Sonntag, 2. Dezember 2012

BLENDUNG ("Im Netz des Grauens") (2010)


Ich sagte: „Vor dieser Person fürchte ich mich.“ Die Prinzessin schürzte die Lippen: „Warum sagst du ´Person´. Das klingt nicht nett.“ Ich hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Azar hatte wie immer richtig gehört. Meine Stimme offenbarte, was meine Wortwahl nur andeutete: Die Distanz, die ich zwischen mich und "die Person" bringen wollte. „Sie flirtet.“, sagte ich. Die Prinzessin lachte. „Das tust du natürlich nie.“ Ich seufzte. Für die Prinzessin war Flirten Notwendigkeit. Kein Flirt, kein Fun. „Melusine, worum geht es dir wirklich?“, fragte die Prinzessin. „Bist du eifersüchtig?“ Ich blies verächtlich Luft durch die gespitzten Lippen. „Ach nein, da stehst du ja drüber.“ Die Prinzessin schüttelte ungläubig den Kopf. Darüber hatten wir schon öfter gestritten. Für die Prinzessin war es unvorstellbar, verliebt, aber nicht eifersüchtig zu sein. Sie unterstellte mir die Absicht, mich unverletzlich zu machen. „Immer schön cool bleiben.“ Das hielt ich für Unfug. Es gibt keine uncoolere Person als mich. (Da haben wir´s: Wenn es mir passt, nenne ich mich selbst ´Person´. Ein Versuch, mich zu distanzieren. Auch diesmal. Von der, die ich auch bin.) Aber ich empfinde keine Eifersucht, nicht, wenn es um den Fall in die Liebe geht.

„Sie ist nicht echt.“, sagte ich. Die Prinzessin schüttelte sich vor Lachen. „Das von dir: Das Verlangen nach Echtheit. Wer hat sich darüber denn immer mokiert? In die Identitätsfalle getappt.“ Ich wurde kleinlaut. Sie hatte Recht. Und wieder nicht. Da war etwas, was ich nicht fassen konnte. Oder doch: „Sie hat keinen Körper.“ Das gab der Prinzessin den Rest; sie musste sich jetzt den Bauch halten vor Lachen.  „Eine Dame ohne Unterleib.“ „Ja.“ Ich blieb ernst. „Nein. Es ist nicht so. Ich meine. Sie spricht viel über ihren Körper.“ „Aber sie hat keinen, stimmt´s?  Wie denn auch? Ihr kennt euch doch nur übers Netz.“ Das stimmte. Die Prinzessin beobachtete meine Netzaffinität schon länger mit Misstrauen. Es schien ihr ein Ersatz zu sein für ungelebtes Leben. Körperlose und risikofreie Annäherungen. Nutzte ich das nicht selbst aus? Spiele ohne Berührungsangst? Aber... „Da ist etwas anderes. Kein Klangkörper. Verstehst du?“ „Nein.“ Die Prinzessin fuhr mit der Hand über die Tastatur ihres Computers. „Es klingt nicht, wenn ihr mit den Tasten klappert, oder wie?“ Ich seufzte. „Sie erzählt davon, wie sie angemacht wird. Zum Beispiel. Aber sie weiß gar nicht, wie es ist, angeschaut zu werden. Als Frau.“ Ich sah das Zucken um den Mund der Prinzessin. „Wie ich, meinst du?“ Ich beeilte mich, ihr zu widersprechen. „Nein, nicht wie du. Anders. Gar nicht wie du. Du spürst es. Sie hat es noch nie erlebt.“ „Was?“ „Es hat sie noch nie jemand so angeschaut.“ „Woher willst du das wissen?“ „Sie weiß nichts. Sie stellt es sich nur vor. Kopfgeburten. Sie denkt, sie hätte es im Griff.“ Die Prinzessin wiegte den Kopf. „Das denke ich auch, manchmal.“ „Es ist ein Gedankenspiel. Bei ihr. Bloß. Sie weiß nicht, was der Körper macht. Der eigene. Und der des anderen. Die Bewegungen, die du nicht kontrollieren kannst. Innen und Außen. Die Kontraktion deiner Bauchmuskeln. Das Zucken des kleinen Fingers. Oder die Verhärtung. Die Schultern zusammen ziehen.“ Die Prinzessin schwieg. „Niemand hat sie je begehrt, meinst du?“ „Ja.“ Ein tonloses ´Ja´. So hatte ich mir das noch nie überlegt. Aber so war es. „Niemand. Aber sie wünscht es sich. Verzweifelt. Sie inszeniert sich als eine Frau, die sie niemals war.“ Eine Pause entstand. Die Prinzessin tastete nach meiner Hand. „Das tun wir doch alle. Oder?“

Wir hielten uns an den Händen. „Ja.“ Diesmal tönte sie, meine Zustimmung, tief und voll. „Aber?“ Sie hatte wie immer genau hingehört. „Aber mit ihrem Körper stimmt etwas nicht.“ „Mit keinem Körper irgendeiner Frau stimmt es.“ Azar seufzte, ein wenig bitter. „Sie hat keinen. Eben deshalb. Weil sie so tut, als ob er richtig wäre. Blendend. Das gibt´s nicht. Nicht für eine Frau. Nicht jetzt. Nicht hier.“ Ich sah, wie die Prinzessin den Kopf reckte. Jetzt hatte ich sie. „Sie schämt sich nie?“ „Nein.“ „Sie findet sich nie zu dick, zu dünn, ihre Haare zu struppig, zu lockig, zu platt, ihre Nase zu groß, zu krumm, ihre Brüste zu üppig, zu klein?“ „Na ja, ich gäbe das auch nicht zu.“, sagte ich. „Nicht so plump. Nicht im Netz. Aber bei ihr ist nicht mal eine Andeutung davon.“ „Es muss“, sagte die Prinzessin, „etwas ganz Schreckliches sein.“ „Ja.“ Das war nur geflüstert. Grauenhafte Bilder drängten sich mir auf, entstellte Körper, zerfetzte Glieder, zerborstene Gesichter. „Ein Unfall. Eine Erkrankung.“ Die Prinzessin presste meine Hand. 

„Melusine, du musst ihr schreiben.“ „Was? Dass ich nicht glaube, sie sei die schöne junge Frau, für die sie sich ausgibt?“ Sie schwieg. Lange. Die Prinzessin war redselig, normalerweise. Und sie wusste immer alles besser. Als ich. Doch jetzt schwieg die Prinzessin. Ich legte meinen Kopf in ihren Schoß. Sie fuhr mit der Hand über mein Gesicht. „Deine Nase ist gebogen wie ein Falkenschnabel. Hier ist eine Narbe, längst verheilt. Da wächst ein Muttermal über deiner Lippe und ein kleiner Damenbart.“ „Was?“ „Unsichtbar, Blondschopf. Nicht wie bei mir.“ Azarmidokth rasierte sich täglich. „Das kannst du ihr nicht schreiben. Sei rücksichtsvoll.“

„Die Person“, sagte ich, „macht mir Angst. Ich übe Rücksicht. Aber ich frage mich doch, wen ich schütze. Ein Monster? Eine Versehrte? Eine Frau, die....?“ Die Prinzessin unterbrach mich. „Ich habe dich noch nie gesehen. So wenig wie du sie. Wer weiß.“ „Es ist etwas anderes“, sagte ich. „Mit dir. Es ist etwas Unheimliches und Todtrauriges um sie. Und Böses. Eine, die sich verleugnet, so arg graut ihr vor sich selbst.“ „Mir graut auch manchmal. Vor dir.“ Sie lachte. „Du wirst ihr wehtun müssen. Am Ende. Selbst wenn du gar nichts tust.“ „Das werde ich“, antwortete ich. „Das Schlimmste ist: Es tut mir nicht leid. Ich habe kein Mitgefühl.“ „Weil du sie nicht kennst.“ „Wer kennt schon jemanden? Nein. Weil sie sich selbst hasst.“ Die Prinzessin beugte sich ganz dicht zu mir hinunter. „Das verstehe ich“, sagte sie. „Das verstehe ich vollkommen.“

3 Kommentare:

  1. Was für ein Dialog - da ist so viel drin, so dicht ist das alles, dass ich mir fast wünschte, so ein Gespräch auch mal führen zu können. Aber davor hätte ich (auch) Angst - nicht so sehr vor den körperlosen Kopfgeburten, vielleicht eher davor, was die einem über einen selbst verraten können. Ich weiß nicht, ob ich den Dialog wirklich *verstanden* habe, aber die beiden, die Melusine und die Prinzessin, geben mir zumindest den Eindruck, als hätten sie mich verstanden. Schon seltsam. Toller, tiefer, wunderbarer Text.

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    1. Danke! (Wer *versteht* schon! Es ist ja immer nur Bemühen und Behauptung. Auch in einem solchen Gespräch. Das Fiktion ist. Und autobiographisch "versehrt".) Azarmidokth war eine persische Prinzessin und wurde die 27. Herrscherin des Reiches. General Farukh hielt um ihre Hand an, doch sie verweigerte sich ihm. Sie ließ ihn töten und sein Sohn rächte sich fürchterlich an ihr: Er blendete sich mit seinem Schwert. So die Legende. Die blinde Königin, der sich der Augen-Blick verweigert. Aber sie hört. Alles...

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    2. Er blendete nicht sich, sondern sie. Sorry.

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