Freitag, 7. Juni 2019

ES WIRD TEUER UND UNSOZIAL. FridaysForFuture - Forderungen kritisch betrachtet

Dies sind die konkreten Forderungen der „FridaysForFuture“-Bewegung, die bis Ende 2019 (!) umgesetzt sein sollen (1):

1.    "Das Ende der Subventionen für fossile Energieträger
2.    1/4 der Kohlekraft abschalten
3    Eine Steuer auf alle Treibhausgasemissionen. Der Preis für den Ausstoß vonTreibhausgasen muss schnell so hoch werden wie die Kosten, die dadurch uns und zukünftigen Generationen entstehen. Laut UBA sind das 180€ pro Tonne CO2."

Ich teile diese Forderungen im Prinzip. Auch, weil ich mir deren Umsetzung leisten kann, ohne meinen Lebensstil wesentlich zu ändern. Das gilt aber eben nicht für alle. Und darüber müssten wir reden, statt – wie ich finde – uns an den bunten Bildern einer sympathischen Jugendbewegung zu berauschen. 

Schauen wir uns diese Forderungen genauer an: 

1.   Subventionen für fossile Energieträger (2)

Greenpeace identifiziert z.B. 38 Subventionen des deutschen Staates, die unmittelbar fossile Energieträger begünstigen und geht dabei von mehr als 46,2 Milliarden Euro aus. Am bedeutsamsten erscheinen hierbei die Subventionen für den Sektor Verkehr
- Energiesteuervergünstigung für Diesel
- Energiesteuerbefreiung für Kerosin (Flugverkehr)
- Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge
- Steuervorteile für den Gebrauch von Dienstwagen

Im Sektor Energie sorgen die Subventionen laut Greenpeace vor allem für einen niedrigen Preis beim Endverbrauer, so dass dieser mehr Energie verbrauchen kann. Das betrifft sowohl Gewerbe als auch Haushalte. 
                                                                                                                                  
Direkte Produktsubventionengibt es für die fossile Rohstoffgewinnung im Kohlebergbau. Die Absatzbeihilfen hierfür sind jedoch schon 2018 ausgelaufen. 


2.   ¼ der Kohlekraft abschalten

Hierzu gibt es von verschiedenen Fachleuten unterschiedliche Aussagen, was die Versorgungssicherheit mit Strom angeht. Problematisch erscheint in jedem Fall, dass die Nord-Süd-Stromtrassen, die notwendig wären, um mehr Windkraftstrom vom Norden in den Süden zu bringen, wo er gebraucht wird, nicht recht vorankommen, auch weil es regional dagegen viel Widerstand gibt. Gleichzeitig werden sukzessive Atomkraftwerke abgeschaltet, worüber in Deutschland ein breiter gesellschaftlicher Konsens herrscht. In jedem Fall würde bei einer Umsetzung dieses Vorschlags, selbst dann, wenn die Versorgungssicherheit (eventuell durch weiteren Import von Atomstrom oder sogar Kohlestrom aus dem Ausland?) gewährleistet werden könnte, der Strompreis deutlich steigen müssen. 


3.   Steuer auf alle Treibhausgasemissionen (180 € pro Tonne CO2)

Ein paar Beispiele:
2400 km im VW-Golf                                  382,0 kg
Telefonflatrate pro Monat                             89,6 kg
10 Packungen Toilettenpapier                     25,0 kg
Heizung pro Jahr (Durchschnitt)              3285,0 kg
250g Rindfleisch einmal pro Woche          175,0 kg
Flug Düsseldorf - Mallorca    (p.P.)             750,0 kg
Flug Düsseldorf – New York (p.P.)            3650,0 kg

 1 Tonne = 1000 kg

Durchschnittlich werden pro Person in Deutschland ca. 9,7 Tonnen CO2 jährlich ausgestoßen. 

Was passiert, wenn die FridaysForFuture-Forderungen umgesetzt werden:

Fliegen wird wesentlich teurer: Fernflüge unter 1500 €, innereuropäische Flüge unter 500 € wird es nicht mehr geben. 

Fleischkonsum wird sich ebenfalls merklich verteuern. 

Dasselbe gilt für die Strom- und  Heizungskosten sowie für  Benzin/Diesel-Kraftstoff. 

Teurer wird Mobilität, besonders für jene, die (viel) fliegen, aber auch für alle Autofahrer_innen, d. h. insbesondere für die ländliche Bevölkerung und zusätzlich für all jene, die ältere Autos fahren, die noch besonders viel Sprit verbrauchen. Außerdem werden wahrscheinlich auch weniger neue Wagen zugelassen, da deutlich mehr als 50% der neuzugelassenen Wagen Dienstwagen sind. 

Teurer wird vor allem auch wohnen. Der Aufschlag auf die Heizkosten betrüge pro Haushalt ca. 600 € im Jahr. Hinzu kommen deutlich steigende Stromkosten. Besonders betroffen wären schlecht isolierte Wohnungen mit veralteten Heizungen. Dies trifft vor allem wieder ärmere Bevölkerungsschichten.

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Für mich persönlich könnte ich zwar sagen: Macht das mal! Ich fliege (fast) nie (zuletzt vor einigen Jahren). Ich fahre ein kleines Auto und das weniger als 3000 km im Jahr und meinen wöchentlichen Fleischkonsum kann ich mir ebenso weiter leisten, wie eine warme Wohnung und ein heißes Bad.

Aber ich finde es  wichtig, dass niemand FridaysForFuture einfach aus Feelgood-Gründen unterstützt, ohne sich Rechenschaft abzulegen, was er/sie damit verlangt: Mietnebenkosten würden erstmal brutal steigen in 2020, Fleischkonsum müssten alle, außer den überdurchschnittlich Verdienenden, auf einmal die Woche reduzieren, Fliegen fiele für Menschen mit Normaleinkommen komplett flach (insbesondere für Familien, da mehrere Flüge aus einem oder zwei Einkommen nicht mehr zu bezahlen wären). Wer ein altes Auto fährt, ließe es am besten gleich stehen. Falls sie/er es zum Pendeln braucht und sich kein neues leisten kann, müssten monatliche Einsparmöglichkeiten an anderer Stelle gefunden werden.

Man kann jetzt einwenden: Dann müssen die 46,2 Milliarden plus CO2-Steuereinnahmen eben umgeschichtet werden. Aber das ist gar nicht so einfach, wie es aussieht. Subventioniert man direkt den Verbrauch von Normal- und Geringverdienern (Median-Einkommen in Deutschland brutto ca. 3500 €), fällt die Lenkungswirkung weg, die zu einem verminderten CO2-Austausch führen soll. Setzt man auf Investionen (in Nahverkehr, verbesserte Dämmung, energiesparende Geräte etc.), muss man mit einer Verzögerung der Wirkung rechnen: Neue Schienenwege, neue Züge, Radschnellwege etc. pp. müssen erst einmal geplant und dann gebaut werden. Die Maßnahmen sollen, laut FridaysforFuture aber schon 2020 umgesetzt werden. 

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Zur Erinnerung: Ich bin durchaus dafür, diese Forderungen umzusetzen. Aber eben nicht bis Ende 2019. Und ich verabscheue inzwischen wenig mehr, als die selbstgerechte Empörungsmentalität eines wohlsituierten, typischerweise oft protestantisch geprägten Milieus (aus dem auch ein guter Teil der FridaysForFuture-Demonstrierenden kommt), das mit beinahe religiöser Verve Maximalforderungen stellt, sich aber beharrlich weigert, konkret deren Folgen zu benennen, zu erklären und letztlich auch die berechtigte Wut jener auszuhalten, die von der Umsetzung dieser Forderungen in ihrem Alltag am meisten betroffen wären. Denen begegnet man eher mit der Haltung des Hauptmanns in Büchners Woyzeck gegenüber dem armen, ausgebeuteten Soldaten: "Er hat keine Moral." 

Man selbst hat recht und ist gerecht, weil man es sich leisten kann. Wie genau die eigenen Forderungen zeitnah so umgesetzt werden sollen, so dass auch weniger gutsitutierte Milieus sich damit einverstanden erklären könnten, das überlässt man doch lieber mal den verhassten Politiker_innen. Derweil lässt sich viel besser recht allgemein über „Downshifting“ reden oder über den Genuss am wieder entdeckten Selbsteingemachten („wie bei Oma“). Gleichzeitig ist aber klar, dass es nicht die Armen sind, die importierte Avocados kaufen oder nach Quinoa verlangen.

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Die Zeit drängt, sagen die Aktivist_innen. Wir sollen Panik haben. Effekt dieser Panikmache könnte jedoch sein, dass neben einer weiteren Verschärfung sozialer Ungleichheit, demokratische Standards und bürgerliche Freiheiten aufgegeben werden. 

Noch viel schwerer als den hiesigen Minderprivilegierten zu erklären, dass sie auf vieles verzichten sollen, was sich die Bessergestellten in den letzten Jahrzehnten wie selbstverständlich gegönnt haben, wird diese Erklärung gegenüber jenen 97% der Weltbevölkerung sein, die noch niemals geflogen sind, kein Auto haben und von funktionierenden sanitären Anlagen etc. nur träumen können. Kein Wachstum mehr? Das ist für alle diese Menschen keine Option. Und hinzu kommt noch: Ein weitere Zunahme der Weltbevölkerung (wie bisher) wird die Effekte von Einsparungen ohnehin zunichte machen. 

Nichts tun? Selbstverständlich ist das auch keine Option. Aber Maßnahme-Forderungen müssen mit konkreten Umsetzungsplänen verbunden werden. Und wer sich der Realität stellt, wird einsehen müssen, dass eine Erderwärmung um die 2 Grad praktisch ohne brutale Gewalt oder schlimmste soziale Verwerfungen in den Industrieländern und in den Entwicklungsländern nicht mehr zu erreichen ist. Daher ist es verantwortlich, neben Maßnahmen zur Verringerung des CO2-Ausstoßes auch viel mehr darüber nachzudenken, wie mit dessen schon jetzt unvermeidlichen Folgen umgegangen werden soll. 

Deshalb:  Ressourcen aus den „reichen“ Ländern müssen vermehrt in Entwicklungsländer fließen. In die Umsiedlung von Bevölkerungen aus küstennahen Regionen, in dortigen Küstenschutz, wo es möglich ist, in den Ausbau von Infrastruktur und nichtfossiler Energieversorgung dort, in Bildung, auch um die Geburtenraten zu senken. "Unsere" sogenannte Entwicklungshilfe müsste verdoppelt, verdreifacht, vervierfacht werden; dahin müssten die eingesparten Subventionen zuerst fließen. (4)

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Und um auf den Maßnahmen-Katalog von FridaysForFuture einzugehen: Der Einstieg in diese Maßnahmen muss zeitlich so gestaffelt sein und erfolgen, dass es zuerst und prozentual am meisten diejenigen trifft, die mehr haben: Also Viel- und Fernflieger (Einführung einer speziellen CO2-Steuer auf Flüge), Abschaffung der Dienstwagen-Steuervorteile, eventuell erhöhte Mehrwertsteuer auf Luxusgüter (z.B. Luxusautos), deren Ertrag für Investitionen genutzt wird...


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Quellen:

1 Kommentar:

  1. Es braucht sozialverträgliche Lösungen, richtig. Vielleicht braucht es exponentiell steigende Besteuerung derjenigen, deren Stufen des Reichtums die soziale Ungleichheit und das Einkommensgefälle erst so recht obszön und schändlich erscheinen lassen. Finanztransaktionssreuer? Es ist sicher nobel gedacht, Ottonormalverbraucher bei der Kostenbelastung zu schützen. Aber das wäre sowieso das Resultat einer Politik, wenn sie sich einer Verteilungsgerechtigkeit verpflichtet sehen würde, Pfründe antasten würde, ausbeuterischen Lohnverhältnissen global den Kampf ansagen würde etcpp. Das Prekariat vor weiteren Belastungen zu schützen reicht nicht aus. Dabei zu helfen, dass es sich aus erbarmungswürdigen Verhältnissen befreien kann, vor dieser Notwendigkeit verschließt man die Augen. Insofern ist diese Art der Diskussion über die Klimakatastrophe und die Kosten, die sie verursacht, einigermaßen unredlich.

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