Freitag, 22. Oktober 2010

PUNK PYGMALION (2)

Fortsetzung des Briefromans PUNK PYGMALION
Folge 1: Hier.

Gestern schickte mir Emmi den zweiten Brief, den Ansgar ihr 1983 aus Kopenhagen schrieb. Emmi schreibt in der e-mail dazu: „Als ich von Berlin aus nach Hause fuhr, war ich völlig verändert. Besessen von Ansgar. Wo ich stand, saß, lag, ich dachte an ihn. Ich hatte ihm gesagt, dass alles sinnlos sei. Ich war 17. Ich fuhr heim in mein Kinderzimmer. Zwischen uns hunderte von Kilometern. Seine Grobheit. Die Art, wie er mich runterputze und als kleines Naivchen hinstellte. Aber ich fühlte seine Hände überall an meinem Körper, wenn ich die Augen schloss. Ich schrieb ihm. Ich hoffte, er würde nicht antworten. Das stimmt natürlich nicht. Ich wartete jeden Tag auf seine Briefe.“



                                                                                 September 1983

Hey Emmi,

ich habe Deinen Brief heute bekommen. Danke.

Zuerst zu Bowie (weil du fragst): Ich habe seine neue LP gestern gekauft. Er hatte drei Jahre keine mehr herausgebracht. Stattdessen drehte er ein paar Filme (die kannst du vielleicht demnächst sehen)und spielte in einem Brecht-Stück. Außerdem hatte er die zwei Disco-Singles. Der Hit war natürlich: „Let´s dance“. Ein Unfall. Auch das Cover der neuen LP macht mich krank. Ich höre sie gerade und es ist DISCO. Aber nicht ganz, trotz allem steckt Bowies Energie und sein spezieller Sound drin. Er schreit nicht rum und ist wütend wie auf „Scary monsters“. (Das ist gut!) Sein Comeback war ein Hit, aber er zahlt auch den Preis dafür. Der Text ist absolut uninteressant: disco lyrics eben. Aber du musst genau hinhören: Er tarnt sich. Er hat Box-Handschuhe an. Er wird wieder kämpfen. Rebellion und Anarchy: LET´S DANCE. Also, ich rate dir: Geh in die Disco mit jemandem, den du liebst und TANZE! (mit mir natürlich!!!).

Ich sag es Dir nochmal: Ich werde diese Ausbildung hier hinschmeißen. Ich will Bildhauer sein. Und ich hasse jeden Tag hier an der Uni. Es fühlt sich an, als ob ich gar nicht richtig lebe. Ich wollte nie Wirtschaft studieren. Der Kompromiss mit meinen Eltern: Studium und Kopenhagen. Aber es funktioniert nicht, Emmi. Ich kann das nicht durchhalten. Nur noch bis August ´84, sagt mein Vater. Dann wirst du FREI sein. Aber wozu? Er stellt sich vor, dass ich dann in einem Unternehmen anheuere und in einem Anzug im Büro sitze. Ich bin ein Mensch, sage ich. Ich fühle mich von dir nicht wie ein Mensch behandelt. Aber das versteht er nicht.

Ich weiß, den ganzen Scheiß habe ich Dir schon in Berlin erzählt, wieder und wieder. Du musst es über haben. Aber ich hoffe wirklich, dass dieses Studium nicht meine Fähigkeit überhaupt zu fühlen, zerstört. Ich will lieben, ein Mädchen lieben wie dich Emmi, wirklich lieben, dich im nächsten Frühjahr sehen und mir alles nehmen, dir alles geben, Emmi. Ich bin voller Energie und sie ist völlig vergeudet hier. Ich weiß nicht, wie ich sie nutzen soll. Ich denke an Dich. Ich will das versuchen, aber ich fürchte mich auch vor meinen möglichen Taten. Ich könnte alles liegen und stehen lassen und zu dir kommen und dich verstören. Ich weiß, das willst du nicht. Aber ich fühle mich wie ein Kind. Ich will, dass du mich in die Arme nimmst wie eine Mutter, so dass ich mich warm und geborgen fühle, mich lehrst zu gehen, zu sprechen, auf meine Finger pustest, wenn ich sie mir verbrannt habe. Ich weiß, du kannst das Emmi, du bist jung, aber du bist so stark. Ich habe das gesehen. In Berlin. 

Ich möchte mit jemandem zusammen ziehen, um Geld zu sparen und auch um mehr Gesellschaft zu haben. Das täte mir gut. Ich grübele sonst dauernd über mein Studium und dass ich es lassen will und zu dir will und... Ich wünschte ich lebte in einer Kommune. Wir lebten in einer Kommune in einem großen Haus mit Garten und ich hätte Platz, meine Skulpturen zu machen.Du schreibst mir, dass du im nächsten Jahr entscheiden wirst, was du nach der Schule machen willst. HÖRST DU MICH, Emmi: Studier nicht in deiner Heimatstadt. Geh fort. Zieh aus. Leb dein eigenes Leben. Du kannst das. Du kannst herkommen und bei mir sein und wir können es versuchen, unsere Sachen zu machen und trotzdem ein Paar sein. 

Da ist was von PUNK und REBELLION in dir, Emmi, ich habe das gesehen. Bring es heraus, Emmi!  Kannst du dir nicht vorstellen von Tag zu Tag zu leben, einfach frei zu sein? Du bis jung, du bist eine Frau. Ich will dir was von der Energie geben, die ich habe, damit du durchdrehst und es wahrmachst und herausschreist: ICH WILL LEBEN.

SCHREIB BALD,Emmi.

Ansgar

PS:

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