Sonntag, 27. November 2011

"HALT AUF FREIER STRECKE" - ein großartiger Film von Andreas Dresen

Andreas Dresens Filme gelten als „semi-dokumentarisch“, so auch sein jüngster Film „Halt auf freier Strecke“. Tatsächlich zeigen diese Filme aber auch, dass jedes unterreflektierte Verständnis von Dokumentation, das glaubt, man könne die Welt und die Menschen zeigen, „wie sie sind“, ein Akt der Gewalt gegenüber denen wäre, die so vorgeführt werden sollen. Dresens filmt eben nicht "authentisch" ab, wie es ist oder wäre, sondern stiftet Erzählungen über die Welt und Menschen, die in ihr leben. 

Halt auf freier Strecke“ erzählt die letzen Monate im Leben von Frank Lange (Milan Peschel), verheiratet, Vater einer 15jährigen Tochter und eines 8jährigen Sohnes, Lagerist bei der DHL in Berlin, Neu-Besitzer einer Doppelhaus-Hälfte an der Peripherie der Stadt. Frank hat einen Tumor im Kopf, der nicht mehr operabel ist, der Arzt muss ihm und seiner Frau Simone (Steffi Kühnert) mitteilen, dass er nur noch wenige Monate zu leben hat. Acht Minuten dauert die Anfangseinstellung des Films, in der der Mediziner Frank und Simone über den Befund informiert, zwischendurch von einem Telefonat unterbrochen. Die Kamera zeigt nur die beiden, wie sie von den Worten getroffen werden. Sie schauen sich nicht an, sie zucken kaum, sie versuchen aufzunehmen, zu verstehen, was das bedeutet. Das ist quälend, weil die Kamera keine Ausflucht zulässt, keine Schnitte gesetzt werden, keine Nahaufnahmen erwartbare Emotionen wecken, keine Aktionen stattfinden, weil die Schauspieler nicht laut heulen, schreien, hektisch fragen. In dieser ersten Einstellung wird die Haltung des Films zu seinen Protagonisten deutlich: Er hält eine mittlere Distanz, er suggeriert dem Zuschauer keine Nähe; er macht kein Identifikationsangebot. Hier wird nicht gezeigt werden, wie „man“ stirbt, sondern wie Frank stirbt. Das muss man aushalten: Dass es Frank ist und Frank für nichts und niemand anderen steht; kein symbolischer Tod, keine Parabel auf das Leben, keine Lehrstück über die Palliativmedizin.

Dresens Film konfrontiert die Zuschauer mit sehr präzisen Blicken auf Franks Sterben und Leiden, auf den langsamen Verlust der Körperkontrolle und der geistigen Aufnahmefähigkeit, mit Franks Wut und seiner Resignation, mit seinem Zorn und seiner Zärtlichkeit, mit seiner Pein und seinem Humor. Frank nutzt sein Iphone, um sich die Geschichte von Frank zu erzählen. Im Halbdunkel sitzt er, nachdem er die Diagnose erhalten hat, auf seinem Bett und spricht mit seinem Konterfei auf dem Display: „Ich hab´ einen Gehirntumor. Und das ist nicht lustig.“ Mit dem Iphone dokumentiert Frank nicht seine Krankheit und deren Verlauf, er erstellt auch kein filmisches Testament, sondern erzählt sich selbst, was Frank erlebt hat, was Frank macht, wer Frank ist. Dresen zeigt auf diese Weise, dass auch Frank, „der Betroffene“, keinen unmittelbaren Zugang zu sich und seinen Gefühlen gegenüber der  Krankheit hat, dass auch er, wie alle anderen, sich vermitteln muss, was mit ihm geschieht. Franks Medium der Selbstverständigung ist die „semi-dokumentarische“ filmische Erzählung mit dem Iphone. In Franks Erzählung erhält der Tumor ein Gesicht, er tritt in der Harald Schmidt-Show auf und berichtet von seinem Wachstum, im Radio gibt der Tumor ein Interview, um darzulegen, dass für Frank Lange keine Hoffnung mehr besteht. Still liegt der Tumor in der Schlussphase auf dem Kissen neben Frank. Es ist wichtig, dass Dresen ganz nebenbei und ohne jede Effekthascherei dieses irreale Element in die Filmerzählung fügt. Denn Frank sucht den Tumor hinter seiner Stirn, der sein Leben so vollständig ändert und zerstört, er gibt ihm ein Gesicht und lässt ihn sprechen. Doch bleibt ihm der kühl und sachlich auftretende Tumor fremd; Frank spricht nie direkt mit ihm und blickt mit großen Augen auf diesen Eindringling, gegen den es kein Mittel gibt.

Was Frank für sich mit dem Iphone tut, macht Dresens Film für den Zuschauer: Er zeigt ein Sterben, das nicht zugedeckt wird durch Phrasen und Deutungen, durch inszenierte Emotionen und haltlose Dramatisierungen, das nicht „das Sterben“ ist, sondern Franks Sterben, sein ganz eigenes, so wie er eben stirbt, in seiner Familie, mit seinen Ängsten und seinem Tumor.  Es gibt hier keine Nähe, die suggeriert, man könne mit Frank leiden, wie Frank leiden, fühlen, was Frank fühlt.


Dennoch bleibt Frank nicht allein. Seine Familie ist in diesen letzten Monaten bei ihm. Er stirbt daheim. Der Film zeigt, welche Belastung dies für die Familie darstellt, wie alle an ihre Grenzen geraten. Als Frank am Esstisch den Kindern erzählen will, wie krank er ist, bricht er ab und rennt heulend hinaus. Simone versucht zu erklären. „Jetzt sag´ nicht: Krebs.“, will die Tochter scherzen.  Simone legt sich zu Frank ins Bett, umfängt ihn und hält seinen zuckenden Körper fest an sich gepresst. So kann er sich beruhigen. Die Kinder freuen sich sehr auf einen Ausflug zu Tropical Islands, der abgebrochen werden muss, weil Frank von den Chemotherapie-Tabletten übel wird. Sie können ihre Enttäuschung nicht verbergen, aber sie versuchen Rücksicht zu nehmen. Es ist für keinen leicht. Franks Tochter verschafft sich Ausgleich beim Leistungssport als Turmspringerin, sein Sohn kuschelt sich an den auf dem Sofa schlafenden Vater. Einmal rastet Frank aus und beschimpft Simone wüst. „Du stirbts, aber ich muss weitermachen“, schreit sie zurück. Dresens Film zeigt eine Familie, die sich müht, die ihr Bestes gibt und ihr Bestes ist viel. Sie können das, weil sie sich nicht vorgaukeln oder ihm vormachen, sie könnten Frank verstehen, sie wüssten, was es für ihn heißt, zu sterben. Bei aller Überforderung, bei allem Zorn, bei aller Traurigkeit, bei aller Liebe können sie einander und ihn sein lassen. Jeder und jede sucht ihren eigenen Weg. Seine Schwiegermutter schneidet ihm einen Irokesenschnitt, als die Haare ausfallen. Seine Tochter verzeiht ihm, als er in seiner Verwirrung in ihr Zimmer pinkelt. Seine Ex-Freundin küsst ihn noch einmal auf die Lippen. Simone kriecht zu ihm unter die Decke und sie haben noch einmal Sex. Sein Sohn fragt ihn, ob er wirklich stirbt und Frank antwortet: „Ja klar, Alter.“ „Krieg ich dann dein Iphone?“

Franks Persönlichkeit schrumpft langsam. Am Ende schläft er meistens. Zu Weihnachten wacht er noch einmal auf, um überraschend mit den anderen zu feiern. Er kann nicht mehr ausdrücken, was er ihnen sagen will. „Ich habe begriffen....Das Leben ist...Das Leben ist...“ Er weiß es nicht. Oder er weiß es und kann es nicht sagen. Sie hören ihm zu, sie sind bei ihm, aber sie fragen nicht weiter. Was noch geht, geht. Was nicht mehr kommt, kommt nicht mehr. Das Leben geht weiter. Ihres. Seines nicht. Das ist nicht zu begreifen. Aber es ist so.

Andreas Dresen hat uns einen großartigen Film geschenkt, der zeigt, was Menschen für einander sein können. Wie Familien einander beistehen können. Ohne idyllisches Heilsversprechen. Ohne tränenselige Harmonie. Ohne Sinnstiftung. Dass es nicht darum geht, einander immer zu verstehen. Sondern bei einander zu sein. Auch wenn´s weh tut.  Weil man sich liebt. Und dass nur lieben kann, wer auch bei sich sein darf. Ganz am Ende hebt Franks Tochter Lilly den Kopf. Sie hat geweint. Sie sagt: „Ich muss zum Training.“

2 Kommentare:

  1. Ganz ehrlich: ich habe auch geweint. Jetzt eben, nach dem Lesen.
    ich weiß nicht, ob ich so einen Film aushalte, aber großartig muss er sein nach Ihrer Beschreibung.

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  2. Er ist wirklich auch sehr, sehr tröstlich, dieser Film! Wenn Sie Gelegenheit haben, schauen Sie ihn sich an! Ich habe geweint, aber am Ende war es gut...in einem sehr gelassenen, friedlichen und ehrlichen Sinn.

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