Mittwoch, 8. September 2010

PAARE. Keine Passanten


(Not) Just Married


Mr. and Mrs. Darcy
Lebten sie "happily ever after"? Jane Austen suggeriert es auf den letzten drei Seiten von "Pride & Prejudice". Elizabeth sucht die Versöhnung auch mit den Gegenspielern ihrer Liebe zu Darcy und er, dessen hochfahrenden Stolz ihre Liebe zähmte, lässt sich darauf ein. 

Aber: aufgepasst. Tatsächlich begegnen uns nur wenige glückliche Ehepaare in der Literatur. Der "Plot" des klassischen Liebesromans der bürgerlichen Epoche endet mit dem Eheversprechen. Wie und ob es gelingt, das Versprechen zu halten und dabei ein gelingendes Leben zu führen, in dem sich nicht bewahrheitet, was Oscar Wildes Aphorimus behauptet: "Die Ehe ist Freiheitsberaubung im gegenseitigen Einvernehmen.", davon erzählen nur wenige literarische Werke. Mir fallen stattdessen die tragischen Ehebruchserzählungen ein, in denen meist die Frau mit dem Leben bezahlt (Anna Karenina, Emma Bovary, Effi Briest). 

Auch in Jane Austens Romanen sind die meisten langjährigen Ehepaare kaum als glücklich zu bezeichnen. Elizabeth Bennets Eltern, denen es in jeder Hinsicht am gegenseitigen Respekt fehlt, sind die Karikatur einer solchen misslingenden und tatsächlich tragischen Fehlbindung. Der Missgriff in der Liebe hindert die im bürgerlichen Ehevertrag Gebundenen für immer, sich selbst gerecht zu werden. Niemand findet härtere Worte gegen das Vertrags- und Eigentumsrecht, dem die bürgerliche Ehe die Liebesbindung unterwirft, als Adorno in "Minima moralia": "Hegels Dialektik von Herr und Knecht gilt nach wie vor in der archaischen Ordnung des Hauses und wird verstärkt, wenn die Frau verbissen an dem Anachronismus festhält. (Anmerkung: Wir müssen feststellen, dass der Herr Adorno die Verbissenheit, mit der Vertreter seines eigenen Geschlecht hieran festzuhalten wünschen, nun ja, sagen wir: übersieht. Auch Theodor W. selbst, der gern jungen Frauen tief in die Augen sah und an die Brüste fasste, erwartete von Frau Gretel sexuelle Treue.) Als verdrängte Matriarchin wird sie dort gerade zum Meister, wo sie dienen muss, und der Patriarch braucht nur als solcher zu erscheinen, um Karikatur zu sein." Man könnte meinen, diese Verhältnisse hätten wir überwunden. Mir scheint das ein eher oberflächlicher Blick. Noch immer, spätestens wenn Paare Kinder haben, fallen sie zurück in die Rollenschemata, die dem zugrunde liegen: die Frau dient der Familie im Haus (überwiegend und verantwortlich) und der Mann dient ihr außer Haus, indem er für die materielle Grundlage sorgt (überwiegend und verantwortlich). Es gibt Ausnahmen; es gibt Verschiebungen. Es bleibt dies für die Mehrheit weiterhin das Grundmodell. Denn es gilt auch immer noch Adornos Satz: "Keine Emanzipation ohne die der Gesellschaft." 

Heutzutage jedoch erweist sich das Grundmodell als immer instabiler. Denn die Vertragsehe als geschäftliche Zweckgemeinschaft wird - seit Jane Austen und auch durch sie - aufgeladen mit dem Verlangen auch eine Liebesgemeinschaft zu sein. Das ist relativ neu. Lange genug war Heiraten im Wesentlichen ein Geschäft zwischen Männern, Vätern und künftigen Ehemännern, bei denen die Frau hatte oder vorstellen konnte, "was nach den Bedingungen des männlichen Geschäfts, der männlichen Politik und Fortpflanzungspolitik nötig oder wünschenswert" (Klaus Theweleit) war. 

Viele hoffen offenbar dem Paradox einer Liebe, die im Moment die Ewigkeit beschwört (und dieses Ewigkeitsversprechen in der Gestalt der Ehe auszudrücken versucht) zu entkommen, indem sie es aufgeben: Keine Liebe währet ewig. Weiß ich, wie ich mich morgen fühle? Kann ich Gefühle versprechen? Das Zeitalter der "Lebensabschnittspartnerschaften" ist angebrochen. Serielle Monogamie nennt man das wohl im Soziologendeutsch. Man baut von vornherein Sicherungen ein: Die eigene Karriere nicht aus dem Blick verlieren. Sich einen eigenen Freundeskreis erhalten. Immer bedenken: Es kann alles schief gehen. Ja, das rate ich meinen Söhnen auch. (Hätte ich eine Tochter, fielen meine Warnungen vielleicht noch schärfer aus.) Solange wir in Verhältnissen leben, in denen die Ehe (auch) eine Geschäftsverbindung ist (und wahrscheinlich werden wir immer irgendeine Form vertraglicher Regelung brauchen, sobald Kinder da sind), muss man sich rückversichern. Geschäfte sind so.

Liebe aber nicht. Wenn es Liebe ist, dann kann man sich nicht versichern. Da gibt es keinen Rück- und Ausweg. Man verliert sein Herz, sagt eine abgenutzte Metapher. Das ist ernst zu nehmen. Wer liebt, gibt etwas her und hin: sich. Das kann sie nicht einfach zurückfordern und weitergehen.

"Wer so ganz in Herz und Sinnen
könnt ein Wesen lieb gewinnen,
o´den tröstet´s nicht,
das für Freuden, die verloren
neue werden neu geboren
Diese sind´s doch nicht."

(Karoline von Günderode: Die eine Klage)

Wer sich in der Liebe rückversichert, die, glaube ich, bringt sich um "alles". Man kann auch alles verlieren. Das ist ein Unglück. Ein verunglücktes Leben. Denn wer liebt, fühlt doch wie Hölderlin:

"Trennen wollten wir uns, wähnten es gut und klug;
Da wir´s taten, warum schröckt´ uns,  wie Mord, die Tat?
Ach! Wir kennen uns wenig,
Denn es waltet ein Gott in uns."

Wer liebt, muss sich fürchten. Denn sie weiß, dass sie ausgesetzt ist: der Möglichkeit zu versagen. Dass die Liebe dem Alltag nicht standhält. Dass die Komik, die alle alten Paare ausstrahlen, zur Lächerlichkeit wird. Dass die Fähigkeit, im Unähnlichen immer wieder das Ähnliche zu entdecken, sich erschöpft. Sie weiß auch, dass sie nicht wird sagen können: neues Spiel, neues Glück. In unserer Zeit wird eine, die so liebt, allzu gern eine Therapie anempfohlen:

"Denn er sei mit einer Art von Entsetzen gefragt worden, wie denn er sich habe einlassen können auf einen anderen Menschen so ganz und gar, ohne einen Teil der eigenen Person in einem Versteck zu halten, worauf er schon aus Verständigkeit zugestanden habe, er sei in der Tat auf der Strecke geblieben mit seinem Entwurf von Liebe sonder Vorbehalt - dies ohne daß er sich habe überwinden können, seine Eideshelfer, von PLATO bis BLOCH, im Ernst zu verklagen, da zumindest der eine von ihnen eine Erfahrung vorzutragen scheine."
(Uwe Johnson: Skizze eines Verunglückten)

Ich will nicht schließen mit den Verunglückten. Es kann gelingen. Garantien gibt es nicht. Keine Rückversicherung für die Liebe. Aber: das Prinzip Hoffnung. Ein glückliches Paar zeigt uns sogar Jane Austen in ihrem letzen Roman "Persuasion": Admiral and Mrs. Croft. (Und wenn man an die alles entscheidende Szene denkt, in der Anne sich am Fenster mit Captain Harville darüber unterhält, wie die Liebe der Seeleute die langen Trennungen übersteht, siehe: hier, dann ist es wohl bedeutsam, dass Mrs. Croft nicht an Land zurück bleibt, sondern ihren Mann auf seinen Reisen begleitet.)

Jedes Paar ist anders. Jeder Versuch kann scheitern. Oder gelingen. Ob man glücklich war, das weiß man - sagt schon Aristoteles - erst ganz am Ende.



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