Samstag, 29. Oktober 2011

ES WAR NICHT WEGEN... (Wie bleibe ich Feministin?)

„wie soll das gehen. mit dem klugen und gerechten leben. in der heutigen zeit. unter den heutigen umständen. Und was kann die literatur damit zu tun haben.“



Marlene Streeruwitz hat in diesem Jahr ein Buch geschrieben, das es auf die Bestenliste des Deutschen Buchpreises geschafft hat: „Die Schmerzmacherin“. Ich habe es noch nicht gelesen. Stattdessen fiel mir „Das wird mir nicht passieren...Wie bleibe ich Feministin“ in die Hände, ein schmales Taschenbuch, das schon 2010 erschienen ist.

Ich habe eigentlich nie gedacht, dass mir das nicht passieren wird: Lange Zeit hat mich die Frage nach dem Geschlecht nicht interessiert. Ich dachte, es käme darauf an „gut“ zu sein, in dem, was eine macht. Und überhaupt war ich dann umgeben von richtig klugen Menschen, die verdammt viel wussten und dachten, die Hegel lasen und Heidegger und witzig waren und denen ich ebenbürtig werden wollte. Dass diese Menschen fast alle Männer waren und dass es nicht egal war, dass ich kein Mann bin, habe ich erst viel später kapiert. Ich war bereit, die männliche Sicht auf die Welt und das Denken, die Literatur und die Kunst als allgemeingültige zu akzeptieren. Als mir dann schließlich doch auffiel, dass fast alles, was ich las und zu verstehen versuchte, aus einer Perspektive geschrieben war, aus der heraus ungeniert Frauen "besessen" wurden wie Häuser, stellte sich gerade diese Erkenntnis als eine weitere Falle heraus. Denn indem ich meine Weiblichkeit zum Ausgangspunkt des Denkens machte, bestätigte ich die geltende Hierarchie noch einmal: Männlichkeit als Norm und Weiblichkeit als Abweichung. Deshalb habe ich mich dann zunächst (das waren die frühen 90er Jahren) vor allem mit „Männlichkeit“ und ihrer Konstruktion beschäftigt. Das war wichtig, um meine Weiblichkeit als eine Differenz begreifen zu können, die sich nicht weiter an der (falschen?) Norm abarbeitet. Das ist bis heute eine Herausforderung, denn es bleibt eine kontrafaktische Haltung. Tatsächlich lebe ich, wie alle anderen auch, in einer Gesellschaft, die (weiße, heterosexuelle) Männlichkeit weiterhin als Norm setzt. Daher ist mir das Alles passiert, denn ich war angreifbar an dieser Flanke, weil ich meine Weiblichkeit ignoriert oder verleugnet habe, weil ich „so gut“ sein wollte wie ein Mann, aber kein Mann, weil ich als Frau geliebt werden wollte, aber nicht als eine gedacht werden, weil ich mit einem, den ich liebe, eine Familie gegründet habe und auch das „gut machen“ wollte, doch keine Maßstäbe hatte, was eine „gute Mutter“ sei, außer jenen, die eine patriarchale Gesellschaft geprägt hat. „Wie bleibe ich Feministin“ - das frage ich mich tatsächlich unter diesen Bedingungen fast jeden Tag: Wie behaupte ich mich? - nicht als Frau, sondern als eine, die auch Frau ist (und noch ganz viel anderes), die von ihrem Geschlecht weder absehen noch immer nur davon ausgehen will.

Marlene Streeruwitz´ Buch ist – entgegen den Erwartungen, die der Titel vielleicht wecken könnte – keine Sammlung von Essays über Feminismus heute. Streeruwitz erzählt Geschichten. Aber mit dem Titel und durch die Texte macht sie deutlich, woran ihr gelegen ist: einer Literatur, die Leben schreibt  und sich in dieses zurückdrängt, da beunruhigend wirkt, in unserem Alltag und unseren Routinen, uns anfasst und auflaufen lässt, die uns aussetzt und beteiligt.

Das Leben, von dem erzählt wird und das wir leben, fühlt sich irgendwie falsch an, offenbar. Aber: „Es war nicht wegen...“ So beginnt jede der Geschichten, die Streeruwitz erzählt: Nicht wegen des Sex (den Andrea S. nicht mehr mit dem fetten Kerl hat, zu dem ihr Mann geworden ist), auch nicht wegen des Geldes (das Christian F. nicht verdient als Hausmann und Vater) oder wegen der Schmerzen (die Marianne M. hat, weil ihr Mann sich mit seinem vollen Gewicht auf ihr Stebebett setzt). Auch wegen der Anstrengung ist es nicht (die Isabella M. fühlt, die sich in einer schlecht laufenden Kneipe kaputt arbeitet) oder wegen der Zeit (von der noch genug übrig ist, wenn man gerade mal 30 ist, wie Felicity P.). Es liegt auch nicht an der Religion (auch wenn nicht so klar ist, wie die zum Technotronic-Tanzen steht, dem Orkan Ü.s Nachtleben gehört) und nicht am Erfolg (von dem Künstlerin Renate S. genug hat) oder an der Einsamkeit (die Fernsehjournalistin Ulrike M., vom Liebhaber verlassen, ganz gut aushalten kann). Wegen der Unvollständigkeit ist es auch nicht (denn Mutter und Großeltern haben sich doch gut gekümmert um Xenia M., die vaterlos auswuchs), nicht wegen des Alters (weil Auguste K. auch mit 71 noch was vom Leben erwartet) und auch nicht wegen der Eltern (obwohl die dieses andere Leben auf der Upper Westside natürlich nicht verstehen, zu dem Jobberin Yasemina G. jeden Morgen von Long Island City aus aufbricht). All das ist es nicht, weswegen...

Was? Sie hungern nicht, Streeruwitz´ Protagonisten, sie sind nicht unsterblich verliebt oder haben alles verloren. Sie sind schlicht nicht ganz glücklich. Das Leben ist nicht, wie es sein könnte. Streeruwitz erzählt ganz dicht an ihren Figuren, die mit Vornamen auftreten und Nachnamenskürzel, wie in einer Reportage, in der ein ambitionierter Journalist diejenigen, über die er berichtet, aus ihrer Gruppe herausheben und ihnen Identität verleihen will. Gleichwohl bleiben in solchen Reportagen die Dargestellten zuletzt doch immer Typen. Denn sie sind vom Reporter ausgewählt worden, um etwas zu zeigen: eine Situation, eine Lebensform, ein Problem. Streeruwitz erzählt die Geschichten ihrer Figuren jedoch nicht als Reportagen. Sie wählt  eine personale Perspektive, die zwar das „Ich“ meidet, jedoch vollständig in den Binnenvorstellungen der Porträtierten verbleibt. Jede diese Geschichten ist konzentriert auf das Erleben der einen Person, die ihr den Titel gibt: die beherrschte Ehefrau, deren Mann ausflippt, weil der Wind über die Schöner-Wohnen-Dachterrasse pfeift, der Diplomatinnen-Gatte, der sich unbeachtet durch die Reihen der Cocktail-Party-Gäste schleicht, die Sterbende, die sich nicht wehrt gegen die Übergriffigkeit ihres Mannes, der sie seit Jahren hintergeht, die Journalistin, die darüber nachdenkt, wie der jüngere Liebhaber sie vielleicht von Anfang an ausgenutzt hat. In manchmal lakonisch kurzen Satzfragmenten gibt Streeruwitz die mal sachlichen, mal konfusen, mal wütenden, mal erschöpften Gedanken ihrer Titelfiguren wieder: „Die Mami hatte abgeraten. Die Mami hatte natürlich abgeraten. Die Mami hatte wieder einmal als Therapeutin mit ihr geredet und ihr abgeraten.“ Sie offenbaren ein diffuses Unbehagen an der Lebensform, die sie gewählt haben oder in die sie geraten sind: „War das das Ende der Flucht. Und das Ergebnis des Flüchtens. Dass sie jetzt in einer Wohnung in Berlin-Moabit stand und sich da zu Hause fühlte. War sie mürbe geworden. Mürbe gemacht.“ Sie versuchen zu verstehen, wie sie dahin geraten sind, wo sie jetzt sind, jede für sich allein. Doch das Denken führt nirgendwo hin. Denn die Figuren selbst verstehen sich so, als schrieben sie eine Reportage ihres Lebens: die vaterlose Tochter, die betrogene Frau, die sich opfernde Hausfrau, die im Konkurrenzkampf erschöpfte Künstlerin, die Geliebte des verheirateten Mannes, die von der Jüngeren ausgebootete Alte. „Es war nicht wegen...“ Das Klischee, gegen das der erste Satz sich wehrt, war es also nicht. Was aber sonst sein könnte, das sie hindert, zu leben, können sie nicht fassen. Sie sind differenziert und reflektiert, sie kennen sich und andere, sie wissen, wie´s läuft und was los ist, sie denken über sich und wie alles gekommen ist nach, aber raus kommen sie nicht, weil sie sich nur innerhalb der vorgegebenen Typologien denken können.

Es war eben doch --- deswegen: Weil es erniedrigend ist, von einem Mann betrogen zu werden, der so fett ist, dass er seine eigenen Füße im Stehen nicht sieht, weil es nervt die junge Geliebte eines alternden, eitlen Professors zu sein, weil eine wirklich mürbe wird, wenn sie sich unter schwierigen Bedingungen einen Status erarbeitet hat, den ihr jetzt eine Jüngere streitig macht. Usw. usw. Im Grunde ist es ganz einfach: Sich selbst zu unterdrücken, um sich passend zu machen, stimmt keine froh. Wir leben in einer Welt voller Passformen. Fast unmöglich, noch zu spüren, was eigentlich passend wäre. Streeruwitz´ Protagonisten können keinen Gedanken jenseits der Typologie fassen, die sie doch für sich nicht gelten lassen wollen. Nur wenn sie hinschauen und -hören, nehmen sie mehr wahr: „Als sie sich an der Tür zum Balkon umdrehte, lag die Flasche im Ehebett und der Rotwein sickerte in die weißleuchtende Tagesdecke.“ 


Sie könnten wütend einen Prinzen heiraten oder ganz viel Zeit verschwenden; sie sollten tief in die Augen anderer Ehefrauen schauen oder ein großes Schauspiel aufführen, ohne dass eine Kamera läuft. Sie müssten wie Geister den Schlaf stören und Türen dürften nicht mehr leise geschlossen werden, sondern nur noch geknallt. Soweit kommt es nicht. Sie bleiben. Alles bleibt. Wie es ist. Und anders. Man schaut zum Fenster hinaus.

Marlene Streeruwitz erzählt Geschichten, die kein Ende haben. Klassische Kurzgeschichten, also? Aber: Hier gibt es keine Bedeutung dahinter. Diese Geschichten haben keinen "tieferen" Sinn. Wie unser Leben. Frau muss ihm einen geben. Als Feministin. Zum Beispiel. Wie das Leben gelingen kann. So nicht. Nicht passgenau. Es geht eben weiter. Wir geben uns Mühe. Und wie. Nicht typisch sein. Und doch: So lebt eine halt im freistehenden Einfamilienhaus. Eben. (Ach, Scheiße!) Weiter geht´s.

Auf der Website http://wie.bleibe.ich.feministin.org/ gehen auch diese Geschichten weiter. Andrea S. trifft Christian F. Und Marianne M. erscheint als Geist (natürlich nicht, ihr mieser Mann hat nur aus Rache eine Todesanzeige aufgeben). Den Buchdeckeln entkommen, scheinen sich einige im virtuelle Raum tatsächlich befreien zu können. Kitschig, vielleicht. Schaun wir mal.

4 Kommentare:

  1. Genau! Ich bleibe auch Feministin.

    Das klingt nach einem Buch, das ich gerne lesen würde.

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  2. Lohnt sich! (Bin sehr gespannt auf das Ergebnis von deinem Nanoschreibprojekt - ich schaffte das nicht!)

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  3. Ich schaffe das, weil es mich aus meinem Arbeitssumpf rettet. Hoffentlich.

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