Freitag, 20. Mai 2011

PUNK PYGMALION (12): REAKTION OHNE PERSPEKTIVEN

Ich fühle mich missbraucht und betrogen. Dabei kann ich nicht einmal genau erklären, worin der Verrat besteht, den ich unterstelle. Als treulos ist mir nie die Beziehung des Geliebten zu einem anderen Menschen erschienen, sondern die Erfahrung, dass er nicht bei mir ist. Ob da ein One-Night-Stand war oder nicht, hat mich nicht interessiert. Etwas anderes ist es, wenn der geliebte Mensch in Denken und Fühlen um eine andere kreist, wenn du spürst, dass er sich vorstellt, wie es mit der wäre, wie die das sähe, ob sie darüber lachen könnte, wie die Tauben auffliegen, während sie auf deine Jacke scheißen. Da bedeutete es nichts, wenn er sagen könnte: „Da war doch nichts.“ und damit meinte, er habe der anderen seine Zunge nicht in den Hals gesteckt, sei nicht mit den Händen über ihre Hüften gefahren, habe sich nicht in sie versenkt. Das Gefühl verraten zu sein, hat in meiner Gefühlswelt mit Geschlechtsverkehr nichts zu tun. Daher kann der Schmerz über den Betrug durch die Freundin genauso heftig sein, wie jener über die Treulosigkeit eines Geliebten.

Emmi hat mir eine Mail geschrieben:

„Liebe M..

verzeih, dass ich dir schon wieder Sorgen mache. Bei keiner anderen Freundin lehne ich mich an wie bei dir, keiner versuche ich wie dir die Verantwortung für mein Leben aufzubürden. Dass ich dich bat, mir ein Happy End für die wieder erwachte Liebe zu Ansgar zu schreiben, bereue ich schon. Nicht nur, weil ich dich dadurch unter Druck setzte, sondern auch, weil ich dich noch einmal benutzte, um mich dem, was ich wohl immer schon ahnte, nicht zu stellen.

Ganz wie damals, als wir nach Paris fuhren. „Sie scheint Einfluss auf dich zu haben.“, schrieb Ansgar mir und wollte alles über dich wissen.  (Du hast diesen Brief  von 1984 vor einer Woche eingestellt.) Er spürte das genau: mein Begehren mich formen zu lassen, mich jemanden unter die Hände zu begeben. Und er begriff: Du konntest ihm gefährlich werden. All seine Fragen, all sein Drängen, sein Eindringen aus der Ferne in mein Leben  dienten dazu – und ich wusste das, ich wollte es nur nicht wahrhaben - , mich aus seinem Leben fernzuhalten. Indem er mich bedrängte, wich ich aus. Fuhr mit dir nach Frankreich, statt ihn in Dänemark zu besuchen. Studierte Asger Jorns  Farbkaskaden mit dir in Paris, statt in Dänemark die Hand auf seine Steinskulpturen zu legen. Er war geschickt, wirklich.

Oder überschätze ich ihn jetzt schon wieder, wenn ich glaube, dass er mich so durchschaute?

Liebe M., ich kann dir nicht schreiben, was geschehen ist. Anfang Juni komme ich nach Frankfurt. Dann reden wir darüber.

Herzliche Grüße

Emmi“

Quelle:
 http://eltaburete.files.wordpress.com/2009/11/asger_jorn.jpg
Die zwei Wochen um Ostern 1984 verbrachten Emmi und ich in der schäbigen Dachkammer eines Pariser Etagenhotels. In dem winzigen Dienstmädchenzimmer waren die beiden Betten jeweils dicht unter die Schrägen geklemmt. Den Kopf konnte man liegend nicht aufrichten, ohne sich heftig zu stoßen. Ich erinnere mich an einen Satz, den Emmi kurz vor Einschlafen in die Dunkelheit sprach: „Ich falle in ihn hinein. Als könne kein Widerstand, den ich fühle, diesen Sturz aufhalten.“ Ich wusste, dass sie von Ansgar sprach. Damals vor fast 30 Jahren versuchte ich einen Rettungsschirm aufzuspannen dort in Paris. Erfolglos. 


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