Sonntag, 10. November 2013

"Keine Frau opfert sich für die Kunst" (GEWALTIGE TATEN)




Er war also über Bord gegangen. Das ließ sie nicht gelten. Es musste heißen: Er war von Bord gegangen. Andererseits: In der Fabrik der Engel war er baden gegangen. Sie schüttelte sich. Vielleicht vor Lachen. Er hatte getan, wovon er glaubte, dass es getan werden musste. So männlich. Dabei war er gar kein Mann, auch wenn sie zwischendurch einmal versuchte hatte, daran zu glauben. Und wenn ich dich liebe, was geht´s dich noch an? Als sie in der Bar gesessen hatten (War das in Rom gewesen oder wo?) und sie seine Tränen zu trocknen versuchte. Wer achtet einen Mann, der nicht weinen kann? Das alles spielte jedoch gar keine Rolle mehr. Vielmehr: Es hatte zwischen ihnen beiden nie eine gespielt. Er war so wenig ein Mann gewesen wie sie eine Frau. Sie waren männlicher und weiblicher als jede menschliche Kreatur. Zeugend und gebärend. Triebhaft und bewahrend. Beschützend und fliehend. Ach, was für ein vergebliches Spiel. Es gibt kein Entrinnen. Unter uns brodelt es weiter in der mütterlichen Grotte. Wir waren uns dessen bewusst, jederzeit, ohne etwas davon zu wissen. Man spricht unter den Sterblichen immerzu von der unglücklichen Liebe. Wie groß ist die Sehnsucht nach einem ungebrochenen Herzen.

Heilmann, wenn du zurückkehrst, wie soll ich dich dieses Mal empfangen? Mörder. Heiler. Mann. Ich hätte gerne Worte, schlicht und dumm, wie diese hier: „Ich werde dich immer lieben.“ („Einst ward ich gewahr, dass alle die Wesen, die aus dem Meere gestiegen waren, wieder zu ihm zurückkehrten, und sich in wechselnden Formen erzeugten.“) Wir könnten das Almuth in den Mund legen. Almuth ist blind, aber nicht stumm. Du hast ihr die Augen herausgeschnitten, wie der Teufel es dir befahl. Ach, Heilmann. Warum hast du dem Teufel vertraut? Als wer soll dein Sohn ewig leben? Willoughby, den ich zwischen meine Schenkel klemme? Am liebsten schriebe ich dir wie sie: „Deine Frau und Freundin“. Dann...

Sie lachte schauerlich. Wie er sie unter das Bett zusammengefaltet hatte. Und sie war doch davon geschwommen. Wenn sie es wollte, war überall mehr Meer. Und sie sah mit den Augen der Unsterblichen die Fülle der Welt. Heilmann musste doch jetzt für immer an der Reling stehen und seinem sterbenden Sohn winken. Er wird nicht mehr töten, sein Sohn. Er wird die Qualen tragen. Selbst. Ein makelloser Mann, sterbensmüde, der mit Freund und Feind in die Luft fliegen wird. Wie konntest er die Barrier vergessen?

Wir machen keine Geschichte. Wir sind.

War er einmal schön, so schön, dein Sohn, mein Willoughby, dass ich ihn zu meinem Geliebten machte? Trug ich sein Kind unter dem Herzen, deinen Enkel,  Heilmann? Das ist doch alles gelogen. Wir können nicht lieben, nur begehren. Wir laufen aneinander vorbei. Ich habe nur einmal gefühlt, wer ich bin: Als ich mit dir am Ufer stand. Aber in Wahrheit sind wir immer schon in den Wogen. Wir können nicht springen. Dagegen kämpftest du mit der Bilderflut, den Bücherbergen, den Alkoholexzessen. Heilmann, du warst klüger, als du unmenschlicher warst.

Schnee, sie dachte plötzlich an Schnee. Sie hatten einmal gemeinsam nach draußen geschaut, wie die Flocken über der Straße tanzten. Sie hätten dort bleiben sollen. Schauend und staunend. Oder am See. Wie sie es stets vermieden hatten, einander an den Händen zu berühren. Nur einmal hatte sie ihn gepackt. Ein Versehen. Sie hatte ihn für den anderen gehalten, für seinen Sohn, den sie verführen wollte. In Wahrheit hatte sie geweint, als der Rauch über den schneebedeckten Dächern aufgestiegen war.

Aber ich wusste nicht, dass es dein Sohn war. Ich wollte Almuth bestrafen, dabei war sie damals noch nicht einmal geboren. Ihre Augen waren übrigens blau, vergiss das nicht. Der Teufel hat dich teuflisch betrogen, als er dir das goldene Licht vorgaukelte. Ich kenne den Teufel gut. Ich spreche, wie er, die Sprache der Liebe. Versteh das bitte nicht als Hohn.


Heilmann riss die Kabinentür auf: „Bist du nun zufrieden?“ Er war entschlossen, zuzuschlagen. Warum hatte sie ihn bloß so gereizt? Das Plätschern mit der Flosse in der Wanne. Hatte sie gedacht, dass er Almuths Opfer annehmen würde? Dass er den bösen Hinterhalt nicht durchschaute? Keine Frau opfert sich für die Kunst. Unser Sohn ist nie aus ihrem Schoß gekrochen. „Ein reines Produkt deiner abscheulichen Fantasien, Melusine. Willoughby, dass ich nicht lache.“ Er öffnete seinen Kragen und band die Krawatte ab. „Komm raus.“ Sie verkroch sich tiefer unter dem schmalen Bett. Er trat nach ihr. Ihre Rippen krachten. Sie weinte still. Dass es doch immer so kommen musste. „Ich wäre dir gerne eine bessere Frau gewesen.“

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