Samstag, 7. Dezember 2013

Für eine "Entfreierung" der Welt

Marlene Streeruwitz hat im Standard einen lesenswerten Text zur Debatte um Prostitution geschrieben, der über die leidige und aus meiner Sicht am politischen Kern des Problems mit Bedacht vorbei zielende Verengung auf Rechts- und Strafvorschriften weit hinausgeht:

"Eine uneingeschränkte Solidarität jedes und jeder mit jedem und jeder, die ihr Geld verdienen müssen, sollte all diese vorsintflutlichen und alten Ungleichheiten weiterschreibenden Strukturen unterlaufen. In dieser Solidarität müssen Freiheiten neu gedacht werden. Die Prognose, dass wir alle in Flatrate-Puffs aller Arten freie Mitarbeiterinnen sein sollen. Diese Prognose sollte zu einer "Entfreierung" des politischen Denkens jeder einzelnen Person führen und diesen Ekel unbenutzbar machen, der so schön hilft, aus Ausbeutungen und Überwältigungen Freiheitsgefühle zu fabrizieren."

Zum vollständigen Text: "Leutnant Gustl und die Benutzung der Welt"


Bedauerlich ist, dass zu diesem Thema so wenige verlässliche wissenschaftliche Erkenntnisse und Zahlen vorliegen. 44 Sexarbeiter_innen, so habe ich in verschiedenen Publikationen gelesen, haben die Möglichkeit, sich sozial zu versichern, in Anspruch genommen, die ihnen das sogenannte "rotgrüne Prostitutionsgesetz" eröffnet hat. Ich kann nicht beurteilen, ob dies Zahl stimmt. Wenn es so ist, ist die Zahl erschreckend niedrig und sollte Befürworter_innen des Gesetzes zum Nachdenken darüber zwingen, ob die mit diesem Gesetz verbundenen Ziele erreicht werden konnten. Befürworter_innen einer Strafandrohung gegen Freier behaupten dagegen, dass der Menschenhandel durch die Legalisierung der Prostitution zugenommen habe, die Preise verfallen und immer kriminellere Praktiken von den "Kunden" verlangt werden (Penetration ohne Kondom, Sex mit Minderjährigen, Gewaltexzesse). Auch hierzu liegen keine überprüfbaren Daten vor. Zu nimmt offenbar seither die Zahl der "Großbordelle", die sogenannte "Flatrates" anbieten. 

Ich habe in den letzten Wochen viel über dieses Thema in verschiedenen Zusammenhängen gelesen und diskutiert. Noch habe ich mehr Fragen als Antworten. Es verwirrt mich, wie "Freiheit" von jenen begriffen wird, die dafür eintreten, "Sexarbeit" als eine Arbeit wie jede andere zu begreifen. "Freiheit" setzen sie in den Diskussionen einerseits gleich mit "Freiwilligkeit" (was einer oder eine will, muss auch erlaubt sein) und dem Recht auf unbedingte, käufliche Bedürfnisbefriedigung (alles, was eine oder einer behauptet zu brauchen, muss er oder sie auch kaufen können). Solche Definitionen halten keiner gedanklichen Überprüfung stand. Die Grenzen der Handlungsfreiheit sind immer da zu ziehen, wo die Wahrnehmung dieser Freiheit die Freiheitsrechte der anderen und/oder die Würde des Menschen selbst einschränkt. Und genau hier liegt der eigentliche Dissens: Verletzt die allgemeine Käuflichkeit (überwiegend) weiblicher Körper zum Zwecke der sexuellen Befriedigung eines anderen Menschen (überwiegend Männer) die Menschenwürde, weil sie den Menschen (meist: die Frau) selbst zu etwas Käuflichem macht? Wenn es so ist, dann darf keine freiwillig in diese Selbstentwürdigung einwilligen.

Es ist schwierig, hierauf eine Antwort zu finden. Auch eine Bauarbeiterin überlässt ihre körperliche Arbeitskraft für eine begrenzte Zeit einem anderen gegen Entgelt. Allerdings: Diese andere "benutzt" ihren Körper nicht selbst zu seiner Befriedigung, d.h. zu seiner "Entäußerung". Ein (hinkender) Vergleich: Auch die Leihmutterschaft oder die Organspende gegen Geld sind in Deutschland verboten, obwohl es zweifellos Frauen und Männer gibt, die ihren Körper oder Teile davon "freiwillig" zur Verfügung stellen würden. Das Verbot gründet auf einer Idee von der Würde des Menschen, die eine "Benutzung" oder "Verwertung" des Körpers eines Anderen/einer Anderen gegen Geld ausschließt. Wollen wir die aufgeben? Soll es jeder und jedem erlaubt sein, "freiwillig" für Geld einen anderen mit dem eigenen Körper machen zu lassen, was der oder die will? Soll sich, wer über genügend Geld verfügt, z.B. kaufen können, dass sich eine auf seine oder ihre Bestellung hin selbst verletzt, Glieder amputiert oder Organe entnehmen lässt? 

Eine andere Argumentationsschiene ist das Gerede vom sogenannten "ältesten Gewerbe der Welt". Schon immer habe es Frauen gegeben, die Männern zur Befriedigung ihrer sexuellen Wünsche zur Verfügung gestanden hätten, andernfalls nämlich komme es zu wesentlich mehr (vor allem häuslicher) Gewalt in der Gesellschaft, da Männer nun mal "Bedürfnisse hätten". Es sei also auch und gerade für die sogenannten "anständigen" Frauen wichtig, dass Männer ihren Sexualtrieb und ihre möglicherweise spezielleren sexuellen Phantasien irgendwo gegen Bezahlung realisieren könnten. Da drängen sich Fragen auf: Ist der Sexualtrieb von Männern tatsächlich so viel unkontrollierter und unkontrollierbarer als der von Frauen? Warum können Männer sich nicht selbst befriedigen oder mit Geräten vorlieb nehmen, um sich abzureagieren? Welche Bedeutung hat es über die Entladung hinaus, die auch ohne reale Frau zu erreichen wäre, dass in unserer Kultur die Realisation männlicher sexueller Wünsche an realen Frauen gegen Geld möglich sein muss, während das Fehlen eines vergleichbaren "Angebots" für Frauen offenbar nicht zu einer höheren Gewaltkriminalität führt? Welche Männer- bzw. Frauenbilder sind in dieser Debatte virulent und wer benutzt sie warum?

Unterbelichtet bleibt vielfach die soziale Dimension der Prostitution. "Freiwilligkeit" ist in einer Gesellschaft großer sozialer Unterschiede und existentieller Nöte ein problematisches Konstrukt. Zugleich ist es unrealistisch zu hoffen, ein Verbot der "Sexarbeit" könne diese Probleme lösen. Auch Kinderarbeit kann nicht durch Verbote (allein) abgeschafft werden, sondern nur dann, wenn den Betroffenen andere Möglichkeiten zur Existenzsicherung angeboten werden. 

Mich interessiert in dieser Debatte, was Männer und Frauen zu erzählen und zu sagen haben, die ihren eigenen Körper zum Kauf anbieten oder angeboten haben. Mich interessiert eine Differenzierung der verschiedenen "Dienstleistungen"; ich könnte mir z.B. vorstellen, dass Leistungen, die am Körper des Kunden vollzogen werden, ganz anders zu beurteilen sind als solche, die am Körper des/der Anbieter_in vollzogen werden. Hierbei ist insbesondere die Penetration eines Körpers durch einen anderen oder mit Gegenständen  gegen Bezahlung aus meiner Sicht mit der Menschenwürde nicht vereinbar. Mich interessieren wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema, belastbare Zahlen statt ständig wiederholter Schätzungen. 

Gegenwärtig versuche ich, besser zu verstehen und denke nach. Ich kann daher weder die Kampagne von Alice Schwarzer unterstützen, noch bin ich mit jenen einverstanden, die "Sexarbeit" zu einer Dienstleistung wie andere auch erklären, denn ich halte die Sexualität für einen Kern der menschlichen Identität, der nicht von der Person abzutrennen ist, ohne diese in ihrer Würde zu beschädigen. (Das gilt dann - übrigens - für Freier und Prostituierte.)

Weitere Links zum Thema:

Hier auf "Gleisbauarbeiten":


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