Freitag, 17. Dezember 2010

PUNK PYGMALION (7): ÜBERWÄLTIGUNG - VERGEWALTIGUNG

Fortsetzung des Briefromans "PUNK PYGMALION"






Was bisher geschah:

Punk Pygmalion erzählt die Liebesgeschichte zwischen Emmi und Ansgar, die im Sommer 1983 in Berlin auf vermutliche raue Weise begann. Emmi war damals 17, Ansgar 22. Eine leidenschaftliche Brief-Romanze entwickelte sich aus der Begegnung, die - aus Gründen, die wir (noch?) nicht kennen - abgebrochen wurde. Im Oktober 2010 berichtete Emmi der Betreiberin dieses Blogs, also mir, sie habe Ansgar wieder getroffen. Emmi schlug mir vor, die Briefe aus den 80er Jahren, die er ihr schrieb, im Blog unter dem Titel „Punk Pygmalion“ nach und nach zu veröffentlichen. Der erste erschien Mitte Oktober (hier:). Anfang Dezember 2010 traf Emmi nach vielen Jahren Ansgar wieder (hier:).

Seit Emmi sich wieder mit Ansgar eingelassen hat, lässt mir das keine Ruhe. Damals schon, vor mehr als einem Vierteljahrhundert, quälte mich der Gedanke, den einen Gedanken zu nennen schon übertrieben ist; es war eher ein mir selbst nur halb eingestandenes Gefühl der Mitscham gegenüber Emmis Leugnung eines Geschehens, dass ich nicht Vergewaltigung zu nennen wagte und doch im Grunde für eine hielt. Emmi hatte über das, was tatsächlich in Berlin geschehen war, nicht gesprochen, nur Andeutungen gemacht: dass er roh war und heftig, dass er sie überraschte und überwältigte. Sie sah mich nie an, wenn sie so was in Nebensätzen versteckte. Ich schloss aus ihrem Verhalten, ich solle mir selbst einen Reim darauf machen. Das aber konnte ich nicht. Was, wenn es so war, wenn er Gewalt gebraucht hatte, was hinderte sie daran, ihn anzuzeigen? Schlimmer noch: was ließ sie an dieser Verbindung festhalten, wieso schrieb sie ihm, warum tat sie, was er von ihr forderte? Ich verstand es nicht, aber es machte mich zornig und unglücklich. Ich ließ Ansgar zu einem Tabu zwischen uns werden: Emmi erzählte zu Beginn noch von ihm, doch ich wollte nichts über ihm wissen und wechselte immer schnell das Thema. Sie umgekehrt hakte nicht nach, um die Gründe meines vorgetäuschten Desinteresses zu erfahren. Sie sprach später nie mehr über die Tage in Berlin, sondern mühte sich, den Anfang der Geschichte in ein romantisch-verschwommenes Licht zu rücken.

In den vergangenen Tagen las ich in verschiedenen Medien von „sex by surprise“ im Zusammenhang mit den Vergewaltigungsvorwürfen gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange. So umschrieben halten Sex ohne Einverständnis viele Kommentatoren offenbar nicht für eine Vergewaltigung. Keine Ahnung, was in Schweden zwischen Assange und den beiden Frauen, die ihn beschuldigen, wirklich geschah. Jedoch erinnert mich die Berichterstattung unaufhörlich an die zwischen mir und Emmi ungeklärten Fragen. Ansgars Briefe, die ich damals nicht kannte, haben mein Unbehagen noch verstärkt, spricht aus ihnen doch Schuldbewusstsein, finde ich. Doch wie soll ich Emmi gegenüber das Thema zur Sprache bringen? Schon meine mangelnde Begeisterung über das wieder aufgenommene Liebesverhältnis mit Ansgar hatte sie gekränkt. Doch lässt es mir einfach keinen Frieden.

Emmi, liest du das? Du bedeutest mir viel. Doch seit so langer Zeit schleppe ich mit mir herum, dass ich dein Handeln in einer so entscheidenden Frage nicht verstehe, ja mehr noch: missbillige. Warum ließest du zu, dass er dich überwältigte? Was hindert dich daran, ihn dafür bezahlen zu lassen? Was, Emmi, was hat er getan, das dich so unterwürfig macht?

Ich weiß, liebe Emmi, dass du dies Blog liest. Bitte antworte. Du kannst es über die Kommentarfunktion tun oder mir eine Mail schicken. Ich werde deine Antwort nur einstellen, wenn es dir recht ist. Aber ich glaube, wir sind es unserer Freundschaft schuldig, in dieser Sache ehrlicher zu werden. Wenn du mit Ansgar zusammen bleibst, werde ich ihn auch irgendwann wieder treffen. Wie soll ich ihm gegenüber treten, wenn ich glaube, dass er ein Vergewaltiger ist? Wie soll ich dir gegenüber treten, Emmi, wenn ich glaube, dass du mit einem Vergewaltiger zusammen bist? Ich schreibe dir öffentlich, weil diese Fragen für mich so drängend wurden, indem wir die Briefe ins Netz stellten und ich bilde mir ein, dass du, deren Idee das war, darauf hinauswolltest. Ich glaube, Emmi, du wolltest Zeugen vor jener Wiederbegegnung mit Ansgar. Nein, so stimmt es nicht, du wolltest Komplizen. Aber ich will dir hierin keine Komplizin sein, Emmi. Ich will dich verstehen. Gib mir eine Chance dazu.

M.B.

2 Kommentare:

  1. Dieser Briefroman mit dem absolut passenden Titel gefällt mir. Ich vermute, diese revidierten Briefe gibt es in irgendeiner Form wirklich. Wenn nicht, bewundere ich die Phantasie der Autorin. Mir ist "Der um die Seele Sorge trägt" (Kare Emmi,) sympathisch, aber ich bin ja auch ein Mann und die Gefahr, sich unbeliebt zu machen, muss man unbedingt eingehen. Das Charakteristische der LIEBE jener Jugendzeit scheint mir zu sein, ein Abbild seiner selbst im geliebten Objekt zu sehen. Das entspräche auch dem Bildhauermythos bei Ovid etc. Die Bedingungslosigkeit, mit der man(n) das angebetete Weibliche auf einen Sockel stellt, kenne ich aus eigener Erfahrung. Die musikalischen Ausflüge und Kommentierungen finde ich sehr authentisch und nachvollziehbar. Sie entsprechen absolut der damaligen Musikszene (Bowie und Nico). Auf die Gefahr hin, dass man mich mit Steinen bewirft, noch einige Bemerkungen zum Thema Vergewaltigung. Alles kulminierte doch damals in dem bekannten Satz "Alle Männer sind Vergewaltiger!" Darüber kann man lachen, aber auch weinen, denn er enthält in seiner apodiktischen Übertreibung eine empfundene Wahrheit. Jemand nur so lieben zu können, wie man ihn selbst gern hätte, ob nun körperlich oder symbolisch, ist immer eine Form von Vergewaltigung. Auch Frauen versuchen ja oft, Männer zu erziehen und umgekehrt. Gefühle und Empfindungen aber sind ein unzuverlässiger Ratgeber, zumindest als juristischer Maßstab. Normalerweise lieben Vergewaltiger ihre Opfer vorher und hinterher nicht. Nur explizite körperliche Gewalt gegen den erklärten Willen würde ich als Vergewaltigung bezeichnen, nicht zum Beispiel spielerisch ausgelebten "rough sex". Um was es sich bei Ansgar und Emmi gehandelt hat, sollten nur diese beiden fiktiven Figuren allein entscheiden. Vermutlich will die Autorin uns aber mit ihrer Sorge nur ein wenig an der Nase herumführen und das macht sie wie immer sehr geschickt.

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  2. Ich freue mich, dass Ihnen dieser Versuch gefällt. Sehr.
    "Die Autorin" allerdings ist weit davon entfernt jemand anderen als sich selbst "an der Nase herumzuführen". Wie (leider?) immer ist das kompliziert: Wer spricht? Was ist authentisch? Emmi und Ansgar jedenfalls sind fiktive Figuren. Die Herausgeberin der Briefe, wiewohl sie sich Namen und Blog von Melusine Barby aka J.S. Piveckova geliehen hat (mit deren Einverständnis natürlich), muss auch als fiktive Gestalt gelesen werden. Wer schreibt? ICH. Sie. Die. Ansgar, ausgerechnet, hat zuerst geantwortet. Obgleich (oder gerade weil?) er fiktiv ist, weiß ICH nicht, wie ich damit umgehen soll (als Herausgeberin). Warten bis auch Emmi schreibt? Das Thema Sexualität und Willensfreiheit, Begehren und Verdinglichung ist der, die schreibt, nah. Aber sie bedient sich nicht der Figuren, sondern diese sich ihrer. (Selbstverständlich ist auch das eine Spiegelung.)

    Ob es die Briefe oder ähnliche Briefe "wirklich" gibt? Es gab Geschehnisse im Leben mehrerer Menschen in den 80er Jahren. Musik. Kasetten. Amour fou. Ein Kasten voller Briefe. Von verschiedenen Absendern. In anderen Sprachen. Zeichnungen, deren Qualität mir heute erst bewusst wird. Intensität und abrupte Abbrüche. D i e Briefe gibt es nicht.

    Herzliche Grüße
    M.B.

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