Donnerstag, 9. Januar 2014

Privatsache? Nein! (Zum "Zeit-Interview" mit Thomas Hitzlsperger)

Als "zeit online" gestern Meldung und Kommentar zu Thomas Hitzlspergers Interview über seine Homosexualität freischaltete, fragte einer der ersten Kommentatoren, wie lange es wohl dauern werde, bis der erste im Kommentarthread sich bemüßigt fühlen würde, sinngemäß zu posten: Das sei doch vollkommen uninteressant, ihm so egal wie Bratwurst, weil nämlich - Privatsache. Lange warten musste er nicht. Das ging schnell los: Schließlich spiele das ja gar keine Rolle, im Fussball oder sonst wo, mit wem wer ins Bett hüpfe, das sei gleichgültig, grade so, als ob sich einer dazu bekenne, lieber Steak als Fisch zu essen. Oder so ähnlich. Die meisten Kommentatoren_innen, das freilich stimmt, drückten ihre Anerkennung für den Mut von Thomas Hitzlsperger aus. Einer der ersten war Lukas Podolksi auf Twitter, dem von manchen gerne ein schlichtes Gemüt unterstellt wird, der aber, so habe ich schon lange und immer wieder festgestellt, unter den Profifußballern einer der wenigen ist, die sich stets offensiv (und nicht nur in Kampagnen des DFB) für Minderheiten einsetzen. 

Die Deutungshoheit darüber, was "Privatsache" sei, ist eines der subtilsten und wirkungsmächtigsten Herrschaftsinstrumente. Immer wieder wird es auf unterschiedlichste Weise angewandt: Privat ist, wie viel Geld jemand zur Verfügung hat, privat ist, wie der Haushalt versorgt und die Kinder gepflegt werden, privat war lange, wie der Sex mit der Haushälterin oder Ehefrau vollzogen wird (notfalls auch mit Gewalt). "Das ist privat.", kann jede/r gern über ihre oder seine eigenen Angelegenheiten sagen und verdient dann Respekt und Distanz. "Das ist privat" zu sagen, wenn eine oder ein anderer über seine eigenen Angelegenheiten öffentlich sprechen will, ist jedoch immer übergriffig, respektlos und diskriminierend. Wer die Angelegenheiten anderer zur Privatsache erklärt, von der er lieber nichts hören und wissen will, hat kein anderes Interesse, als diese mundtot zu machen. Ihre Erfahrungen, ihr Lebensentwurf, ihre Denkweise oder ihre Sexualität sollen schlicht nicht im öffentlichen Diskurs vorkommen. "Privat können sie ja machen, was sie wollen.", so tarnt sich diese herabwürdigende Haltung dann noch als tolerant. Dabei geht es immer darum, Scham und Tabu zu erzeugen: "Man" redet halt nicht darüber, wie arm man ist, dass man homosexuell ist oder missbraucht wurde. Das könnte den anderen, den "Normalen" ja irgendwie unangenehm sein. Das ist schließlich "privat". Die haben ja auch ihr Päckchen zu tragen: Der Chef ist nervig, die Frau will keinen Sex mehr oder man hat Hämorrhoiden. Redet man ja auch nicht drüber, belästigt man ja auch keinen mit. (Was schade ist. Denn es wäre wichtig, über Mobbing zu reden, über sexuelle Wünsche oder Krankheiten. Tut "Mann" aber nicht.) Eigenartig (oder halt auch nicht) ist aber, dass dieselben Leute, die meinen, Homosexuelle sollten lieber über ihre Sexualität schweigen, Frauen nicht über sexuelle Übergriffe lamentieren oder Arme ihre finanzielle Lage nicht öffentlich debattieren, selber überaus gerne davon erzählen, wie sie die körperlichen Vorzüge oder Nachteile ihnen unbekannter Frauen auf der Straße wahrnehmen, dass sie auch gern mal einen Spruch abdrücken (ein sogenanntes Kompliment), dass sie "schwul" natürlich nicht als Schimpfwort benutzen, sondern "nur so" und wo sie zuletzt teuer Urlaub gemacht haben. Ist alles auch "privat", aber öffentlichkeitsfähig. Sozusagen. Wie Sami Khediras Top-Model-Freundin, der Leistenbruch von Robben oder Beckenbauers Weihnachtsfeier-Zeugungsakt. 

In deutschen Fußballstadien (Ich weiß wovon ich rede, denn ich habe eine Dauerkarte für die Heimspiele von Eintracht Frankfurt) sind Rassismus, Sexismus und Homophobie Alltag. Wer fiese Sprüche gegen schwarze Spieler bringt, Frauen belästigt oder gegnerische Spieler lauthals und mit eindeutig herabwürdigender Zielsetzung als "schwul" bezeichnet, muss sich im Stadien weniger fürchten, als diejenigen, die den Rassisten, Sexisten oder Homophoben zurechtweisen. Im besten Fall gilt so eine/r als zickig und elitär, im schlimmsten kommt es zu Beschimpfungen und Übergriffen. In dieser Atmosphäre fragt sich  jede/r eher, was leichtsinnig ist und was feige, wenn sie oder er gegen die Idioten vorgehen will. Thomas Hitzlsperger hat beschrieben, dass es in den Kabinen nicht viel anders zugeht. Dabei genügen wenige Worte oder Gesten, um denen, die "anders" sind den Raum zu nehmen und sie zum Schweigen zu bringen.

Deshalb ist es wichtig und mutig, wenn Thomas Hitzlsperger nicht nur seine eigene Homosexualität öffentlich macht, sondern vor allem sagt: "Homophobe Leute haben jetzt einen Gegner mehr." Homophobe, Rassisten und Sexisten sollen merken, dass sie nicht "die Normalen" sind, wenn sie sich im öffentlichen Raum bewegen, sondern es ihre Äußerungen und Gesten sind, die beschämend sind und zwar nicht für die, gegen die sie sich richten, sondern für sie selbst. Das ist eine Aufgabe. Auch für den DFB. Der sollte sich nämlich nicht damit befassen, Thomas Hitzlsperger zu "unterstützen", der das sicher gar nicht nötig hat. Sondern klarstellen, dass die Homophoben auch im DFB "einen Gegner mehr haben". 

Zum Beispiel so:

Wir wollen Euch weder auf den Stadionrängen noch auf dem Rasen mehr sehen, ihr Schwulenhasser, Sexisten und Rassisten! Bleibt daheim, wo Eure Idiotie, "Privatsache" ist.


Guter Kommentar von Esther Schapira in den "Tagesthemen" mit einer Aufforderung, endlich auch gegenüber den Gastgebern in Quatar Klartext zu reden:  Hier

1 Kommentar:

  1. Danke! Dein Kommentar macht deutlich, warum die Gegenwehr gegen die Einsicht, dass auch das Private politisch ist, immer noch so groß ist.

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