Fortsetzung von "Ich küsse mein Leben in dich... (Die Martenehen)"
(Ein Sequel zu "Melusine featuring Armgard")
Bei dieser Gelegenheit nannte er sich Willoughby. Den Namen hatte sie bereits zweimal gehört in ihren früheren Leben. Seine Schönheit wirkte betörend wie damals. Als die Herren noch Fräcke trugen und Krawatten wie Schleifen gebunden wurden, hatte sie ihn mehr geliebt. Entführte er sie des Nachts aus ihrem Elternhaus? Sie konnte sich nicht erinnern.
In Wahrheit hieß er anders und doch bebte ihr Herz, wenn er den Raum betrat. Einmal stellte er sich als Harold vor. Ein andermal nannte sie ihn Mr. Constantin. Absichtsvoll mied sie den Blick, den er ihr zuwarf wie einen Fehdehandschuh. Fass mich nicht an, schien sie zu sagen. Sie setzte sich ans andere Ende der Tafel, als man zu Tische rief. So fern wie möglich wollte sie ihm sein, keine Chance für die kleinste Berührung. Es gab gewiss Besseres als Ärger und Mutlosigkeit, sagte sie sich. Nichts jedoch half ihr dazu, den Kopf zu heben und in seine Augen zu sehen.
Andererseits bin ich jetzt kein Mädchen mehr. Ich habe ein Zeitalter betreten, das du nicht kennst. Mich erreicht nur noch die Makellosigkeit deiner Züge, deine Hand streckst du vergebens aus. Aber wer hätte an jenem Julitag am Meer in dieser prächtigen Gestalt jenes unbeschreiblich elende Skelett zu erkennen vermocht? Ach, ich übersah die Zeichen geflissentlich.
Seit sie denken konnte, hing er dort oben. Es kann keinen zweiten geben wie ihn, beschloss sie mit fünfzehn Jahren, wiewohl sie im selben Augenblick begriff, dass sie damit ihr Urteil sprach. Obwohl er nicht frei von tadelnswerten Eigenschaften war, worunter als tadelnswerteste die gelten dürfte, dass er den Tod seiner Mutter zuließ, musste sie sich gestehen, dass sie ihn nicht verabscheute. Sie wünschte diese Erkenntnis zu hintergehen und scheiterte mit ihrem Widerstand alle Zeit. Hoffnungslos nahm sie seine Anträge an, schwor ihm die ewige Treue vor dem Altar und ließ sich nach Hause fahren. Immer wieder warf sie sich seinen Doppelgängern an den Hals, verbog sich unter ihren Händen, ließ sich schwängern von denen. Die Kinder verschwanden in schattigen Häusern; sie vergaß ihre Namen.
Auch seiner erinnerte sie sich nur schwach in ihren letzten Tagen. Doch in die Hand ihrer Tochter hauchte sie sterbend: „Hector.“ Was meinte sie damit, fragte sich das Mädchen vergebens. Sie, die ihr nachfolgte, ahnte kaum, was verborgen und was enthüllt werden sollte. Im Jahre 2030 wurde die Wasserfrau in Calais im Feuer bestattet. Ihre Asche zerstreuten sie im Kanal. Das war sieben Tage bevor die Flut die Barrier von London brach.
Heilmanns Bemühungen waren vergebens gewesen. Wieder einmal war er zu spät gekommen. Er hatte den Seeweg gewählt, aus symbolischen Gründen. Ein Flug hätte sie retten können, ahnte er. Warum ließ er die Drachin nicht gelten und bestand auf dem Fischschwanz? An der Reling stehend zog er den Strohhut und verbeugte sich vor den Wellen. Da tippte sie ihn leicht auf die Schulter. Er fuhr herum.
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