Mittwoch, 13. November 2013

ZEITLOS (Zwischenmeldung)

Das Schreiben vermisse ich, mehr noch als mein Yoga. Seit zwei Wochen komme ich kaum dazu. Erst die Reise nach Istanbul, die so viele Eindrücke, auch Verstörungen hervorrief, die  eine wie ich doch eigentlich nur schreibend bearbeiten (nicht: verarbeiten) kann, vielleicht ganz ähnlich, wie andere musizieren oder stricken oder singen. Dass aus dem Schreiben "Texte" entstehen, ist für mich dabei stets zweitrangig. Das allermeiste, was ich mir - früher in meinen Notizheften -  heutzutage meist direkt in den Laptop notiere, verschwindet in Pappkartons oder nicht mehr geöffneten Dateien: Wortfetzen, Satzanfänge, Namen, Zeichnungen, Fotos. Ich dokumentiere die Reaktion meines Innenlebens auf eine Außenwelt möglichst ohne Wertung (die natürlich trotzdem immer anklingt, denn es sind ja  nicht die Reaktionen einer Maschine, die ich aufzeichne, sondern jene, die mein "System", meine Prägungen zulassen oder gegen die sie sich sperren, gegen die sie Abwehrmechanismen entwickelt haben oder die sie gierig aufsaugen). Seit der Rückkehr: Termine, Nacharbeiten, Vorbereitungen für die nächsten Workshops, Berichte, Bürokratie, Privates, letzte Korrekturen am Roman "PUNK PYGMALION", der im Januar erscheinen wird (JA!). Nichts wirklich Unangenehmes dabei, sondern einfach: zuviel.  

So viele Projekte und Versprechen, Notizen und Anregungen: Schreibaufgaben. Ich habe Edgar Reitz "Die andere Heimat" gesehen, verheult, bewegt, angeregt. Ein großartiges Alterswerk. Schauen Sie sich das an! (Über den Film würde ich gerne schreiben, werde ich vielleicht noch. Aber auch über das Altern und Alterswerke.) Ich habe viel nachgedacht über Prostitution, die Kampagne von Emma und diskutiert darüber mit Freundinnen und Freunden, manchmal heftig, manchmal nachdenklich, manchmal traurig. Wenn ich zu diesem Thema etwas veröffentliche (vielleicht hier, vielleicht auf beziehungsweise weiterdenken), dann möchte ich den Text so formulieren, dass er Anknüpfungsmöglichkeiten anbietet für beide Seiten in dieser verhärteten und - z.B. auf Twitter - oft so hässlich entstellenden Debatte, die mal wieder, wie so oft auch bei anderen politischen Themen, sich auf Fragen des "Rechts" konzentriert, also der Verbote und Gebote, ein Aspekt der mich daran nur bedingt interessiert und den ich auch nicht für zentral halte. Das braucht Zeit, die mir gerade fehlt.

Und ich habe gelesen: Swetlana Alexijewitschs "SECONDHAND-ZEIT. Leben auf den Trümmern des Sozialismus". Das war eine schwere Lektüre, manchmal habe ich nicht länger als eine Stunde am Stück ertragen können. Auch darüber würde ich gerne schreiben: Über diese literarische Form der "komponierten Interviews" und die erschütternden Erzählungen Alexijewitschs aus einer jüngsten Vergangenheit, über Menschen meines Alters, deren Leben so ganz anders verlief, die so viel tiefer verwundet und missbraucht wurden. Gerade im Kontext der Reise in die Türkei und vieler Gespräche dort ist mir noch einmal deutlicher bewusst geworden, wie viel jenseits aller Kritik an den hiesigen Verhältnissen es sich lohnt wertzuschätzen und zu bewahren, wie viel unverdienten Frieden, wie viel Sicherheit und ungenutzte Freiheit wir hierzulande genießen. Schon in St. Arbogast habe ich gespürt, wie wichtig für ein gutes Leben die Fähigkeit zur Dankbarkeit ist. Nur aus diesem Bewusstsein heraus, so glaube ich, lässt sich von einem privilegierten Standpunkt her Veränderung bewirken.

Schieben. Ich verschiebe vieles aufs Wochenende. Aber auch das ist schon voller Termine: Mein ältester Sohn kommt heim vom Studienort, Morel und ich werden einem Sternekoch über die Schultern schauen, in der Mato-Fabrik öffnen befreundete Künstler_innen ihre Ateliers. Nächste Woche: Workshops auf dem Feldberg, Routine, Korrekturen. Schreiben? Ich weiß nicht wann. (Iris: Ich melde mich! Versprochen!)

1 Kommentar:

  1. Liebe Melusine, ich kenne dieses Zuviel, nicht nur deshalb nochmal Entwarnung von meiner Seite: Es hat Zeit! Wirklich! Richtig viel Zeit, nur kein Druck.
    Übrigens habe ich gerade nach ungefähr 20 Jahren wieder mit Stricken angefangen. Strümpfe. Den ersten musste ich wieder aufribbeln, aber der zweite Versuch sieht vielversprechend aus. Keine Ahnung, woher ich gerade jetzt die Zeit dafür nehme, aber irgendwie wirkt es beruhigend. :-)
    Liebe Grüße!

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