Freitag, 3. Juni 2011

ES WAR EINMAL: DIE FILMKRITIK


Zum Tod von Michael Althen

ein Beitrag von MOREL


In den 70er und 80er Jahren war das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung für alle Cineasten, eines der Paradiese auf Zeit, die uns nur die Populärkultur schenken kann. In den als letzte Seite noch mit einer traditionellen, eher unlustigen Witzseite ausgestatteten Wochenendbeilage fanden sich regelmäßig ganzseitige Exkurse in die Filmgeschichte aus der Feder der legendären Frieda Grafe, die spitze Anmerkungen und schwere Philosophie auf seitdem nicht mehr erreichte Weise verschmolz. Lubitsch war eine Kur gegen  die deutsche Grübelei und die Labyrinthe in den künstlichen Filmwelten Fritz Langs führten in ein experimentelles Denken ein, das sein Ziel nicht kennt (wie eigentlich jedes, wie heute nur noch selten eines) und vielleicht auch gar nicht erreichen kann. Dieses Feuilleton zog dann naturgemäß die feurigsten Kinoliebhaber Deutschlands an. Einer von ihnen war der in diesen Tagen viel zu früh verstorbene Michael Althen, der zunächst bei der Süddeutschen und dann im neuen Jahrtausend Filmkritiker bei der F.A.Z. war. Althen war kein Intellektueller – wie auf ihre Weise  Frieda Grafe – sondern der typische im sich rasant modernisierenden Deutschland der 60er und 70er Jahre aufgewachsene Fan. In einem kurzen Gespräch (http://michaelalthen.de/) erzählt er von den Standbildern, die früher manchmal alles waren, was man von Filmen kannte. Dieselben Standbilder, die der junge Antoine Doniel in Sie küssten und sie schlugen ihn aus den Ausstellungskästen der Kinos stahl. Und vor denen Jean Paul Belmondo in Außer Atem übte, wie ein echter Gangster auszusehen. Für die  Kritiker der alten Schule wäre diese Fanperspektive etwas zu Überwindendes gewesen. Eine Kritik taugt nur etwas, wenn sie einen Standpunkt außerhalb des zu beurteilenden Kunstwerks einnehmen kann. Wenn sie weiß, was das Kunstwerk eigentlich wollen sollte. Dem konnte schon das mäandernde Denken von Frieda Grafe nicht genügen. Althen gelang es vielleicht am Besten diese Fanperspektive für eine Kritik fruchtbar zu machen, die das Kino von dem sie schreibt miterschafft. Denn in den 80er Jahren, in denen er seine ersten Texte für die S.Z. schrieb war das Kino in Deutschland in einem erbärmlichen Zustand. Der neue deutsche Film löste sich nach dem Tod von Fassbinder unter Gezeter und Selbstmitleid in seinen Einzelteilen auf. Die großen Kinosäle wurden in kleine Schachtelkinos umgewandelt, die dann meistens auch noch so schmuddelig waren, dass man  damit rechnen musste, Travis Bickle aus Taxi Driver würde einem nach dem Film mit einem Wasserschlauch vor der Tür erwarten. In Hollywood regierten die großen Blockbuster, die zwar von echten Cineasten wie Spielberg und Lucas gedreht wurden, aber selber keine Cineasten als Publikum mehr hervorbringen würden. Althen nun blickte auf diese Filme ebenso wie auf das beginnende Independent-Kino mit dem Blick dessen, der nach Anzeichen von Größe noch in den kleinsten Dingen sucht. Auch da wo die Hochkultur nur Kommerz und Schund erkennen kann. Aus einzelnen gelungenen Szenen, kurzen Augenblicken des Glücks und schrägen Momenten der Komik destillierte er ein Wunschkino, das sich nicht zu schade ist für die Tiefen des Genres, aber die Ambivalenz gelebten Lebens bewahrt. Dominik Graf, mit dem zusammen er einen der besten deutschen Dokumentarfilme, das melancholische Stadtporträt München – Geheimnisse einer Stadt gedreht hat, versucht diese Mischung bis heute zumindest im Fernsehen zu realisieren. Es lag sicherlich nicht an Althen, dass dieses Kino in Deutschland bis heute mit der Lupe gesucht werden muss. Der Blick für die Einzelheiten hat Althen zu einem der besten Erzähler der deutschen Filmkritik werden lassen. In seinen Texten gab es bis zuletzt ein Pathos der Genauigkeit, das sein Urteil plausibel machte. Gleichzeitig hielt er eine gesunde, leicht ironische Distanz zum Hype um einzelne, in der Folge rasch vergessene Tabubrüche und Sensationen des Kulturbetriebs (denen sich die Redaktion, in der er arbeitete, immer seltener verschließen wollte). Der kleinen Schar von Cineasten in Deutschland werden seine Texte fehlen.   

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