Der Vertrag liegt vor mir auf dem Tisch. Auch Mastermind wird, wenn wir dieses Dokument unterschreiben, im kommenden Sommer nach Übersee gehen. Sein Bruder ging im letzten Jahr. Das stürzte mich in eine tiefe Krise. Dabei hatte ich den 15jährigen dazu ermutigt. Als wir uns jedoch verabschiedeten in der Jugendherberge am Main, von der aus die Gruppe direkt zum Flughafen fuhr, da drehte ich mich nach einen kurzen Umarmung um und rannte hinaus, weil ich nicht wollte, dass er meine Tränen sah. Er folgte mir, holte mich ein; wir hielten uns umschlungen, weinend. Danach lief ich zwei Stunden durch die Stadt, ziellos, auf dem Kopfhörer des MP3-Players lauteste Punk-Musik. Betäubung. Ich kaufte den Mac. Installierte Skype. Schuf mir einen Facebook-Account. Während des 22stündigen Fluges checkte ich jede Stunde den Flight status. Als seine e-mail aus Singapore eintraf, gab ich mich cool „Super. Guten Weiterflug. Freu mich für dich.“ Hier in der Wohnung tigerte ich die Wände entlang. Sonntags wartete ich wie ein Teenager auf unsere Skype-Verabredungen. Facebook half. Dort posteten wir uns Bilder und Songs. Ich lernte die social communities im Netz kennen. Legte einen Blog an, um seinen Aufenthalt Down under zu dokumentieren für Familie und Freunde. In Wirklichkeit fühlte ich mich verlassen. Ich verstand: Er wird diesmal noch zurückkommen. Beim nächsten Mal geht er für immer. Ich habe gar keine Erfahrung mit dem Verlassenwerden. Mit Liebeskummer. Das lernte ich jetzt. Schlaflose Nächte, in denen ich im Netz unterwegs war. So begann das. Erst nach seiner Rückkehr fing ich an all das Angestaute in Texte zu fassen. Der „Melusine featuring Armgard“-Blog entstand. Aus der Begegnung mit dem See im Sommer 2009 (davon will ich ein andermal erzählen).
Nun also beginnen die Vorbereitungen für die Abreise des Jüngeren. Manche meinen, beim zweiten Kind sei alles leichter. Man habe ja jetzt Erfahrung. Routine. Das stimmt nur bedingt. Die Liebe und was sie fordert, ist immer anders. Wonach man sich sehnt bei dem einen, das fehlt einem am anderen nicht. Doch ist es bei diesem etwas, woran man nie gedacht hätte, hätte man nur den ersten gekannt. Als der Ältere fort war, vermisste ich die langen Gespräche in den Nächten, die Streitereien über Politik, wie er mich unvermittelt umarmt manchmal und in die Höhe hebt, Spaziergänge über Flohmärkte. Was werde ich vermissen, wenn der Jüngere geht? Die Kämpfe um den Platz im Bad, die Kleidungseinkäufe, bei denen er mir mit verschmitztem Lächeln immer mehr abluchst als geplant war, sein „Mama. Mama“, wenn er die Tür aufstößt, um mir etwas zu erzählen, immer mitten drin anfangend, so dass ich oft nur langsam begreife, worum es geht, sein nächtliches Gepolter auf der Treppe.
Nun also beginnen die Vorbereitungen für die Abreise des Jüngeren. Manche meinen, beim zweiten Kind sei alles leichter. Man habe ja jetzt Erfahrung. Routine. Das stimmt nur bedingt. Die Liebe und was sie fordert, ist immer anders. Wonach man sich sehnt bei dem einen, das fehlt einem am anderen nicht. Doch ist es bei diesem etwas, woran man nie gedacht hätte, hätte man nur den ersten gekannt. Als der Ältere fort war, vermisste ich die langen Gespräche in den Nächten, die Streitereien über Politik, wie er mich unvermittelt umarmt manchmal und in die Höhe hebt, Spaziergänge über Flohmärkte. Was werde ich vermissen, wenn der Jüngere geht? Die Kämpfe um den Platz im Bad, die Kleidungseinkäufe, bei denen er mir mit verschmitztem Lächeln immer mehr abluchst als geplant war, sein „Mama. Mama“, wenn er die Tür aufstößt, um mir etwas zu erzählen, immer mitten drin anfangend, so dass ich oft nur langsam begreife, worum es geht, sein nächtliches Gepolter auf der Treppe.
Liebeskummer. Ich werde lernen, wie es ist verlassen zu werden. Das steht fest. Der Unterschied ist: Ich weiß es schon vorher, lange vorher, dass ich verlassen werde. Ich kann mich vorbereiten.
*gänsehaut*
AntwortenLöschenToll geschrieben und ich konnte regelrecht mitfühlen. Vielleicht aber auch, weil ich weiss, wie es ist ein Kind loszulassen. Wir werden uns nie darauf vorbereiten können, denn egal wie oft wir verlassen werden und egal wie oft wir Abschied nehmen müssen, es ist immer anders. Das einzigste was wir lernen von Zeit zu Zeit ist, auf alles zu vertrauen, was uns begegnet und was mit dem Ganzen auf uns zukommen mag. Da wir wissen, das alles geschieht und einfach nur ist.
AntwortenLöschenLg zu dir.
Hmm... vorbereiten?... das kann man sich einreden, ja, aber wenn der Augenblick dann kommt, ist er trotzdem da. Und man weiß es. Die ganze Zeit. Die Kinder sind nicht aus der Welt, sie beginnen nur, ihren eigenen Weg zu gehen. Dank Skype ist das Gefühl der Entfernung nicht so nah... man kann sie jederzeit erreichen. Der Abschied schmerzt, ja. Aber er stellt später auch wieder eigenen Raum zur Verfügung, metaphorisch mal ausgedrückt: "Ich wußte garnicht mehr wie das ist... ein Badezimmer ganz für mich allein", sagte meine Sis vor kurzem. Ich selbst vermisste unter anderem das nächtliche Geschirrklappern in der Küche beim 3-Uhr-morgens-Spagetti-kochen, und die über Nacht ausgetrunkenen Wasserflaschen, die leeren Teller, die ich dann immer aus ihrem Zimmer rausholte, die Bücherstapel ließ ich liegen. Die Gespräche an sich, sie bleiben... es ist schön zusehen und bemerken zu können, wie ihr eigener Weg, somit auch ihr Blickwinkel auf die Dinge, sich ändert. Um Rat fragen sie trotzdem immer noch, auch nach Jahren. Ach was red ich.... Sie wissen, wie sich das anfühlt, ich weiß es auch. Und heute ist es für mich ein gutes Gefühl... zu wissen, dass sie ihren Weg gefunden hat.
AntwortenLöschenRückblickend, liebe Syra, hat der Auslandsaufenthalt meines älteren Sohnes mir sehr geholfen. Bei der Rückkehr trat aus dem Gate ein junger Mann. Von dem ich jetzt weiß, dass er seinen eigenen Weg finden wird (wie Ihre Tochter), aber auch, dass er sich seiner Mutter verbunden fühlt, ohne gebunden zu sein. Das ist schön. Und gibt mir, nach der Phase der Unsicherheit (und ja: auch Verzweiflung, zwischendurch) neue Stärke, auch neue Luft, selbst was eigenes zu machen.
AntwortenLöschenTrotzdem: Ich werde es jetzt ein zweites Mal - anders - durchleben. Und es wird wieder schwer. Denn Emma hat recht: Man kann sich nicht daran gewöhnen oder wirklich vorbereiten.