Sonntag, 2. Januar 2011

DIE ANDERE MARIA (2): GELD UND LUST

William Hogarth: A Harlot´s Progress (Blatt 2)

Ob sie wohl die Beine breit machen musste, für den schmuddeligen Charteris, der schon geil im Türrahmen wartete, auf dem ersten Blatt, unsere kräftige Maria vom Lande? Sehr wahrscheinlich. Auch, dass ihr besonderer Wert für die Kupplerin Needham in der angenommenen Unschuld der Landpomeranze lag, ist anzunehmen. Die Jungfräulichkeit der Maria macht ihre Preis-Würdigkeit aus. Hier – wie für die Kirchen-„Väter“.  Der Geburtskanal der Frau unberührt vom anderen Mann, die Freude am Schock des überraschten und verstörten Mädchens, womöglich auch die Lust als Erster Schmerz zu verursachen und Blut fließen zu sehen, vor allem aber die Kontrolle über das sexuelle Begehren und die Reproduktionsfähigkeit der Frau – da kommen einige männliche Wahnvorstellungen zusammen, wie sie die biblischen Geschichten (und andere Ur-Mythen selbstverständlich) prägen.


Ich mag mir vorstellen, dass der Preis gezahlt wurde, aber der Geldgeber gleich von Anfang betrogen ward. (Wie auch die Kirchenväter sich betrogen über Maria, die Mutter, von der ER nie behauptete, sie sei Jungfrau gewesen). So wie sie da stand, verlegen wohl, aber nicht gebückt, sich ihres Körpers und seiner Kraft und Ausstrahlung bewusst – warum sollte sie sich nicht beglückt mit einem jungen Burschen im Heu gewälzt haben, dort wo sie herkam? Als wir sie wiedersehen jedenfalls, hat sie gelernt: Man kann – ja, Frau muss ihren Körper gegen Geld verkaufen. Da lohnt es sich darauf zu achten, den Preis möglichst hoch zu treiben. Das hat sie verstanden. Doch sie geht Risiko. Denn der Körper, den sie für den höchsten Preis zur Verfügung stellt, lässt sich nicht mit seidigen Roben, porzellanem Geschirr, exquisiten Früchten, zierlichen Rokoko-Tischchen und güldenen Geschmeiden befriedigen. Sie will mehr. Sie will Lust. Das Geld hat der eine Mann, die Fähigkeit sie zu belustigen der andere.

Hogarth zeigt uns Mary auf diesem zweiten Blatt bereits auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Sie hat es geschafft, sich als Mätresse eines reichen Mannes zu etablieren, der sie in einem luxuriös ausgestatteten Apartment untergebracht hat. Sie imitiert den Lebensstil der Aristokratin  und hält sich selbst einen Geliebten. Um von dessen Anwesenheit abzulenken, stößt sie ein Teetischchen um, damit der sich hinter dem alten Freier hinaus schleichen kann. Das ist ein Spiel, für das sie bezahlen wird, wie wir sehen werden. Die "Moral" der Zeit lässt nichts anderes zu: Eine Frau, die sich nimmt, was sie will und nicht nur, wodurch sie bezahlt wird; eine Frau, für die Sex nicht nur ein Geschäft ist, sondern die daran Spaß hat, verdient die Höchststrafe. Im Prinzip spielt es dabei keine Rolle, ob sie sich als Hure oder als Ehefrau prostituiert. Wenn sie mehr und anderes will als Status und Geld, ist sie verloren.

Hogarth setzt den Werdegang Marias wiederum zu biblischer Ikonographie in Bezug. Im Hintergrund an der Wand sehen wir ein Gemälde, das Jona zeigt, der mit Gott hadert  und ein anderes, auf dem David vor der Bundeslade tanzt. Diese Gemälde kommentieren  das Geschehen im Vordergrund.  


Rembrandt: Jona vor den Mauern von Ninive



Jona hadert mit Gott, weil dieser das lüsterne Leben der Menschen in Ninive nicht hart genug bestraft und David schwingt sich durch die  Überführung der Bundeslade nach Jerusalem zum religiösen und weltlichen Herrscher auf, jedoch nicht, indem er vom Thron herabschauend sich vom Volke feiern lässt, sondern indem er sich selbstvergessen dem Tanz hingibt. Die Kritik  Hogarth´ gilt gerade nicht der Lust, sondern der Lustfeindlichkeit, der Mäßigung und Selbstdisziplinierung  durch bürgerliche Ideologie.

Die Maria „Hackabout“, die Hogarth uns vorführt, ist kein reines Opfer. Sie scheitert auch nicht daran, dass es ihr an Moral mangelt. Sie scheitert – wie der Maler, der sie erfand - an und in einer Welt, in der Lust und Geld, Arbeit und Vergnügen streng von einander getrennt sind. Die einen, die Adligen, frönen der Lust und leben parasitär, die anderen, die Bürger, arbeiten und verkneifen sich ihr Begehren (zumindest wird das als Ideal propagiert). Die lustvolle Frau, die arbeitet, - Hogarth setzt sie auf diesem Bild nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal als Mittlerin zwischen beidem Welten ein. Er zeigt: Wohlleben und Lust, sich versorgen und sich gehen lassen, lassen sich in der bestehenden Ordnung nicht unkorrumpiert vereinen. Ein Stück weit verkauft man sich, gibt sich hin, wer mitspielen will, unterwirft sich den Spielregeln. Sie verdient kein Mitleid. Denn Mitleid ist immer Herablassung. Stattdessen - Mitscham: Dafür, dass Lust nur um den Preis der Verarmung oder Marginalisierung zu haben ist, dass wir teilhaben an einer Welt, die so eingerichtet ist.

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