Donnerstag, 18. Februar 2010

ALL DIE JAHRE (1989 - 2009)

LULA HENNE - Kollektive


DIE BAND "LULA HENNE"
In der Sylvesternacht von 1989 auf 1990 stürzten sie schwarzrotgoldenen Wackelpudding vom Balkon. Noch einmal waren in diesem lauen Winter Weihnachtsbäume aus den Einkaufszentren geklaut worden. Anderntags wurde Georg von einigen sehnsüchtig erwartet, während er auf ein Taxi wartete, das nie kam. Im Imbiss am Zentralfriedhof spiegelten sich ihre grünlichen Gesichter im schmierigen Kühlschrank hinter dem Tresen. „The Fall“ rührten bis zur Bewegungslosigkeit. Es ging das Gerücht, das Volksbildungsheim werde abgerissen. Es wurde aber nur ein Multiplex-Kino daraus. Jahre später.

IM DUNKLEN WALD
Nostalgie ist Scheiße. Schuhkartons voller Fotos, weggeschlossen, immer nur zu den Umzügen hervorgeholt, weitergeschleppt. Aber dann kommen sie doch: Erinnerungen an weiße Tanzschuhe im meterhohen Schwarzwald-Schnee; Jesus am Kruzifix geschmückt mit einem Cannabiszweig; Fischstäbchen im toten Ofen; Wasserfälle, die zu Eiszapfen gefrieren; Basel. Art Basel; Norweger-Pullover; Junta. Junta; Peace. Piece; Richter Roy Bean und Lily Langtry. Bis zu Heideggers Hütte schafften wir´s nie. IRRE.

DEUTSCHLAND
Es war offensichtlich, dass LULA HENNE nicht bleiben konnte, als die Bundesrepublik starb und Deutschland entstand. Alle Hasslisten waren vergebens. Stattdessen schmiedete  man Heiratspläne, Blutkonserven wurden angelegt, eine letzte Splatter-Film-Party (Kopfschmerz-Hansa-Pils in der Badewanne) gefeiert. Alles befand sich in Auflösung. Betrunkene Küsse im Flur.

AUSGESTOPFT
„Bier zahlt die Freundin“ – doch die Zahlungen blieben aus. Abschiede, die nicht erklärt wurden, waren für immer. „Man sieht sich.“ Nicht mehr. Bloß einmal noch kamen sie, um der künftigen Ehefrau die Fresse zu polieren: "Glück ist eine junge Braut, der man in die Fresse haut." Dann stellten sie ihr ein blindes Huhn, ausgestopft, vor die Haustür. Zwanzig Jahre bewahrte sie es auf, staubig, hässlich, gehasst, geliebt.

ZUHAUSE
Zwei trennten sich. Und zwei gaben sich Versprechen für die Ewigkeit. Unbedingte kantianische Pflichten. Bedingte auch. Weil wir es wollen. Alles schien vorbei: Die Ankunft im Büroalltag, Krankentransporte, Hauskredite, Taufen, neue Lieben, alte Kriege, zuletzt: Establishment, Designer-Kostüme, Gourmet-Rezepte.

WIR SIND DAS VOLK (nicht mehr)
LULA ließ die Massen allein mit ihrem Untergang im Neuen Deutschland. Erich starb. Oskar kam. Keiner nahm die VOLKER an die Hand. Alles schien verloren. Keine Hoffnungen mehr, nur Abzahlungsraten. Man sorgte sich, liebte den Herrn und versorgte die Kinder.

NEUE MEDIEN
Freut Euch nicht zu früh. LULA erwacht nicht mehr. Doch jene Vision eines neuen Mediums, die in ihren Liedern vor 1989 aufblitzte, könnte sich verwirklichen auf unerahnte Weise durch Bloggen und Twittern. Dass sich etwas zu Gehör und zwischen die Zeilen drängt, das nicht gefiltert wäre durch Macht und Genie, Wahn und Mann.

GENDER-POLITICS
1989 wusste LULA nicht um ihr Geschlecht. Sie, die keine Frau, sondern viele war, gab sich unbewusst einem männlichen Blick hin. Liebe. Lüge. „Ich liebe dich auch.“ Aber ICH ist nicht da. Spricht nicht. Hält sich in der Tiefe verborgen. Liebt noch nicht. Liebt nicht mehr. NICHT-ICH liebt Dich.

NEUE LIEDER ?
Wie das klingen wird, wenn Lula eine Frau ist, das weiß man nicht. All die Stimmen, die sie liebte und die sie liebten, werden nicht wieder klingen. Jetzt muss, was LULA HENNE nicht mehr ist, neue Lieder singen. ICH? Nicht. Sie.

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