Montag, 28. Oktober 2013

SECHS SCHÖNE TELLER (ein Traum)

(Von diesem Traum habe ich den größten Teil erfinden müssen. Das ist deine Schuld, weil du mich nicht rechtzeitig aufwecktest. Ich erinnere mich in Wahrheit nur an die Teller, das Bündel, an das Lachen der Frauen und an die Scherbe in meiner Hand.)

Sechs schöne Teller habe ich mitgenommen, aus feinstem Porzellan mit ziseliertem Blütenblätterrand, ein jeder von Hand bemalt mit den indigoblauen Strohblumenmustern. Gestapelt habe ich sie, getrennt vom anderen mit einem weichen Windeltuch eingeschlagen, und zu einem Bündel geschnürt, dreimal verpackt in dicke wollene Tücher. Mit diesem Schatz trete ich beschwingt die Heimreise an, denn ich weiß um die Freude, die das Auspacken meiner Gabe bereiten wird. Auch meine sechs Begleiterinnen setzen ihre Füße freudig voreinander, während wir schwätzend und lachend durch den herbstlich bunten Wald wandern. Jede trägt ein schweres Bündel auf dem Rücken, ihre Gabe für die Daheimgebliebenen. Ein Tagesmarsch über Höhenzüge und tiefe Täler liegt vor uns, doch wir genießen die Aussichten und Einblicke, das Funkeln der Sonne durch die Blätterkronen und unsere heitere Gesellschaft 

Da zeichnet sich im Gegenlicht eine Gestalt auf dem Pfad vor uns ab. Das Gesicht des Mannes ist finster, kaum nimmt er zum Gruß seinen Hut ab. Doch unsere Bündel fesseln seinen Blick. "Woran tragt ihr so schwer?" Wir schauen einander an. "Lohnt sich denn der weite Weg und die schwere Last für die paar Taler, die ihr herausschlagen könnt?" Wieder begegnen sich unsere Blicke. "Wir bringen Gaben für unsere Lieben." Höhnisch lacht er auf. "Was werden sie euch dafür geben?" Wir sind einen Augenblick stumm, denn wir verstehen seine Frage zunächst nicht. "Sie werden sich freuen." Wir sehen, wie er die Augenbrauen hochzieht. Ich zurre mein Bündel fester und fordere die anderen auf: "Lasst uns weitergehen, sonst wird es dunkel sein, bevor wir heimkommen." Meine sechs Begleiterinnen wenden sich ab und gehen voran. Als ich mich kurz umschaue, sehe ich, dass er stehen geblieben ist und uns nachschaut. Mir ist nicht wohl. Doch ich schließe rasch zu den anderen auf.

Später machen wir Rast an einer Quelle, beugen uns eine nach der anderen über den kalten, klaren Strahl und trinken uns satt. Aus unseren Bündeln entnehmen wir jede ein Stück Käse und einen Happen Brot als Wegzehrung für das letzte Stück. Ich lehne mich gegen eine Linde und schließe kurz die Augen. (Das Wut verzerrte Gesicht. Der Wanderer und du. Der Zorn gegen die Gabe, die Liebe und die Freundschaft.)  Soviel Armut habe ich gesehen auf dieser Reise. Mütter, die nur ein paar Körner hatten, um einen Brei für ihre Kindern anzurühren. Ein Klumpen Brot, der für einen ganzen Tisch voll hungriger Mäuler reichen muss. Wie froh sie waren, als wir ihnen die Teller abnahmen und all den anderen Hausrat, der in unseren Bündeln steckt. (Wir sind Kriegsgewinnler, alle. Sei still, ich weiß es doch.) Kein Mal habe ich indes mehr Mitleid und mehr Furcht empfunden als bei dieser Begegnung im Wald mit dem düsteren Mann. (So also haben wir uns kennengelernt.) 

Erschrocken blicke ich auf und suche mit den Augen mein Bündel, dass ich neben einer Fichte abgelegt habe. Äußerlich sieht es unversehrt aus, aber ich traue dem Anblick nicht und greife danach, ziehe es zu mir her, taste mich zwischen die wolligen Hüllen. Eine Scherbe ziehe ich heraus. Vorwurfsvoll liegt sie in meiner Hand, eine vollständige blaue Blume, der nur der Stil abgetrennt ist, der sie ins Ornament fügt. "Ei, was bist du für ein Tollpatsch", lachen die Freundinnen. Eine schnürt mein Bündel auf, schlägt vorsichtig. die Decken auseinander und die Windeln. "Fünfe sind noch heil", ruft sie. "Da hast du noch einmal Glück gehabt." Ich nicke, aber meine Kehle ist trocken. 

So mag ich nicht heimkommen. (Jetzt weck mich endlich auf!). Die Schritte fallen mir schwer. Bald schon laufen mir die anderen davon, nur noch selten sehe ich ihre bunten Röcke durch den Wald funkeln, immer weiter entfernt ihr helles Lachen und ihre Rufe. (Lass mich aufwachen!)  Ich schleiche, gleich werde ich mich fallen lassen, mein Bündel mit mir, was schert es mich, ob noch ein Teller zu Bruch geht oder zwei oder drei. Ich mag nicht mehr weiter. Ich weiß gar nicht mehr, wohin. Jetzt wird es ganz still. Ich war hier schon einmal. (Weck mich auf!)

(Ich erwachte betrübt. Von dir hörte ich lange nichts mehr. Ich hätte das lieber nicht über dich gewusst.)

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