Freitag, 7. Februar 2014

BEIN ZEIGEN, MÄNNER! (Über Barbara Vinkens: Angezogen. Das Geheimnis der Mode)


Bein zeigen? Bin ich dafür.  Meine Knie sind ein bisschen knubbelig, nicht so schön spitz und elegant, wie es (m)einem Schönheitsideal entspricht. Aber die Waden sind ok. Und darauf kommt´s an, wie Barbara Vinken weiß. Bein zeigen ist vor allem eine Frage des Beinkleides. Denn es ist das eng bekleidete Bein, das viel erotischer wirkt, als das bloße.  Also: Bein zeigen. Mit engen, „endlos langen (tja, ausgeschieden, Frau Barby!), blickdicht bestrumpften oder behosten Beinen“, so zeigt Barbara Vinken in „Angezogen. Das Geheimnis der Mode“, greift die zeitgenössische Damenmode auf Muster der Herrenmode vor 1789 zurück, als noch die Männer „das schöne Geschlecht waren“ und das Spiel ihrer Wadenmuskeln in bunten, engen Strümpfen der geneigten Betrachterin vorführten. Seither indes, so weist Vinken nach, sind die Männer auf eine normierte Silhouette festgelegt, die nur noch geringfügige Variationen erlaubt. Rien ne va plus: Der Mann der Moderne zeigt weder Bein noch Glied. Keine Schleifen, keine Polster, keine „knallig aufgestylte Lustbeule“ mehr. Alles glattgebügelt.

Die weibliche Silhouette dagegen kann das: Sich unentwegt transformieren. Während die Herrenmode seit 200 Jahren im Wesentlichen ein und demselben Muster folgt, verfügt die Damenmode über einen „unendlichen Zitatenfundus“. Während der moderne Mann (seit etwa 1800) festgelegt ist auf eine „klassische“ Zeit- und Farblosigkeit, kann die weibliche Mode aus dem Vollen schöpfen. Der bekleidete Mann, stellt Vinken fest, ist „modern“, die bekleidete Frau dagegen „anachronistisch“, denn ihr Auftreten erinnert immer und gerade weil und wenn es „modisch“ ist, an vorbürgerliche, an vormoderne Zeiten. Die Revivals jagen sich in der Damenmode. Sie ist körperbetont oder kokett verhüllend, sie drückt Individualität aus oder Nutzlosigkeit. Rüschen, Spitzen, Schleier, Farben, Formen, Stoffe: Frauenmode ist vielseitig und beliebig. Der moderne Mann dagegen bedeckt seinen Körper vollständig (bloß nicht die Haut zwischen Socken und Hosensaum aufblitzen lassen). Nur Gesicht und Hände bleiben frei. Denn der moderne Mann ist Geist und Werk. Männliche Kleidung uniformiert die Leistungsträger und schmilzt den arbeitenden Mann in den „Kollektivkörper“ ein. Dazu gehören: kurzer Haarschnitt und glattrasiertes Gesicht. (Heißt auch: Männer können schon mit geringfügigen Abweichungen im Berufsleben „Zeichen“ setzen: kleiner Brilli im Ohr, bisschen Gel in die Haare).  Ein Mann, der stärker vom Modell abweicht, etwa einen farbigen, gemusterten Sakko trägt, enge bunte Beinkleider oder Strümpfe erregt Aufsehen, ist ein Hingucker. Aber kein Vorstandsvorsitzender. Oder Schalterangestellter.

Die Frauenmode dagen widersetzt sich dieser Uniformierung des modernen bürgerlichen Menschen. „Kollektiv zeigen die Frauen ganz individuell das ihnen eigene individuelle Allgemeine: dass sie nicht wie die Männer Teil eines Kollektivs und keinesfalls Teil der uniformierten, arbeitenden Bevölkerung sind.“ Die zeitgenössische Frau, die trotzdem berufstätig ist und sein will, so erläutert Vinken, eignet sich hierzu männliche Elemente aus allen Epochen und Schichten der Mode an: bürgerlich, adelig, Arbeiter. Sie spielt mit diesen und verleiht ihnen einen  ausgeprägten  „körperlichen Touch“: die Marlene-Hose, der Overall, Jeans. Die modische Frau der Moderne ist damit geistlos und gefährlich zu gleich. Sie ist präokkupiert mit Tand und Geschmäcklerei, statt sich der puren Vernunft oder dem reinen Zweck zu verschreiben und gleichzeitig stellt sie den Einbruch oder vielmehr die Unbesiegbarkeit der Unvernunft, der Tändelei und des Unfugs in die geordnete Bürgerwelt an ihrem Körper aus. Sie tut das, so erläutert Vinken, gerade auch eingekleidet in jene Modeerscheinungen, die sich oberflächlich am männlichen Modell orientieren. „Während der Mann seine spezifische Geschlechtlichkeit in der Moderne im Menschlichen aufheben kann und muss, um zivil zu werden, heißt Frau sein in der Moderne einen ...Körper...zu inszenieren.“

Vehement richtet sich Barbara Vinken in der Geschichte der Mode der Moderne, die sie erzählt, gegen die Mär vom „Unisex“ in der zeitgenössischen Mode: „Am Grunde der schlicht unhaltbaren These vom Unisex scheint mir eine Verleugnung der sogenannten ´erotischen Probleme´ der Kleidung zu liegen. Und des Anachronismus, der die Mode zum Anderen der Moderne macht. Die These vom Unisex verkennt das Phänomen der Mode. Sie leugnet, worum es in der Mode geht.“ Vinken erzählt daher eine geschlechterdifferenzierte Geschichte der Mode. Dabei besticht ihr Buch gleichermaßen durch  Interesse für modische Phänomene und die daraus abgeleiteten Detailkenntnisse wie durch die Fähigkeit, diese Phänomene in historischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen zu erklären. Der männliche Körper, so Vinken, wird in der Moderne seiner Konkretheit beraubt, weil er nicht mehr als Ausweis einer höheren Ordnung begriffen und somit transzendiert werden könne. Jetzt muss der Männerkörper stattdessen sublimiert werden, aufgehoben werden im Kollektivkörper. Aus dem Mann wird ein Bild von Männlichkeit. Die Männermode der Moderne, schreibt Vinken, will sich selbst unsichtbar machen, sie garantiert „überpersönliche Kontinuität“ der Amts- und Würdenträger, der Erwerbs- und Tätigen.  Der dunkle, gedeckte Anzug kombiniert zum hellen Hemd ist seit einem Jahrhundert Standard. Er repräsentiert nicht Individualität, sondern Macht und Autorität und verkörpert die bürgerlichen Tugenden: Selbstbeherrschung, Bescheidenheit, Enthaltsamkeit. „Nicht schön, sondern richtig, korrekt, passend und seiner Funktion gemäß“, darauf kommt es für den Mann der Moderne an.

Die Frauenmode dagegen geht derweil radikal andere Wege. Frauen werden aus jener republikanischen Öffentlichkeit, die der Anzugträger prägt, ausgeschlossen. Die Zurschaustellung, die dem Adel zum Vorwurf gemacht wurde, wird nach der Revolution zu Privileg oder Bürde (je nach Blickwinkel) der bürgerlichen Frau: „Während der Männerkörper in der Mode der Moderne seine Geschlechtlichkeit unmarkiert lässt, geht es in der weiblichen Mode ausschließlich um die Markierung von Geschlechtlichkeit.“ Zugleich scheint es aber den Modernen um eine Überwindung all dessen, was seit 1800 als Weiblich-Weibisch begriffen wird, zu gehen. Daher, so meint Vinken, werde die Übertragung des Männlichen in die weibliche Mode zu einem Prinzip der modernen Mode. Es gehe dabei allerdings eben nicht um Unisex, sondern um Crossdressing. Vinken zeigt diese Übertragung eindrücklich am Beispiel Coco Chanels. Frauen gewinnen durch das Crossdressing Beinfreiheit, können Radfahren und Rennen, Tennisspielen und Skifahren. Vinken aber kritisiert dieses Narrativ der Mode der Moderne. Sie hält es schlicht für falsch. Vielmehr lasse sich zeigen, dass es immer wieder zu „Rückschlägen“ gekommen sei, also das „Weibliche“, das Unnütze, Verzierte, Unpraktische sich zurück in die Mode gedrängt habe.  Wesentlicher aber sei: „dass die scheinbar pragmatische ´Befreiung´ einer bisher unerreichten Erotisierung des weiblichen und nur des weiblichen Körpers diente....So bleibt die weibliche Mode gerade im Übernehmen der männlichen Mode der Moderne das, was eben diese Mode hinter sich ließ: ostentativ.“ Die Geschichte der weiblichen Mode erzähle daher weniger davon, wie die Frau die „Erfolggeschichte der Subjektwerdung“ nach männlichem Muster nachvollziehen, sondern vielmehr vom „Objektwerden des Weiblichen“.  Frausein werde zum Spektakel. „In dieser Perspektive bekräftigt Mode hemmungslos die sinnliche Erscheinung, der jedes transzendente, ideale Element fehlt.“ Das heißt auch: Weiblichkeit wird zur Ware.

Aber Vinkens Ansatz ist es, „die Geschichte etwas anders (zu) erzählen“, nämlich die weibliche Mode als eine Inszenierung des Verhältnisses von Körper und Zeit zu begreifen. Aus dieser Perspektive hält die weibliche Mode den Körper „im Spiel“, inszeniert an ihm die Spannung zwischen zeitloser Schönheit und Vergänglichkeit. Die weibliche Mode wird zum Stachel im Fleisch der sich als körperlos vorstellenden republikanischen Ideologie, die jedes Begehren leugnet. Während männliche Mode in diesem Raum Klassenmode bleibt („blue collar“ gegen „white collar“) wird Frauenmode prinzipiell klassenlos. Stattdessen wird im 19. Jahrhundert in der Frauenmode die sexualmoralische Differenz zwischen „Dame“ und „Hure“ aufgemacht. Einen kennntisreichen Durchgang durch die Epochen seit 1800 beschließt Barbara Vinken mit dem amerikanischen Präsidentenehepaar unserer Tage: „er funktional in ins Kollektiv zurückgenommener, uniformer Männlichkeit klassisch a-modisch modern, sie individuell spektakulär modisch.“


Unisex sei deshalb, schreibt Vinken, „vielleicht eine Wunschvorstellung oder ein Horrorszenario, aber sicher eines nicht: Realität.“ Aber: Die Zeiten ändern sich, wie niemand besser weiß als die Modeexpertin. Vielleicht bringen die Männer ihren Körper gerade zurück ins Spiel. „Mehr Bein zeigen,Männer“, möchte ich ihnen zurufen. Denn wie Barbara Vinken glaube ich: „Unsere politische Ordnung wäre anders verfasst, Frauen und Männer würden sich anders ins Verhältnis setzen“, wenn der modebewusste Mann vom randständigen Dandytum zum Mainstream würde. Männer wären nicht länger geschlechtlich unmarkiert, Frauen nicht mehr Waren. Die Differenzen wären nicht nur sichtbar, sondern Gegenstände der Inszenierungen, der Übertragungen und des Crossdressings in beide Richtungen. Schluss also mit der männlichen Entsagung! Wir wollen schöne Männer sehen!


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