Sonntag, 15. August 2010

GEBÄRMYTHEN: MUSEN, BLASEN, SCHLEIM UND DAS GEFÜHL




SELBSTGEBURT UND MUSENTOD


„Und auch hier ist von einer Geburt die Rede. Die Schöpfung nämlich gebiert in ihrer Vollendung den Schöpfer neu. Nicht seiner Weiblichkeit nach, in der sie empfangen wurde, sondern an seinem männlichen Element. Beseligt überholt er die Natur: denn dieses Dasein, das er zum ersten Mal aus der dunklen Tiefe des Mutterschoßes empfing, wird er nun einem helleren Reiche zu danken haben. Nicht wo er geboren wurde, ist seine Heimat, sondern er kommt zur Welt, wo seine Heimat ist. Er ist der männliche Erstgeborene des Werkes, das er einstmals empfangen hatte.“

Walter Benjamin: Denkbilder. Nach der Vollendung

So vollendet gebiert er sich, der männliche Schöpfer-Künstler. Nichts mit Schleim, Blasen und dem Gefühl: Selige Überholung der Herkunft aus dem dunklen Schmutzloch hinein in die Helligkeit des WERKES. Steht er dann vor diesem, oh Wunder, begegnet ihm nicht selten eine Frau, die Nicht-Mutter, die er sich schuf. Wie schön. So zart, so geschmeidig, so hingegossen. Seine. So bereit. Ihm. Doch stumm. Schaut sie ihn an. Die Statue. So nackt, wie er sie schuf. Lebt sie nicht. Erschaudert nicht unter seinen Händen. Erwidert nicht den Kuss, den er auf ihre kalten Lippen drückt. Die, er rüttelt an ihren Schultern, die soll LEBEN. Haucht er ihr ein. Pygmalion. Vergebens. Lebte sie, schwängerte er sie. Schmutzige Geburten. Schleim, Blut und Schreie. Eine Neue:  A statue (The Go-Betweens).

Es geht auch anders. Man(n) kann ihr unter den Rock schauen. (Wenn man ihr vorher einen anzieht.) In der Erwartung freilich, eine Frau zu sehen. Und ihr Geschlecht.  Keine glatte Göttin. Eine die zurückschaut, vielleicht hinunter. Und lebt. „Boys peeping at nature“ heißt ein Subskriptionsticket für die erste Serie von „modern moral subjects“, die William Hogarth 1730 publizierte: „A Harlot´s  Progress“.



Den Titel des Tickets habe ich für den ersten Beitrag einer Serie unter dem Titel „Körper-Sprache“, die ich als Gastbeiträgerin  Michael Perkampus´ Webseite „Veranda“ schreibe, geklaut und ergänzt. Hier:


21 Jahre, nach der Erstveröffentlichung von „A Harlot´s Progress“ setzte Hogarth das Blatt erneut als Ticket zur Subskription ein. Er wollte sich jetzt als „ernsthafter“ Historienmaler etablieren. Dafür musste sich die Muse wandeln. Statt modischem Kopfputz erhält sie ein antikisierendes Tuch um den Kopf. Der kleine, freche Satyr, der ihr den Rock lupfte, ist verschwunden. Der Putto neben ihr hält eine akademische Porträtstudie vor. Kein Abbild einer realen, zeitgenössischen Straßenschönheit bildet mehr die Künstler, sondern eine versteinerte, klassizistische Statue. Am weiblichen Körper wird die Revision der Kunstauffassung vollzogen: Die lebendige, flirtfreudige Frau, die er auf den Straßen Londons mit Blicken verfolgt hatte, ihre nicht idealisierte Schönheit, ihre offene und selbstbewusst eingesetzte Erotik, ihre gegenwärtige Handlungsfähigkeit verschwinden zugunsten des erstarrten Schönheitsideals einer WERKE schöpfenden Kunst.



Es gibt Schöpfer-Künstler, die WERKE gebären, indem sie sich über den Körper der Frau ausdrücken. Frauen, notwendig, bleiben in deren Werk außen vor. Sie werden "draußen" gebraucht als Verehrerinnen des auratischen Künstlers (und als Mutter, Haushälterin, Bettgespielin). Es gibt andere, in deren Texten und Bildern eine Frau erscheint, mit der sich ein künstlerisches ICH auseinandersetzt. Manchmal, wenn es schön wird, wird es ein schöner Tanz.

Und dann gibt es natürlich auch noch "wirkliche" Frauen. Wie die produzieren, ist ein anderes Thema. GEBÄREN werden sie jedenfalls WERKE nicht. Aus ihrem dunklen Schoß kommt ein anderes Leben.


4 Kommentare:

  1. Es gibt Schöpfer-Künstler, die WERKE gebären, indem sie sich über den Körper der Frau ausdrücken.


    Nennen Sie mal einen...Har Har Har, nein sagen sie lieber nichts..

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  2. Merkwürdig: diese Leinwand in der zweiten Version, auf der ein ganz anderes Antlitz abgebildet ist: und das auch noch so schablonisiert, dass es von einem Anfänger stammen könnte. Sind Sie sicher, dass da keine versteckte Ironie im Spiel ist? (Ich kenn' mich nicht gut genug aus, das beurteilen zu können.)
    Die Frau wird mit gesenktem Blick in die Passivität verbannt: keine Interaktion mit dem Betrachter mehr. Die neun Brüstchen, vormals so vorwitzig, wirken ohne den offensiven Blick fast peinlich.

    Über Ihre Unterscheidungen zum männlichen und weiblichen WERK will ich nochmal gesondert nachdenken.

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  3. Ich weiß nicht, warum Sie Har, har, har machen wie ein Panzerknacker. Ich sag´auch lieber nicht nichts. Weil es vielleicht zur Klärung beiträgt, nenne ich Ihnen drei Autoren, die ich sehr schätze:

    Flaubert - Madame Bovary
    Fontane - Effi Briest
    Tolstoi - Anna Karenina

    Es geht mir nicht darum, die WERKE, die nach dem o.g. Produktionsmodus entstehen, "herabzuwürdigen". (Das wäre angesichts von deren Qualität sogar lächerlich.) Ich habe nur gelernt, sie anders zu lesen. Als Ausdruck eines männlichen Bewusstseins, das sich über die Darstellung eines "Frauenschicksals" ausdrückt.

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  4. @Phyllis Sie haben das sehr gut beobachtet: Der Blickkontakt entfällt. Die stilisierte Göttin gibt nichts zurück. Ihre Nacktheit wird ´peinlich´. Alles Vorwitzige ist gebannt. Zum Ironie-Verdacht: Hogarth veröffentlicht diese veränderte Fassung in einer Phase der Resignation. Seine Auktion der "Marriage a la Mode"-Gemälde war gescheitert. Er musste einsehen, dass er nicht als "ernsthafter" Maler wahrgenommen wurde. Er nahm den "Golden Head" von der Eingangstür seines Landes. Er griff ein früheres Bildmotiv auf "Hogarth painting the comic muse" und setzte an die Stelle des Malers den Zerstörer Zeit. Die Frauen in Hogarth´Gemälden und Stichen waren immer konkrete, sinnliche Frauen, wenn er sie als Göttinnen darstellte, dann demystifizierte er sie. In dieser Revision des Tickets dreht er das geradezu um. "Die Frau" wird zur "reinen" Allegorie. Ja, ich glaube, Sie haben Recht. Darin steckt auch Ironie. In seiner Situation jedoch scheint es mir vor allem Selbstironie. Sein Projekt erlebte er als gescheitert.

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