Dienstag, 27. Juli 2010

Reisejournal (12): Mit Sherlock, aber ohne Rosamunde



1. Sherlock Holmes gekidnapped

Stephen Moffat hat sich den Meisterdetektiv und seinen Doktor Watson unter den Nagel gerissen. Moffat transferiert die Kultfiguren des 19. Jahrhunderts ins 21. Jahrhundert, ein London ohne Nebel und Kutschen, Holmes raucht keine Pfeife mehr, sondern hat Nikotinpflaster auf den Arm geklebt, Dr. Watson nennt er schlicht „John“ und Mrs. Hudson, die Landlady, ruft Holmes „Lock“.

Klingt das schrecklich? Nun, das ist es nicht, sondern eine gelungene Mini-Serie der BBC, deren erste Folge wir am Sonntag sahen. Die Methode der Deduktion, deren Überlegenheit Conan Doyles mit Holmes erweisen wollte, wird auch hier erstaunlich treffsicher angewandt, doch sind es jetzt die Kratzspuren an Watsons Mobile, die Holmes alles über dessen Familienverhältnisse sagen. Der moderne Holmes verwendet – wie es nicht anders zu erwarten war - GPS-Tracking und Internet, um seine Ermittlungen voranzutreiben.

Benedict Cumberbatch in der Titelrolle ist großartig. Als ich ihn zum ersten Mal auf einem Plakat sah, das die Serie ankündigte, dachte ich: „Ein Junge als Holmes, wie soll das gehen?“ Doch im Film wirkt Cumberbatch keineswegs jugendlich, sondern hat genau die richtige Schärfe, Unnahbarkeit, Energie und den Mangel an Benehmen und Soziabilität, die die Figur ausmachen. Stets bewegt er sich an der Grenze zur Grausamkeit oder zumindest zum Genuss an der Grausamkeit anderer. Auch Martin Freeman als Watson überzeugt, viel mehr als die naiven Idioten, die in zahlreichen Vorgängeradaptionen Holmes zur Seite gestellt wurden. Dieser Watson, ein Veteran aus dem Afghanistan-Krieg, wird sein Kriegstrauma nicht los, wie seine Therapeutin meint, indem er sich Stress vom Hals hält. Holmes erkennt dagegen schnell: Watson braucht die Gefahr, wie er, Holmes,  das Verbrechen. Daher ist Watson sein idealer Partner. In dieser ersten Folge wird der Zuschauer Zeuge des Beginns einer wunderbaren Freundschaft: „a  mixture of frustration, admiration and genuine affection.“ (Sam Wollaston in „The Guardian“ vom 26.07.2010)

Man will die beiden wiedersehen. Obgleich die eigentliche Krimistory logisch nicht ganz überzeugen kann, haben wir hier eine Fernsehproduktion von einer Qualität gesehen, die in Deutschland zur Zeit selten erreicht wird. Statt weiterhin das Beitragsgeld der GEZ-Kunden in teure Sportübertragungen zu stecken, sollten ARD oder ZDF diese Mini-Serie unbedingt ankaufen, auch als Beispiel dafür, was im öffentlich-rechtlichen Fernsehen möglich ist.

2. Cornwall ohne Rosamunde

- Das Gegenbeispiel sind die grauenhaften Rosamunde Pilcher-Verfilmungen, die regelmäßig Sonntagsabends im ZDF gezeigt werden. „Du fährst nach Cornwall, oh - Rosamunde Pilcher“, das hörte ich im Kollegenkreis dauernd. Es ist schockierend, wie viele erwachsene Menschen diese Schmonzetten schauen. Fast alle fügen immer hinzu: „Naja, wegen der schönen Landschaft...“ Also, ich kann keinen dieser Filme länger als 5 Minuten ertragen. Gegen diese Figurenzeichnung wirkt die Courths-Maler geradezu differenziert. Man staunt jedes Mal, wenn einer dieser 19. Jahrhundert-Typen sein Mobilphone zückt oder sich in den schicken Sportwagen setzt.


Aber die Landschaft – ja, die ist hier so schön, wie die Kitschfilme es zeigen. Doch die Leute wohnen nicht alle in hochherrschaftlichen Landhäusern oder pittoresken Cottages: Es gibt Bungalows und heruntergekommene Lagerhallen; Newlyn ist der größte englische Fischereihafen und die Fischer leben in „Southern Comfort“ und anderen grauen Siedungen, wo ihre Frauen zwischen die Fenster über die Gasse die Wäsche hängen gerade so wie in Italien. Überhaupt ist hier alles ein wenig unordentlicher und lässiger, besonders bemerkt es der Deutsche an den „unorthodoxen“ sanitären Anlagen. (Die deutsche Obsession in Bezug auf alles, was mit Körperausscheidungen zu tun hat, ist ja hinlänglich bekannt. Peinlicher wird eigentlich nur noch in US-Amerika alles sterilisiert.)

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