Ich
sagte: „Vor dieser Person fürchte ich mich.“ Die Prinzessin schürzte die
Lippen: „Warum sagst du ´Person´. Das klingt nicht nett.“ Ich hatte sofort ein
schlechtes Gewissen. Azar hatte wie immer richtig gehört. Meine Stimme
offenbarte, was meine Wortwahl nur andeutete: Die Distanz, die ich zwischen
mich und "die Person" bringen wollte. „Sie flirtet.“, sagte ich. Die Prinzessin
lachte. „Das tust du natürlich nie.“ Ich seufzte. Für die Prinzessin war Flirten Notwendigkeit. Kein Flirt, kein Fun. „Melusine, worum geht es dir wirklich?“, fragte die Prinzessin. „Bist du eifersüchtig?“ Ich blies
verächtlich Luft durch die gespitzten Lippen. „Ach nein, da stehst du ja drüber.“
Die Prinzessin schüttelte ungläubig den Kopf. Darüber hatten wir
schon öfter gestritten. Für die Prinzessin war es unvorstellbar, verliebt, aber
nicht eifersüchtig zu sein. Sie unterstellte mir die Absicht, mich
unverletzlich zu machen. „Immer schön cool bleiben.“ Das hielt ich für Unfug.
Es gibt keine uncoolere Person als mich. (Da haben wir´s: Wenn es mir passt,
nenne ich mich selbst ´Person´. Ein Versuch, mich zu distanzieren. Auch
diesmal. Von der, die ich auch bin.) Aber ich empfinde keine
Eifersucht, nicht, wenn es um den Fall in die Liebe geht.
„Sie
ist nicht echt.“, sagte ich. Die Prinzessin schüttelte sich vor Lachen. „Das von
dir: Das Verlangen nach Echtheit. Wer hat sich darüber denn immer mokiert? In
die Identitätsfalle getappt.“ Ich wurde kleinlaut. Sie hatte Recht. Und wieder
nicht. Da war etwas, was ich nicht fassen konnte. Oder doch: „Sie hat keinen Körper.“ Das gab der Prinzessin den Rest; sie musste sich jetzt den Bauch
halten vor Lachen. „Eine Dame ohne
Unterleib.“ „Ja.“ Ich blieb ernst. „Nein. Es ist nicht so. Ich meine. Sie
spricht viel über ihren Körper.“ „Aber sie hat keinen, stimmt´s? Wie denn auch? Ihr kennt euch doch nur
übers Netz.“ Das stimmte. Die Prinzessin beobachtete meine Netzaffinität schon
länger mit Misstrauen. Es schien ihr ein Ersatz zu sein für ungelebtes Leben.
Körperlose und risikofreie Annäherungen. Nutzte ich das nicht selbst aus? Spiele
ohne Berührungsangst? Aber... „Da ist etwas anderes. Kein Klangkörper.
Verstehst du?“ „Nein.“ Die Prinzessin fuhr mit der Hand über die Tastatur ihres
Computers. „Es klingt nicht, wenn ihr mit den Tasten klappert, oder wie?“ Ich
seufzte. „Sie erzählt davon, wie sie angemacht wird. Zum Beispiel. Aber sie
weiß gar nicht, wie es ist, angeschaut zu werden. Als Frau.“ Ich sah das Zucken
um den Mund der Prinzessin. „Wie ich, meinst du?“ Ich beeilte mich, ihr zu
widersprechen. „Nein, nicht wie du. Anders. Gar nicht wie du. Du spürst es. Sie
hat es noch nie erlebt.“ „Was?“ „Es hat sie noch nie jemand so angeschaut.“
„Woher willst du das wissen?“ „Sie weiß nichts. Sie stellt es sich nur vor. Kopfgeburten.
Sie denkt, sie hätte es im Griff.“ Die Prinzessin wiegte den Kopf. „Das denke
ich auch, manchmal.“ „Es ist ein Gedankenspiel. Bei ihr. Bloß. Sie weiß nicht,
was der Körper macht. Der eigene. Und der des anderen. Die Bewegungen, die du
nicht kontrollieren kannst. Innen und Außen. Die Kontraktion deiner Bauchmuskeln.
Das Zucken des kleinen Fingers. Oder die Verhärtung. Die Schultern zusammen
ziehen.“ Die Prinzessin schwieg. „Niemand hat sie je begehrt, meinst du?“ „Ja.“
Ein tonloses ´Ja´. So hatte ich mir das noch nie überlegt. Aber so war es.
„Niemand. Aber sie wünscht es sich. Verzweifelt. Sie inszeniert sich als eine
Frau, die sie niemals war.“ Eine Pause entstand. Die Prinzessin tastete nach meiner
Hand. „Das tun wir doch alle. Oder?“
Wir hielten uns an den Händen. „Ja.“ Diesmal tönte sie, meine Zustimmung, tief und voll. „Aber?“ Sie hatte wie
immer genau hingehört. „Aber mit ihrem Körper stimmt etwas nicht.“ „Mit keinem
Körper irgendeiner Frau stimmt es.“ Azar seufzte, ein wenig bitter.
„Sie hat keinen. Eben deshalb. Weil sie so tut, als ob er richtig wäre.
Blendend. Das gibt´s nicht. Nicht für eine Frau. Nicht jetzt. Nicht hier.“ Ich
sah, wie die Prinzessin den Kopf reckte. Jetzt hatte ich sie. „Sie schämt sich nie?“
„Nein.“ „Sie findet sich nie zu dick, zu dünn, ihre Haare zu struppig, zu
lockig, zu platt, ihre Nase zu groß, zu krumm, ihre Brüste zu üppig, zu klein?“
„Na ja, ich gäbe das auch nicht zu.“, sagte ich. „Nicht so plump. Nicht im
Netz. Aber bei ihr ist nicht mal eine Andeutung davon.“ „Es muss“, sagte die
Prinzessin, „etwas ganz Schreckliches sein.“ „Ja.“ Das war nur geflüstert.
Grauenhafte Bilder drängten sich mir auf, entstellte Körper, zerfetzte Glieder,
zerborstene Gesichter. „Ein Unfall. Eine Erkrankung.“ Die Prinzessin presste
meine Hand.
„Melusine, du musst ihr schreiben.“ „Was? Dass ich nicht glaube,
sie sei die schöne junge Frau, für die sie sich ausgibt?“ Sie schwieg. Lange.
Die Prinzessin war redselig, normalerweise. Und sie wusste immer alles besser.
Als ich. Doch jetzt schwieg die Prinzessin. Ich legte meinen Kopf in ihren
Schoß. Sie fuhr mit der Hand über mein Gesicht. „Deine Nase ist gebogen wie ein
Falkenschnabel. Hier ist eine Narbe, längst verheilt. Da wächst ein Muttermal
über deiner Lippe und ein kleiner Damenbart.“ „Was?“ „Unsichtbar, Blondschopf.
Nicht wie bei mir.“ Azarmidokth rasierte sich täglich. „Das kannst du ihr
nicht schreiben. Sei rücksichtsvoll.“
„Die
Person“, sagte ich, „macht mir Angst. Ich übe Rücksicht. Aber ich frage mich
doch, wen ich schütze. Ein Monster? Eine Versehrte? Eine Frau, die....?“ Die
Prinzessin unterbrach mich. „Ich habe dich noch nie gesehen. So wenig wie du
sie. Wer weiß.“ „Es ist etwas anderes“, sagte ich. „Mit dir. Es ist
etwas Unheimliches und Todtrauriges um sie. Und Böses. Eine, die sich verleugnet, so arg graut
ihr vor sich selbst.“ „Mir graut auch manchmal. Vor dir.“ Sie lachte. „Du wirst
ihr wehtun müssen. Am Ende. Selbst wenn du gar nichts tust.“ „Das werde ich“,
antwortete ich. „Das Schlimmste ist: Es tut mir nicht leid. Ich habe kein
Mitgefühl.“ „Weil du sie nicht kennst.“ „Wer kennt schon jemanden? Nein. Weil sie sich
selbst hasst.“ Die Prinzessin beugte sich ganz dicht zu mir hinunter. „Das
verstehe ich“, sagte sie. „Das verstehe ich vollkommen.“
Was für ein Dialog - da ist so viel drin, so dicht ist das alles, dass ich mir fast wünschte, so ein Gespräch auch mal führen zu können. Aber davor hätte ich (auch) Angst - nicht so sehr vor den körperlosen Kopfgeburten, vielleicht eher davor, was die einem über einen selbst verraten können. Ich weiß nicht, ob ich den Dialog wirklich *verstanden* habe, aber die beiden, die Melusine und die Prinzessin, geben mir zumindest den Eindruck, als hätten sie mich verstanden. Schon seltsam. Toller, tiefer, wunderbarer Text.
AntwortenLöschenDanke! (Wer *versteht* schon! Es ist ja immer nur Bemühen und Behauptung. Auch in einem solchen Gespräch. Das Fiktion ist. Und autobiographisch "versehrt".) Azarmidokth war eine persische Prinzessin und wurde die 27. Herrscherin des Reiches. General Farukh hielt um ihre Hand an, doch sie verweigerte sich ihm. Sie ließ ihn töten und sein Sohn rächte sich fürchterlich an ihr: Er blendete sich mit seinem Schwert. So die Legende. Die blinde Königin, der sich der Augen-Blick verweigert. Aber sie hört. Alles...
LöschenEr blendete nicht sich, sondern sie. Sorry.
Löschen