Donnerstag, 26. Dezember 2013

Frau K. kehrt zurück (GUTE VORSÄTZE)

Im neuen Jahr wollte sie draußen sein. Frau K. hatte genug davon. Nach dem Zusammenbruch war es nötig gewesen; das sah sie ja ein, aber jetzt war es wieder gut. Das stimmte natürlich nicht, aber was wussten die schon. Frau K. hatte sich im Griff. Ihr Verhalten war tadellos. Kooperativ. Zugänglich. Nur damals, als sie sich ihr Scheitern hatte eingestehen müssen, war die Verzweiflung so groß gewesen, dass ihre Fassade zerbröckelt war. Diese wohlanständige, etwas fade Fassade, die schon ihr Äußeres geradezu nahelegte. Ein Maus. Eine kleine, graubraune, piepsige Maus. Auch ihre Stimme verlieh ihr keinerlei Autorität. Sie wusste das. Sie wusste, wer sie war. Wie sie war. Und wie sie wirkte. Kann kein Wässerchen trüben. 

Der junge Doktor hatte sich diese gravitätischen Bewegungen zugelegt, die gar nicht zu seinem leichten Knochenbau und seinem schlanken, aber kaum trainierten Körper passen wollten. Ein Hemdchen war er. So wenig furchterregend wie sie. Nein, sie fürchtet ihn nicht. Die H. war etwas anderes gewesen. Die hatte sie manchmal mit so einem Blick angeschaut. Da hatte sie sich fast durchschaut gefühlt. Aber das war Quatsch. Auch die H. hatte keine Ahnung. Bloß dass sie vielleicht die Wut teilte. Darüber hatten sie nie gesprochen, selbstverständlich nicht. Die H. war, wie Frau K., keine, die auf vertraulich machte. Gerade deshalb war sie ihr die Liebste gewesen. Die H. war aber schon seit einem halben Jahr draußen. Frau K. lächelte. Das lag nicht daran, dass die H. raffinierter gewesen wäre als sie. Da nahmen sie sich nichts. Vielleicht wäre die H. sogar eine gute Verbündete gewesen. Aber es lag einfach nicht in ihrer Natur. Sie war eine Einzelgängerin, immer gewesen. Die H. dagegen hatte Familie und das allein hatte ihr auch die vorzeitige Entlassung beschert.

Beschert. Die Bescherung war auch wieder nett gewesen in diesem Jahr. Sie fand es immer noch belustigend, wie sehr sich die Deppen freuten über jede kleine Zuwendung. Und die Rührung in den feuchten Augen. Die bekam sie auch hin. Das fiel ihr gar nicht schwer. Deshalb war der junge Doktor auch sicher, dass man sie jetzt raus lassen konnte. Vorsichtig. Betreutes Wohnen. Eine Halbtagsstelle als Portier am Eingang der Klinik. So was. Na gut. Ihr war es ja recht. Es würde dann auch weniger Sitzungen geben. Diese öden Treffen mit dem Doktor, bei denen sie sich so scharf kontrollieren musste, um ihre Verachtung nicht sichtbar werden zu lassen. Was konnte der ihr schon sagen. Der wusste es auch nicht. Wie man einen Menschen umbrachte. Das war nämlich nicht so einfach. Nicht so wie in den Krimis, die sie las. Nicht, wenn man davon kommen wollte. Und das wollte sie. Immer noch. Ihr Hass war kalt geworden. Aber keineswegs vergessen. Sie hatte neue Pläne. Ihr Scheitern hatte sie was gelehrt. Sie war kein Mensch, der mit seinem Körper umgehen konnte. Das heißt: Keine, die mit ihrem Körper töten konnte. Sie hatte diese Kontrolle nicht. Diese Explosivität. Und die Kraft. Das könnte man trainieren. Hatte sie versucht. Und war gescheitert. Der Kopf. Sie war die Sorte Mensch, die es mit dem Kopf machte. Vorsätzlich. Sowieso. 

Ab dem 2. Januar würde sie eine neue Bewegungsfreiheit haben. Sie hatte nicht die Absicht, Verdacht zu provozieren. Keine Extra-Touren. Sie würde sich an alle Vorschriften halten. Immer pünktlich zurück sein. Keine Sorge. Nur die Tötungsabsicht hatte sie nicht aufgegeben. Frau K. liebte dieses Wort, wahrhaftig.

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