließlich kein Spaziergang.") und von Ferne die Wirtsstube lockt. "Der Hohe Knuck" ist "Heute geschlossen", wie es im Fenster hängt, aber nur wenige Meter weiter steht das "Wirthaus im Hochspessart" mit einem ebenso warmen Ofen und ebenso leckeren Wildbratwürsten. Das Publikum ist nur wenig schauerlich. In der ersten Stube hocken Familien, die die Herbstferien ins Haferlohrtal geführt haben und weiter hinten, wo wir noch einen Platz finden, die Einheimischen: ein älteres Paar mit seinem erwachsenen Sohn, eine Schwangere mit dem Gefährten und den Eltern. An den reservierten Tisch setzen sich später Logiergäste, die Hochdeutsch reden. "Den Kloß", sagte die Alte zu Mann und Sohn, "hätt´ ich besser hingekriegt." Die Männer nicken mit vollem Mund. (Manche haben immer was zu meckern. Auch von denen erzählen die Märchen.) Zu den Bratwürsten gibt´s Wirsing und Kartoffeln. Pappsatt legen wir Messer und Gabel beiseite. 




Das Haferlohrtal ist gerettet. Noch vor einigen Jahren sollte es durch eine Talsperre geflutet werden. Der Widerstand der Bevölkerung hat es verhindert. Auch Tucholsky ist einmal in das "Wirtshaus im Hochspessart" eingekehrt. Und irgendwo soll´s eine Robert-Gernhardt-Linde geben, die wir aber übersehen haben. Märchenhaft ist es: Das Tal und die Öfen in den Schänken; das schlichte, gute Essen, die Blicke und Ausblicke auf die schrundigen, staksigen Bäume, der goldene Herbst, die Hoffnung, die dem innewohnt: Abschied und Wiederkehr.



3 Kommentare:

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    1. Nicht ohne Grund. Das Haferlohrtal ist wahrhaft märchenhaft. Da mag eine beinahe an Räuberromantik glauben. Wider besseres Wissen :-)

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  2. Oh danke, dass du mich mitgenommen hast* Fidi

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