Freitag, 29. April 2011

DAS PRINZESSINNEN-SYNDROM

„Komm schon. Jedes Mädchen will einmal Prinzessin sein.“, sagten sie und flochten mir die Farben des Union Jacks in die Zöpfe. Das ist dreißig Jahre her. Ich war Austauschschülerin in Colchester. Der Prince of Wales heiratete Diana Spencer. Was für ein verschüchtertes Mädchen, dachte ich, als ich die Zeitschriften durchblättere, die meine Austauschschwester sammelte. Dieser Augenaufschlag von unten, den übte ich vor dem Spiegel. „Ich glaube, sie ist wirklich verliebt in ihn“, behauptete E., nachdem sie das Verlobungsinterview der beiden gesehen hatte. „Und er?“. Sie zuckte die Achseln. Die reizende Diana, offenbar, wollte Prinzessin sein. „Willst du nicht auch einmal heiraten, so in Weiß, mit Schleier und Schleppe?“ „Nee“, sagte ich trotzig. Das meinte ich aber ganz ernst. (Und ich heiratete auch nie so – obwohl die Eltern es gern gesehen hätten und enttäuscht waren, als es soweit war.) Ich wollte nicht süß sein, nicht niedlich und verfügbar. Sie sollen mich klug finden und ernst nehmen, wünschte ich mir, als ich fünfzehn Jahre alt war. Wer immer mit "sie" gemeint war.

1997, als Prinzessin Diana unerwartet bei einem Autounglück ums Leben kam, promovierte ich gerade. Im Doktorandenkolloquium wurde ihr Tod überraschend zum Thema. „Ich habe darüber nachgedacht, etwas dazu zu schreiben.“, sagte I. Im ersten Moment fand ich das unbegreiflich. Was hatte Diana, diese etwas beschränkte Society-Lady, mit uns und unserer Arbeit zu tun?  Jemand, der sie bei einem offiziellen Dinner getroffen hatte, erzählte mir, sie sei „ein echter Langweiler“, „ein bisschen dumm halt“ . Vielleicht war sie auch aus der Sicht dieses Intellektuellen einfach nur ungebildet. Sie wusste offenbar wenig über „hohe“ Kunst, Literatur, Musik, über Geschichte und Politik. Oder sie scheute sich, darüber zu reden. Oder man hatte es ihr verboten. Wer kann das wissen? 

Cinderella tanzt mit Prinz Charming
Für Diana hatten sich die Märchen, deren Traumbilder in Mädchengehirne über Disney- und Barbie-Welten eingedrungen waren, scheinhaft verwirklicht. Doch die rosarote Seifenblase platzte. Der Prinz erlöste sie nicht aus der Lieblosigkeit einer dysfunktionalen Familie, sondern nutzte sie als Gebärmaschine. In Dianas Liebesgeschichte und an ihrer Reaktion darauf, der Selbstverletzung des eigenen Körpers durch Bulimie, konnten  Millionen Frauen offenbar sich selbst und das Scheitern ihrer eignen Träume wiedererkennen. Anders als Marilyn Monroe, zu der im Seminar einige Kommilitoninnen Parallelen herstellten, verkörperte Diana jedoch keinen Männer-Traum, sondern einen Frauen-Traum. Das Mädchen, das Charles heiratete, sehnte sich nach Erlösung aus dem Dornröschen-Schlaf durch den vollkommenen Märchenprinzen. Dass ausgerechnet dieser Traumprinz zu ihrem Alptraum wurde, entlarvte die Grundlagen dieses Traumgebildes. Es basiert darauf, sich als Frau verletzlich zu machen, um errettbar zu werden. Die großgewachsene Diana trainierte sich den Rehblick eines kleinen Mädchens an. Die Verniedlichung -Tüll und Spitzen, das geschürzte Mündchen, die zierliche Krone auf dem Köpfchen - müssen mit einem hohen Preis bezahlt werden: mit Selbsterniedrigung und Unterwerfung. Sie schmiss sich schließlich, so wird kolportiert, die Schlosstreppe hinunter. I. hatte Recht, begriff ich, es könnte sich lohnen, über Diana zu schreiben.

Du brauchst keinen, der die Dornenrosenhecke zerschneidet, lautet die Lehre. Zieh Handschuhe an und schneide selbst. Sei ihm ebenbürtig. Wenn er dich so nicht will, zieh Leine. Es gibt noch andere unter der Sonne, keine rettenden Prinzen, sondern feinfühlige Gentlemen.

Katherine Middleton stammt, hörte ich, aus einer Familie mit tradtionellem Matriarchat. Gut so. Sie sieht nicht aus, als hätte sie es nötig gerettet zu werden.

Good luck, Kate.


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Auf ihren großartigen Text zum Thema hat mich June hingewiesen: http://changes.twoday.net/stories/635511/ (siehe Kommentare). Der "Märchenprinz" ist eine verdammte Falle. Immer noch. Immer wieder. Auch (und gerade) für Männer. Entweder, weil sie dem Bild nicht entsprechen, und daher leer ausgehen, oder weil sie dem Bild oberflächlich entsprechen und aus den falschen Gründen gewählt (und letztlich als "Retter" missbraucht) werden. Sie kriegen ein Mädchen, keine Frau. Kein richtiger Mann kann sich das wünschen.

2 Kommentare:

  1. Ich hab da vor einer kleinen Ewigkeit mal was geschrieben, daran musste ich heute immer wieder denken:
    http://changes.twoday.net/stories/635511/

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  2. Danke für diesen Link. Toller Text, liebe June. Ich habe oben noch einen Zusatz geschrieben und dorthin verlinkt.

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