Sonntag, 3. Oktober 2010

Bonnie und Clyde und das Ende der Sublimierung



Zum Tod Arthur Penns

von MOREL

In der vergangenen Woche starb der Filmregisseur Arthur Penn. Anlass genug, in einem Elektronikgroßmarkt eine DVD seines bekanntesten Films Bonnie and Clyde zu erwerben. Als dieser Film im Sommer 1967 in die amerikanischen Kinos kam, waren einflussreiche Kritiker einflussreicher Tageszeitungen entsetzt. Bosley Crowther mokierte sich über das begeisterte Publikum, das – wie Jahrzehnte später wieder in Pulp Fiction – über die Gewaltszenen lachte, etwa wenn einem Bankangestellten direkt ins Gesicht geschossen wird. Er war gar nicht angetan von diesem „stumpfsinnigen und unausgegorenen“ Machwerk. Ihre inzwischen berühmte Kritik über diesen Film begann Pauline Kael so: „Wie schafft man es in diesem Land, einen guten Film zu machen, ohne angegriffen zu werden?“ Dem Publikum gefiel die Gewaltorgie trotzdem und in Hollywood kam eine neue Generation von Filmverrückten an die Macht, die später als New Hollywood musealisiert wurden.



Bonnie and Clyde wird dafür gerühmt, Sex und Gewalt auf sensationelle Weise verbunden zu haben. „They’re young…they’re in love…and they kill people“, hieß es in der im zweiten Anlauf (der Film floppte zunächst aufgrund der schlechten Kritiken) erfolgreichen Werbekampagne. Geschossen wird tatsächlich nicht gerade wenig, auch wenn sich beim Wiedersehen die Stille zwischen den Schüssen, die Felder und leeren Gehöfte unter einem blauen, texanischen Himmel ebenso stark einprägen. Und sexuell aufgeladen ist dieser Film, vor allem in der brillanten Anfangsszene, in der Bonnie nackt in ihrem Zimmer an den Gittern ihres Mädchenbettes rüttelt. Später, nachdem ihr Clyde eine Cola spendiert hatte, streicht sie bewundernd mit ihrer Hand über den langen Lauf seiner Pistole. Mehr ist aber zunächst nicht. Denn Warren Beatty als Clyde erklärt der schönen, hochgradig erregten Faye Dunaway, dass er dummerweise kein „Loverboy“ sei. So unglaubwürdig das klingt (die Bisexualität Clydes ging auf dem Transport vom Drehbuch in den Film verloren): die sexuell nicht auflösbare Spannung scheint den Film von Banküberfall zu Banküberfall voranzutreiben. Und erst als es Bonnie gelingt, mit einer selbst geschriebenen Ballade Bonnie & Clyde als Paar und Zeitungs-Legende zu verherrlichen, überwindet er seine Impotenz. Danach erst können sich beide ein Leben nach dem Verbrecherruhm vorstellen.

Dieser seltsame Zug des Drehbuchs findet sich in keinem der späteren „Love-on-the-run“-Filme wieder. Im Grunde wird hier das alteuropäische Konzept der Sublimierung zurückgewiesen, also die Idee vom Verzicht und der Askese als Voraussetzung für Kulturleistungen. Das ist ironisch, denn Bonnie and Clyde war auch eine Reaktion von Hollywood auf den künstlerischen Erfolg der Nouvelle Vague. Zeitweise war sogar Francois Truffaut als Regisseur im Gespräch. Die riskanteren, erotischeren und auch politisch brisanteren Filme kamen in den 60ern nun mal aus Paris, Stockholm und Rom. Aber während beispielsweise Godard als guter Calvinist die Frau in seinem Frühwerk als verantwortungslose Verführerin zeichnet, als geborene Hure eben, wird der Sex im US-Kino seit Bonnie and Clyde als befreiend gefeiert. Die Gewalt entspringt der Unmöglichkeit, guten Sex zu haben. Die These der theraupeutischen Funktion des Sex fand natürlich in der Folge auch viel Kritik (wo bleibt die Tragik, die Entgrenzung, das Pathos usw), aber mit Blick auf die blauen Augen von Faye Dunaway kann man sich ihrem Charme nicht ganz entziehen.


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